Die Stimme an der Gegensprechanlage ist freundlich, aber ziemlich bestimmt: „Keine Fotos, und keine weiteren Informationen.“ Und kurz hereinkommen und sich umschauen, gehe schon gleich „gar nicht“! Nach der Aufforderung, das Gelände zügig zu verlassen, bleibt die Leitung ins Innere des festungsartigen Industriebaus tot.
Wer dieser Tage versucht, sich ein Bild zu machen, was der internationale Zahlungsdienstleister Swift in Diessenhofen am Hochrhein so treibt, bekommt eine recht unverhohlene Abfuhr.
Und das obwohl in einem Industriegebiet am Rand des malerischen Städtchens gerade ein klein wenig Weltgeschichte geschrieben wird. Swift, jene diskrete Banken-Genossenschaft, ohne die der globale Zahlungsverkehr in die Steinzeit zurückversetzt würde, betreibt hier eines seiner weltweit nur drei Hochsicherheits-Datenzentren.
Milliarden internationale Zahlungsoperationen von Banken werden in den Rechner-Komplexen verarbeitet – jeden Tag. Werden die Zahlungen freigegeben, wechseln Wertpapiere ihren Besitzer, setzen sich Fließbänder in Bewegung oder Containerschiffe verlassen ihre Häfen. Würde Swift ausfallen, hätte dies Konsequenzen fürs Finanzsystem und den Welthandel, die Experten schon mal mit der Zündung einer „Atombombe“ umschrieben haben.
Seit Russland wegen seines Angriffskriegs gegen die Ukraine von Swift ausgeschlossen worden ist, ist man bei der Banken-Genossenschaft in Alarmbereitschaft. Vor einigen Tagen hat die Thurgauer Kantonspolizei nach Medieninformationen ihre Sicherheitsvorkehrung für den mehrere Fußballfelder großen Diessenhofener Swift-Komplex erhöht. Rund ums Gelände, um den sich ein etwa drei Meter hoher Zaun mit Betonmauern erstreckt, patrouilliert jetzt ein privater Sicherheitsdienst. Und Kameras, die überall auf dem Gelände verteilt sind, zeichnen alles und jeden auf.
Sicher ist indes auch das nicht. Denn Anfragen zum Standort beantwortet Swift nicht. Bei dem, was das Unternehmen in Diessenhofen tue, handele es sich um das „bestgehütete Geheimnis des Thurgaus“, mutmaßte daher die „Thurgauer Zeitung“ jüngst.
Fünf Etagen unterirdisch?
Und die Züricher „NZZ“ will herausgefunden haben, dass „selbst die kantonalen Behörden“ noch nie einen Fuß ins Gebäude setzen durften. Das stimmt wohl, denn auch vor Ort ist man ratlos, was in dem rot gestrichenen, festungsartigen Bau, der sich auf fünf Etagen unterirdisch erstrecken soll, genau geschieht.
Wissen müsste das eigentlich Walter Sommer. Als sich Swift im Jahr 2010 entschied, den Standort in Diessenhofen hochzuziehen, war der heute 70-Jährige Bürgermeister des Thurgauer Örtchens. Stadtpräsident, wie die Schweizer sagen. „Sehr zurückhaltend“ sei die Kommunikation der Swift-Verantwortlichen über die Jahre hinweg gewesen, sagt der Ex-Stadtvater.
Lediglich bis zur offiziellen Einweihung des Hochsicherheits-Komplexes im Jahr 2013 habe es „engere Kontakte“ gegeben. Mehrere Gespräche mit „hochrangigen Swift-Managern“, aber auch persönliche Treffen mit dem Leiter des Rechenzentrums. Über den Inhalt der Gespräche will sich Sommer nicht äußern.

Wahrscheinlich kann er das auch gar nicht. „Wir haben von Swift die Auskunft, dass wir keine Auskunft geben dürfen“, sagt Sommers Nachfolger, Markus Birk. Seit 2017 steht er der 3300-Seelen-Gemeinde Diessenhofen vor und ist damit auch verantwortlich für das geheimnisumwitterte Unternehmen im Industriegebiet. Es gebe da „ein rechtliches Agreement“, sagt Birk am Telefon. Er dürfe nicht einmal sagen, woher das Datenzentrum seinen Strom beziehe.
Auch Thomas Auer, Bürgermeister von Diessenhofens deutscher Nachbargemeinde Gailingen am Hochrhein, kann bei der Frage nach Swift nur mit den Achseln zucken. „Ich bin eigentlich gesprächig“, sagt der Kommunalpolitiker, der traditionell einen engen Kontakt auf die Schweizer Rheinseite pflegt. Aber bei Swift sei man seit jeher auf „absolute Diskretion geeicht“.
Swift-Bau war von Anfang an umstritten
Tatsächlich war die Ansiedlung der Finanzinstitution im beschaulichen Diessenhofen, über dessen mehr als 200 Jahre alte Holzbrücke sich täglich der Verkehr quält, schon umstritten als die Pläne dafür vor über einem Jahrzehnt bekannt wurden. Genau wie heute fürchteten Manche auch damals Anschläge oder Cyber-Attacken. Zudem ging es um die Umweltprobleme, die die Versiegelung von rund 7,5 Hektar Fläche nach sich ziehen könnte. Am Ende half alles nichts. Die Bagger rollten an. Zu viel sprach für den Standort.
Durch einen Höhenrücken vom Rhein getrennt, ist das Gelände vor Hochwasser gut geschützt. „Weitere Kriterien waren die Erdbebensicherheit und dass der Standort weit genug weg von Einflugschneisen des Flughafen Kloten ist“, sagt Ex-Bürgermeister Sommer heute. Auch die guten Datenverbindungen und die Nähe zum Finanzplatz Zürich mit seinen hochqualifizierten Fachleuten habe damals eine Rolle gespielt.
Terror sorgte für neues Rechenzentrum
Dass Swift neben seinem niederländischen Rechenzentrum in der Nähe von Den Haag überhaupt einen neuen Rechnerknoten in Europa brauchte, hatte auch etwas mit Terrorismus zu tun. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ermöglichte der US-Kongress US-Behörden eine umfangreiche Überwachung von Finanztransaktionen.
In Europa fürchtete man damals, dass US-Geheimdienste unter dem Vorwand der Terrorermittlungen auch europäische Zahlungsinformationen abgreifen könnten. Weil in den Swift-Statuten festgelegt ist, dass alle Daten an zwei Standorten gleichzeitig gespeichert werden müssen, musste ein zweiter Standort in Europa her, auf den die Schlapphüte aus den USA keinen Zugriff haben – die Wahl fiel aufs Schweizer Diessenhofen.
Bislang ist das Städtchen mit seinem verschwiegenen Weltkonzern ganz gut gefahren. Um den Swift-Komplex herum hat sich ein Gewerbegebiet mit einem Einkaufsmarkt und mehreren kleineren Betrieben angesiedelt und einige der gut verdienenden Swift-Informatiker und Techniker sollen sich in Diessenhofen angesiedelt haben.
Wie viel verdient Diessenhofen an Swift?
Zudem sei Swift ein „guter Steuerzahler“, sagt Ex-Schultes Sommer. Weil das Steueraufkommen aber nach der relativ geringen Anzahl der Beschäftigten vor Ort bemessen werde und nicht an den dort abgewickelten Umsätzen, beliefe sich das Steueraufkommen für die Gemeinde „im bescheidenen Rahmen“, sagt er.
Dass sich Diessenhofen mit den Swift-Steuern vor einigen Jahren eine neue Sporthalle finanziert habe, was sich als Gerücht hartnäckig in der Stadt hält, weist Sommer zurück. „Wir haben Swift einiges zu verdanken“, sagt er. „Das aber nicht.“