Die junge Frau strahlt in die Kamera. Gerade hat sie ihrer Begleiterin ein Handy in die Hand gedrückt und sich dann für das perfekte Foto aufgestellt. Hinter ihr schlängelt sich die Hauptstraße von Lauterbrunnen durch eine malerische Landschaft.

Hohe Felswände erheben sich hunderte Meter in die Höhe, in der Ferne glänzt der Schnee auf den Gipfeln der Alpen. Der Staubbachfall rauscht aus fast 300 Metern in die Tiefe, auf den Balkonen der Lauterbrunner Häuser blühen Geranien, die Schweizer Flagge flattert im Wind.

Eigentlich ist es das perfekte Bild. Wären da nicht die vielen Autos und Touristen im Hintergrund. Das Fotoshooting der beiden Frauen wird kurz unterbrochen, als mehrere Autos die Straße passieren. Kurze Diskussion auf Spanisch, dann geht es weiter. Irgendwann sind beide zufrieden mit den Fotos, sie schlendern weiter durch den Ort.

Autos schieben sich durch Lauterbrunnen.
Autos schieben sich durch Lauterbrunnen. | Bild: Nathalie Metzel

„Staubbach-Handy-Touristen“ belasten die Gemeinde

Tausende Touristen kommen täglich in die Gemeinde Lauterbrunnen, die aus sechs Ortschaften besteht und im Kanton Bern liegt. Die Tagestouristen belasten Lauterbrunnen enorm. Besonders die, die mit dem Auto in das Dorf fahren, ein Foto vor dem Staubbachfall schießen und weiter fahren, sagte der Gemeindepräsident Karl Näpflin kürzlich. „Staubbach-Handy-Touristen“ nannte Näpflin diese Menschen.

Sie würden die Verkehrsregeln missachten und sich teilweise respektlos gegenüber Einheimischen verhalten. Deshalb wollte Näpflin prüfen, ob eine Eintrittsgebühr in Lauterbrunnen erhoben werden kann. Eine Nachricht, die in der Schweiz Schlagzeilen machte. Lauterbrunnen wäre die erste Schweizer Gemeinde mit einer solchen Gebühr.

Hinweisschild an einem Café: Kein Picknick, nichts wegwerfen!
Hinweisschild an einem Café: Kein Picknick, nichts wegwerfen! | Bild: Nathalie Metzel

Touristen würden die Gebühr zahlen

Direkt unter dem Staubbachfall, wegen dem die meisten Touristen nach Lauterbrunnen kommen, hat man von diesem Problem noch nichts gehört. Hier sitzen Charlotte Rebillot und Lucas Bully auf einer der Holzbänke und blicken auf die Touristen, die vor dem Wasserfall posieren. Sie sind aus Frankreich in die Schweiz gereist, Lauterbrunnen wurde ihnen von einem Freund empfohlen. „Wir sind in der Nähe von Thun untergebracht“, erzählt Rebillot.

Lucas Bully und Charlotte Rebillot sind aus Frankreich in die Schweiz gereist.
Lucas Bully und Charlotte Rebillot sind aus Frankreich in die Schweiz gereist. | Bild: Nathalie Metzel

Obwohl an dem Wasserfall an diesem Nachmittag reges Treiben herrscht, ist dem jungen Paar der Ansturm noch nicht negativ aufgefallen. Eine mögliche Gebühr wären die beiden aber bereit, zu zahlen: „Es kommt natürlich auf den Preis an, aber wenn es darum geht, die Touristen zu reduzieren – warum nicht?“, sagt Rebillot.

Umsetzung der Gebühr ist nicht realisierbar

Die Debatte um eine mögliche Gebühr sei medial aufgebauscht worden, sagt Thomas Durrer, seit zehn Jahren Tourismusbeauftragter in Lauterbrunnen: „Das war als eine mögliche Maßnahme in einem Maßnahmenplan gedacht.“ Eine Gebühr sei allein schon deshalb nicht umsetzbar, da durch Lauterbrunnen eine Kantonsstraße führe. Die könne man nicht einfach sperren. Man denke aber darüber nach, eine Gebühr für den Zugang zum Wasserfall einzuführen.

Wie viele tausend Tagestouristen täglich nach Lauterbrunnen kommen, kann man derzeit nur schätzen. Gemeinsam mit der Universität Bern will das Tourismusbüro künftig Handydaten auswerten, um valide Zahlen liefern zu können. Laut Durrer ist das Problem in Lauterbrunnen aber noch überschaubar: „Von Massentourismus kann man hier noch nicht sprechen.“

Thomas Durrer leitet das Tourismusbüro in Lauterbrunnen seit 10 Jahren.
Thomas Durrer leitet das Tourismusbüro in Lauterbrunnen seit 10 Jahren. | Bild: Nathalie Metzel

Lauterbrunnen lebt vom Tourismus

Die ganze Region habe in den vergangenen Jahren an Bekanntheit gewonnen. Regelmäßig lande das Lauterbrunnen-Tal in Auflistungen wie „Die schönsten Orte in der Schweiz“. Und auch durch die sozialen Medien werde Lauterbrunnen immer populärer. „Früher hat man sich Postkarten geschickt. Heute werden Bilder und Videos geteilt, die tausende Klicks erhalten“, sagt Durrer. Das hat nicht nur negative Auswirkungen: Die Gemeinde lebe hauptsächlich vom Tourismus.

Die Geschäfte in der Durchfahrtstraße „Auf der Fuhren“ haben sich an die Touristen angepasst. Es gibt ein Uhrengeschäft mit einem riesigen Schweizer Taschenmesser über dem Eingang. Ein Fahrradgeschäft hat sich auf Mountainbikes und Zubehör spezialisiert.

Schräg gegenüber verkauft ein Souvenirgeschäft alles, was die Touristen aus Lauterbrunnen mitnehmen möchten: Lauterbrunnen-Tischsets, Lauterbrunnen-Pullover, Halsbänder für Hunde mit der Schweizer Flagge.

Lukas Fuchs stammt aus Lauterbrunnen.
Lukas Fuchs stammt aus Lauterbrunnen. | Bild: Nathalie Metzel

Einheimische von Touristen genervt

Neben dem Fahrradgeschäft steht Lukas Fuchs an einem Bräter und wendet mit einer Grillzange Bratwürstchen. Für sieben Franken können Touristen hier eine Bratwurst im Brötchen kaufen. Seit sechs Jahren arbeitet Fuchs im Familienbetrieb der Metzgerei Fuchs, er ist in Lauterbrunnen aufgewachsen. Mit dem Stand vor der Metzgerei verdient die Familie eigentlich an den Touristen.

„Das sind aber nicht die Kunden, die wir wollen“, sagt Fuchs. Eigentlich sei das Hauptgeschäft, frisches Fleisch und Wurst zu verkaufen. Daran seien die Tagestouristen natürlich nicht interessiert. „Es sind einfach zu viele“, sagt der 23-Jährige. „Irgendetwas muss man dagegen unternehmen.“

Das Hotel Staubbach ist eines von vielen Hotels in Lauterbrunnen.
Das Hotel Staubbach ist eines von vielen Hotels in Lauterbrunnen. | Bild: Nathalie Metzel

Viele Geschichten über Tagestouristen kursieren

Neben den vielen Geschäften in der Straße „Auf der Fuhren“ gibt es in Lauterbrunnen sehr viele Hotels. 25.000 Betten sind es in der gesamten Gemeinde. Dabei hat Lauterbrunnen nur 2700 Einwohner. Das Hotel Staubbach steht etwas abseits der Straße, in der Nähe eines großen Parkplatzes. Öffnet man die Eingangstür, ist es vor allem erst einmal angenehm ruhig. „Ich bin selbst nicht gerne in der Hauptstraße. Unser Hotel ist wie eine Insel der Ruhe“, sagt Adam Piszker, seit zwei Jahren Direktor im Hotel Staubbach.

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Die Hotellerie profitiert von der Attraktivität des Lauterbrunnen-Tals. Das Hotel habe nie Probleme mit zu wenigen Buchungen gehabt, sagt Piszker: „Jetzt gibt es gar keine Nebensaison mehr. Die Anfragen für nächstes Jahr laufen bereits.“ Einige Stammgäste würden sich über die Tagestouristen beschweren. Noch habe aber niemand gesagt, dass er deswegen nicht mehr kommen wolle.

Über die Tagestouristen kursieren im Hotel Staubbach viele Geschichten. Besucher, die in abgezäunten Feldern oder Gärten picknicken, die ihren Müll irgendwo hinwerfen oder sogar in die Wohnung von Einheimischen gehen. „Lauterbrunnen ist zu klein für so viele Touristen“, sagt eine Mitarbeiterin des Hotels.

Adam Piszker und eine seiner Mitarbeiterinnen an der Rezeption des Hotels Staubbach in Lauterbrunnen.
Adam Piszker und eine seiner Mitarbeiterinnen an der Rezeption des Hotels Staubbach in Lauterbrunnen. | Bild: Nathalie Metzel

Schilder ermahnen zu respektvollem Verhalten

„Nur ein ganz kleiner Teil der Touristen hält sich nicht an die Regeln“, sagt der Tourismusbeauftragte Thomas Durrer. Die meisten Besucher verhielten sich respektvoll. Dennoch hat das Tourismusbüro auf die Beschwerden der Einheimischen reagiert. Plakate und Flyer erklären Touristen die wichtigsten Verhaltensregeln für ihren Besuch. „Privatsphäre respektieren“, „Camping nur auf Camping-Plätzen“ oder „Motor abstellen“ steht darauf. Die Einheimischen seien über diese Plakate sehr froh gewesen, sagt Durrer.

Voller Parkplatz vor der Kirche in Lauterbrunnen.
Voller Parkplatz vor der Kirche in Lauterbrunnen. | Bild: Nathalie Metzel

Inzwischen versucht Durrer, die Touristen im Herbst oder Winter nach Lauterbrunnen zu locken, um die Hauptsaison zu entlasten. Zudem wird die Durchfahrtsstraße gerade verbreitert, ein zusätzlicher Bürgersteig soll hinzukommen. Weitere Parkplätze sind ebenfalls geplant.

Ideen, wie Lauterbrunnen dem Ansturm begegnen kann, gibt es also genug. Einen Tipp für die Tagestouristen hat Thomas Durrer ebenfalls. Am Wasserfall vorbei führt eine autofreie Straße, auf der man spazieren gehen kann: „Wer von der Hauptstraße wegläuft, ist nach zwei Minuten praktisch alleine unterwegs.“