Gisela Schulze ist Schauspielerin aus Baden und unheilbar an Krebs erkrankt. Birgit Kramer (59) ist eine Freundin und Begleiterin von Gisela Schulze. Im Gespräch im Hospiz in Brugg erzählen die beiden Frauen auch, wie Karl-Otto und die Queen ihren Alltag erheitern.

„Als ich letztes Jahr notfallmäßig in die Hirslanden Klinik eintrat, gab man mir noch ein bis zwei Wochen. Da erzählte mir eine Ärztin vom Hospiz und ich beschloss, meine letzten Tage da zu verbringen. In der Klinik sterben? Das kam für mich überhaupt nicht infrage! Da kann man nur fliehen.

Als ich im Hospiz ankam, kannte ich niemanden. Ich wurde freundlich aufgenommen und – oh Wunder! – es ging mir über drei Monate hinweg immer besser. Irgendwann dachte ich mir: Ich sause munter mit dem Rollator durch die Gänge und nehme womöglich jemandem, der viel schlechter dran ist, das Bett weg. Das geht so nicht. Ich sprach mit der Ärztin und sie meinte: ‚Ja, Sie können mal nach Hause gehn.‘

Am Anfang war daheim in meiner Wohnung alles paletti, aber nach fünf Monaten ging‘s mir nicht mehr gut. Ich war alleine und habe am Ende ganz einfach vergessen, zu essen. Wenn ich ehrlich bin, habe ich das – auch mir selbst gegenüber – überspielt. Zweimal musste ich notfallmäßig wieder in die Hirslanden. Ich bin hochgekrabbelt, dann ging‘s wieder runter – in Wellen.

„Am Ende sagte ich: Ich will wieder ins Hospiz.“

Zuerst war ich auf der Warteliste, dann ging alles ganz flott. Ich kam ein zweites Mal – so was gibt‘s selten – hierher, kannte alle und konnte wieder alle ärgern. Ja, diese vertraute Ebene ist für mich wichtig.

Was das Hospiz ausmacht? Die Menschen hier, sie sind einmalig. Man geht wunderbar miteinander um und man merkt: Das ist nicht irgendein Gesäusel, nein: Das kommt von Herzen. Wichtig ist für mich auch die medizinische Betreuung, der ich voll und ganz vertraue.

Vor fünf Jahren, am Anfang meiner Erkrankung, gab es Momente, da dachte ich: Jetzt stirbst du. Dann wieder sagte ich mir: Ach, das schaffst du irgendwie schon. Zuerst gibt es ja auch so viel zu regeln und zu entscheiden. Da legt man wie einen Schieber rein. Aber plötzlich habe ich begriffen: Mein Gott, du hast ja Krebs! Was heißt das jetzt? So langsam bin ich daran gewachsen und stärker geworden.

„Ich empfinde weder Angst noch Wut“

Vertraut wird so was nie. Dieses blöde Stoma – mein künstlicher Darmausgang – kriegt dann tausend Namen, Karl-Otto zum Beispiel. Mit ein wenig Theater – ich bin ja von Berufes wegen Schauspielerin – mache ich mir so die Pflege lustig. Klar bin ich mittlerweile dran gewöhnt, aber: Das Stoma ist hässlich und es stört. Auch wenn ich auf die achtzig zugehe: Eitel bin ich noch immer!

Der andere Krebs, den ich habe, schreitet langsam voran. Man kann ihn auch nicht operieren. Er ist für mich so ein bisschen weit weg. Aber verzweifelt? Nein, das bin ich kein bisschen!

Es geht dem Tod entgegen. Alltag ist das noch nicht geworden, aber ich habe dieses Unausweichliche in langsamen Schritten kennengelernt. Ich empfinde weder Angst noch Wut und mittlerweile nehme ich das alles irgendwie fröhlich entgegen. Das war nicht immer so, ich bin im Alter milder geworden. Jetzt bin ich definitiv mehr auf der Humorseite. Das mit schwermütig und so, diese Lebensangst: Das hat sich alles vertanzt. Heute sage ich: Mein Gott, es kann ja auch wahnsinnig schön werden, wenn ich jetzt gehe!

„Die Angst hat sich vertanzt“: Schauspielerin Gisela Schulze im Hospiz in Brugg.
„Die Angst hat sich vertanzt“: Schauspielerin Gisela Schulze im Hospiz in Brugg. | Bild: Severin Bigler

Mir gefällt am Hospiz, dass es eine fröhliche Gesellschaft ist. Das mag ich! Schließlich komme ich aus einem Beruf, wo man immer mit vielen Menschen zusammen ist, nach der Aufführung noch ein wenig sitzt und plaudert. In meinen 48 Jahren, die ich in Baden gewohnt habe, hatte ich ein offenes Haus. Alle wussten: Bei der kann man immer klingeln.

Die Freundschaft, die ich mit Birgit habe – sie wohnt im selben Haus wie ich und ist mir nach dem Tod meines Mannes beigestanden –, bedeutet mir sehr viel. Nebst den praktischen Aspekten – sie hat ein Auto und kann den Administrativkram managen – bin ich froh über die Vertrautheit, die über die Jahre gekommen ist, über den Humor, den wir teilen. Da ist ein großes Vertrauen und ich weiß: Ich kann bei ihr wirklich mal reden, über all die Dinge, die einen so kratzen.

Momente der Freude im Hospiz

Im Theater habe ich sehr viel über das Leben und die Menschen gelernt. Und ich hatte hohe Ansprüche: Neun Monate Probe für ein Stück, darunter geht nix. Das hat sich geändert. Heute sehe ich anderen zu und ich merke, wie sie sich freuen, etwas von sich zu geben. Es käme mir nicht in den Sinn, zu sagen: Mein Gott, was für ein Dilettantismus! Ich sehe das mit anderen Augen. Es ist nun mal nicht jeder ein Paganini oder eine Callas! Jeder soll es so machen, wie er es kann. Die Freude, die dabei rauskommt, die ist entscheidend.

Momente der Freude gibt es hier im Hospiz viele – so lustige Sachen, wo wir dann ewig drüber lachen. Wenn die Schwestern kommen, um mein Stoma zu pflegen, erfinden wir immer so Geschichten, von der Queen etwa, die mir, weil mir beim Hofknicks das Ding runterfällt, Hausverbot gibt. Auch beim Kartenspielen witzeln wir rum.

„Fragt mich jemand, ob ich noch eine rauchen will, sage ich nie nein“: Gisela Schulze genießt die stillen Momente auf der Terrasse.
„Fragt mich jemand, ob ich noch eine rauchen will, sage ich nie nein“: Gisela Schulze genießt die stillen Momente auf der Terrasse. | Bild: Severin Bigler

Wenn ich anderen Menschen in meiner Situation etwas weitergeben könnte, dann wären es nicht so Floskeln wie ‚Man muss den Tod annehmen‘. Nein! Den Humor sollte man nicht verlieren, das ist das Wichtigste!

Zum Glück begegnen einem im Hospiz nicht diese Gesichter, die das Elend der Welt in sich tragen. Hier sagt niemand: Mein Gott, diese arme Frau, um Gottes willen, was die bloß alles ertragen muss. Im Gegenteil: Hier heißt es: Also jetzt mal hopp, Gisela! Ich bin froh, herrscht da nicht diese riesige Betroffenheit, das würde mich ja selbst nur traurig machen.

In meinem Zustand reagiert man sehr sensibel auf die Emotionen, die auf einen zukommen. Manchmal habe ich das Gefühl: Ich bin so empfindsam, ich hör die Flöhe husten! Die Herzlichkeit hier im Hospiz, dieses dem Leben Zugewandte, die macht, dass man sich – so sensibel, wie man ist – ganz einfach aufgehoben fühlt.

Manchmal ist Gisela Schulze, als höre sie die Flöhe husten: „Ich bin sehr empfindsam geworden.“
Manchmal ist Gisela Schulze, als höre sie die Flöhe husten: „Ich bin sehr empfindsam geworden.“ | Bild: Severin Bigler

Steht hier im Gang eine Kerze vor einer Tür, weiß man: Es ist jemand gestorben. Ich habe keine Angst mehr davor. Ich wünsche dem- oder derjenigen, dass es wunderbar geht, stelle mir vor, die Leute sind jetzt glücklich. Früher hätte ich wohl gedacht: Mein Gott, ist das alles furchtbar! Was mache ich jetzt, wie reagiere ich jetzt? Zugegeben, ich möchte nicht grad mit dem Rollator um die Ecke fahren, wenn dann der Sarg kommt. Aber ich wünsche allen, die sterben, dass es ein schönes Gehen war. Ich rufe ihnen innerlich zu: Freut euch, tanzt hinüber, macht ein lustiges Fest aus dem Ganzen!“

Das sagt Birgit Kramer (59), eine Freundin und Begleiterin von Gisela

„Das Hospiz stand für mich immer für das Ende des Lebens. Aber was das genau ist, wusste ich nicht. Für mich ist die Freundschaft mit Gisela eine wunderbare Gelegenheit, jemanden bei den letzten Schritten zu begleiten. Bei ihr geht es in Wellen, und ich erlebe und merke dabei, dass der Weg zum Tod nicht so schlimm ist, wie er oft dargestellt wird. Ich kriege jetzt mit, wie fürsorglich der Umgang hier ist und wie Gisela dadurch auch wieder zum Leben erweckt wird.

Gisela Schulze und ihre Freundin Birgit Kramer im „Stübli“ des Hospiz Aargau in Brugg.
Gisela Schulze und ihre Freundin Birgit Kramer im „Stübli“ des Hospiz Aargau in Brugg. | Bild: Severin Bigler

Das Jammern, dieses ‚Du tust mir leid‘ ist völlig fehl am Platz. Krankheit, Elend, Leid sind gar keine Themen bei uns. Wir lachen oft zusammen. Die Schauspielerei ist ihr ins Blut geschrieben und ich muss aufpassen, dass ich auch die leisen Töne dahinter mitkriege. Ich finde eindrücklich, wie sie den Weg geht. Es gibt mir die Gewissheit, dass er schön sein kann. Was hinterherkommt, wissen wir alle nicht.

Das Personal hier gibt einem nicht das Gefühl, man sei in einer Umgebung, wo man speziell behütet wird oder jemanden mit Samthandschuhen anfassen muss. Es wird nicht so ein Brimborium um die ganze Sache gemacht. Man merkt, dass die Menschen, die hier arbeiten, geübt sind im Umgang mit dem Sterben und dem Tod. Der Alltag nimmt ganz normal seinen Lauf, da trinkt jemand Kaffee, da wird etwas zum Essen serviert, es macht jeder, was er halt kann.

Für mich wär das jetzt noch zu schwer, rund um die Uhr hier zu sein. Auch wenn ich selbst mal kurz vor dem Tod war und von meinem Beruf als Röntgenassistentin her mit Krankheiten und schweren Diagnosen vertraut bin: Es ginge mir zu nahe. Ich bin es – von meinem Alter und meinem Gesundheitszustand her – irgendwie gewohnt, dass es stets wieder aufwärtsgeht. Bei Gisela aber geht es abwärts, sie geht Richtung Tod – und das ohne Umkehr. Das ist eine vollkommen andere Perspektive.

„Hier im Hospiz wird nicht so ein Brimborium um die ganze Sache gemacht“: Birgit Kramer.
„Hier im Hospiz wird nicht so ein Brimborium um die ganze Sache gemacht“: Birgit Kramer. | Bild: Severin Bigler

Ich finde es wunderschön, dass sie ihren Weg in Würde voranschreiten und ihren Bedürfnissen – wo immer möglich – selbstbestimmt folgen kann. Barfuß gehen, laut lachen, den Rollator auch mal stehen lassen, auf der Terrasse rauchen: Das alles ist hier möglich. Durchs Hospiz weht eine Art Freiheit: Da man hier sowieso stirbt, ist es egal, ob es am Schluss der Sturz über die Schwelle war oder der Herzinfarkt beim Krimilesen.“

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Der Artikel stammt von der „Aargauer Zeitung“. Dort erschien der Beitrag zuerst.