Romeo und Julia sind das berühmteste Liebespaar der Theatergeschichte. Und eine tragischere Liebesgeschichte als die ihrige lässt sich kaum denken. Dass sich Menschen, die verfeindeten Familien angehören, unsterblich ineinander verlieben, um sehr bald in einem Doppelselbstmord zu sterben, findet sich bereits vorgeprägt in der Novellenliteratur der italienischen Renaissance. Lange davor schon, in Mythologie und Märchen, wurden Liebende durch Widrigkeiten getrennt. Und seit jeher gibt es im realen Leben Leute, die über die Gräben von Familienfehden, ethnischen Konflikten, religiösen Differenzen und Kriegen hinweg lieben und leiden.

William Shakespeares 1597 gedruckte Tragödie vor allem hat bewirkt, dass der Stoff in vielen Varianten und Kunstgattungen bis heute weitergetragen und verarbeitet worden ist. Neben anderen Vertretern der französischen Romantik war zum Beispiel der Komponist Charles Gounod von Shakespeares „Romeo und Julia“ besonders fasziniert.

Seine 1867 in Paris uraufgeführte Opernversion will keine gesellschaftskritische Tiefenbohrung leisten, sondern hat vor allem lyrische Qualitäten. Indem Gounods „Roméo et Juliette“ auf Intimität zielt und die wichtigsten Handlungsstationen der Vorlage besonders in vier großen Duetten zwischen den Titelfiguren vergegenwärtigt, erreicht der Fünfakter allerdings eine starke emotionale Sogkraft, was nun auch dessen Neuinszenierung am Opernhaus Zürich eindringlich bezeugt.

Auf den Punkt gebracht

Dabei verordnet der Bühnenbildner Andrew Lieberman dem Publikum eigentliche eine radikale Diät. Aber diese Askese präsentiert sich hochästhetisch und wirkt genau durchdacht. Zwei gegenübergestellte Stuhlreihen spannen im ersten Akt nicht nur das Setting der Ballszene auf, bei der Romeo die Liebe zu Julia wie ein Blitzschlag trifft, sondern bringen auch die Feindschaft der Häuser Capulet und Montague sinnbildlich auf den Punkt. Im weiteren Verlauf verengt sich das Bühnenbild immer mehr. Es genügt dann eine einzige Stuhlreihe – und sogar, wenn es ans Sterben der Liebenden geht, eine komplett leergeräumte Winzig-Fläche.

Für ausstatterische Kompensation sorgen die Kostüme von Annemarie Woods etwa mit einem strahlend weißen Hochzeitskleid für Julie, schicken Sakkos und Hosen für die Männer, festlich-opulenten Gewändern für die Choristen. Dass die heutig gekleideten Capulets und Montagues gleich aussehen, verweist auf die Sinnlosigkeit der Gewalt zwischen diesen Häusern.

Zwei gegenübergestellte Stuhlreihen in der Ballszene (Chor und Statistenverein der Oper Zürich) bringen die Feindschaft der Häuser ...
Zwei gegenübergestellte Stuhlreihen in der Ballszene (Chor und Statistenverein der Oper Zürich) bringen die Feindschaft der Häuser Capulet und Montague sinnbildlich auf den Punkt. | Bild: Herwig Prammer

Der Regisseur Ted Huffman spinnt das Motiv des initialen Festakts, den er als einen Debütantenball für die Upper Class inszeniert, noch etwas weiter. Tänzerisch belebte Raumausnutzung (Choreografie: Pim Veulings), lebendige Personenführung, ausgefeilte intime Szenen, präzises Timing: Bei einer solchen Regie ist kein Balkon für die „Balkonszene“ vonnöten und darf sich die Musik – was gerade bei dieser Oper wesentlich ist – ungehindert verströmen.

Karrierebeginn in Zürich

Der Tenor Benjamin Bernheim und die Sopranistin Julie Fuchs singen und spielen die Titelrollen. Beide haben in ihrer künstlerischen Biografie prägende Anfangsjahre in Zürich erlebt; beide sind inzwischen arrivierte Stars. Bernheim gebietet mit meisterhafter Technik über ein wahrhaft staunenswertes Stimmorgan. Er zieht Bogen um Bogen, ohne einzuknicken, ist intonationssauber und spitzenhöhensicher, kann das Volumen scheinbar mühelos von einem zarttonigen Pianissimo ins Fortissimo hochschrauben. Julie Fuchs gibt eine bewundernswerte Julia, lässt ihren Sopran frei und weit ausschwingen, entfaltet einen ausdrucksstarken poetischen Zauber in den Koloraturen und vermag gleichfalls staunenswert hoch zu steigen. In der Stimme liegt allerdings nicht nur reinstes Gold. Auch erscheint sie nicht überall ganz optimal fokussiert.

Yuriy Hadzetskyy und Omer Kobiljak geben kraftvoll und mit schauspielerischer Verve die Widersacher Mercutio und Tybalt. Es überzeugen ferner Svetlina Stoyanova in der Hosenrolle des zum Hauen und Stechen einladenden Stéphano, Brent Michael Smith als der ehrenwert intrigierende Pater Laurent und David Soar als Julias überdominanter Vater. Der von Ernst Raffelsberger präparierte Chor tönt substanzreich und klangschön.

Roberto Forés Veses steht als Gastdirigent vor der Philharmonia Zürich und führt diese sehr kompetent durch den Orchesterpart der hier gespielten letzten der drei auf teils abenteuerlichen Wegen entstandenen Fassungen von „Roméo et Juliette“ von 1888. Es gelingt eine farbenprächtige, wirkungssichere, melodienselig kantable und transparente Wiedergabe.

Weitere Vorstellungen: 13., 16., 22., 25., 28. April; 4., 7., 13., 18. Mai. Infos: http://www.opernhaus.ch Mitschnitt der Premiere als Video-on-Demand bis 9. Juni auf http://www.arte.tv