Die Welt braucht mehr Gärten. Viele davon und bunt müssen sie sein. Nicht, weil wir dann alle unabhängige Selbstversorger wären. Sicher, Kartoffeln, Zwiebeln, Lauch aus Eigenanbau wären gut in punkto ökologischer Fußabdruck. Worauf ich hier aber hinaus möchte, ist das: Wir Menschen werten den Boden auf, klar, lockern, düngen. Aber der Einfluss läuft auch umgekehrt. Der Boden verbessert uns. „Einen Garten kultivieren,“ heißt es und doch kultiviert der Garten uns. Jeden Einzelnen, die Gesellschaft, die Welt.

Sie wollen wissen, wie ich zu dieser steilen Behauptung komme? Ich lebe mit meiner Familie in Konstanz, mittendrin in der dichten Altstadt, eine Wohnung, kein Garten. Seit drei Jahren aber haben wir eine Schrebergartengemeinschaft, teilen uns eine große Parzelle mit zwei weiteren Familien. Anfangs wäre mir ein eigenes Stück Land lieber gewesen, aber die städtischen Gartenwartelisten hier sind unendlich lang. Startplatz sechshundertirgendwas. Also hieß es „untermieten“ oder gar nicht.

Unser Gemeinschaftsgarten liegt fünf Minuten mit dem Fahrrad entfernt von der Haustür und doch müssen wir, um dorthin zu gelangen, eine Staatsgrenze überqueren. Ein Kuriosum hier in Konstanz: Die Schrebergartenanlagen für die Innenstadt liegen auf Schweizer Staatsgebiet, Vereine aus D und CH Zaun an Zaun. Rückwärtig zu uns hängt neben einer adretten Hütte windgebügelt eine rote Fahne mit weißem Schweizerkreuz. Die Besitzerin, eine ältere Frau, grüßt nur, wenn der Entwässerungsgraben am gemeinschaftlichen Weg ordentlich getrimmt ist, dann aber jodelt sie ihr „Grrrüeziii!“ zu uns rüber.

Die Schriftstellerin Christine Zureich lebt in Konstanz. Zuletzt ist von ihr der Roman „Garten, Baby!“ (Ullstein) erschienen.
Die Schriftstellerin Christine Zureich lebt in Konstanz. Zuletzt ist von ihr der Roman „Garten, Baby!“ (Ullstein) erschienen. | Bild: Elaine Fehrenbach

Als wir im letzten Jahr, das gesammelte Regenwasser wieder mal zu knapp zum Gießen, endlich eine Wasserleitung gruben vom Nachbarn links aus, schimpfte sie, es sei Schweizerwasser aus einem Schweizergarten, das wir da abzapften! (Dass alles rechtens war und von beiden Gartenvereinen abgesegnet, fand sie bei ihrem Anruf dort selber heraus...).

Ein paar Wochen später schenkte sie mir dann aber ein halbes Dutzend Zucchini. „Ich ha scho z‘ viel Zuchetti gha und d‘Tochter au!“ Keine großzügige Haltung, eher die typische Gereiztheit für die Wucherwochen im Jahr. Dennoch: Sie hätte das Gemüse ja auf den Kompost werfen können. So menschenfreundlich hat der Garten mich gemacht, dass ich selbst in überzähligen Zucchini noch Zugewandtheit entdecke und guten Willen!

Als wir damals beim Nachbarn links um den Wasseranschluss anfragten, zierte der sich zunächst, ließ uns schwören, nach dem Tiefbau die Soden in seiner Parzelle sehr sorgfältig wieder einzusetzen. Bloß kein holpriger Rasen, Buckelpisten gehen schlecht zu mähen. Wir massierten beim Zurückpuzzeln mit den Fingerspitzen feinkrümelige Erde in jede Rille, Falte und Verwerfung, bis alles glatter und makelloser abschloss als zuvor.

Der Nachbar nickte bei der Abnahme anerkennend. Wenige Wochen später grub er, wo wir so sorgfältig rekonstruiert hatten, neue Beete um...Grund für Zwist am Gartenzaun? Ach, nur eine Gelegenheit, das Loslassen zu üben, ein besserer Mensch zu werden. Bei jeder Gießkannenfüllung, die aus dem neuen Hahn fließt, versuche ich, dankbar zu sein, gebe mir jedenfalls Mühe, was mir leichter fällt, wenn von nebenan nicht gerade laut Schlager plärren.

Reiche Ernte aus dem Gemeinschaftsgarten der Autorin.
Reiche Ernte aus dem Gemeinschaftsgarten der Autorin.

Eine Gartenanlage ist eben auch menschlich ein Biotop mit vielen verschiedenen Lebensformen. Baumarktputten und -säulen, Dauergrillen, tägliches Rasenmähen. Und eben Musik. Mit den Händen im Dreck macht mir das alles wenig aus. Bestes Menschlichkeitstraining. Toleranz ist ja auch nichts anderes als ein Muskel. Je mehr man sie fordert, desto belastbarer wird sie.

Jetzt hab ich Ihnen vor lauter Nachbarn den Garten selber noch gar nicht beschrieben. Lebendig ist er und üppig. Hohe alte Birken. Knorziger Holder, duftender Flieder. Heckenrosen am Zaun, Schmetterlinge und Bienen am lavendelgesäumten Weg. Vergangenes Jahr habe ich neben der Hütte eine seltene Seidenbiene entdeckt.

In vier Gemüsebeete arbeiten wir Kompost ein, zupfen Beikraut, lesen Steine auf. Kurz: Tun einiges für eine reiche Ernte. Wenn wir aber Erntedank feiern wollen, müssen praktisch alle Zutaten (außer Brennnesseln und Giersch) zugekauft werden. Es ist nämlich leider so, dass sich in unserem Garten nicht nur Menschen, Bienen und Schmetterlinge wohlfühlen. Die ca. 200 Nacktschnecken pro Salatsetzling will ich gar nicht erwähnen.

Verräterische Löcher

Wirklich bemerkenswert sind die Werren! Ich wusste die längste Zeit meines Lebens nichts von der Existenz dieser Insekten. Dann klärte mich der Nachbar von gegenüber auf, dass die verräterischen Löcher neben meinen fast erntereif abgefressenen Haferwurzeln von der auch Maulwurfsgrille genannte Heuschreckenart stammen. Klar versuche ich mich zu freuen, schließlich bin ich insektenfreundlich! Die Räuber stehen als „stark gefährdet“ auf der Roten Liste... Das bedeutet auch, dass sie nicht...ähm...beseitigt werden dürfen.

Meine Freude über die seltenen Gäste wäre vielleicht echter, authentischer, beherbergten wir nicht auch noch eine Wühlmauskolonie. Diese Biester fressen alles ab, was nicht Unkraut ist. Einmal habe ich es am helllichten Tag schmatzen gehört, als ein Setzling vor meinen Augen von unten in den Boden gezogen wurde. Ich konnte das Schnäuzchen aus dem Loch lugen sehen. Diese niedlichen Nager drohen tatsächlich mein friedfertiges Selbstbild in tausend Stücke zu sprengen.

Sprengen dabei das Stichwort: Es gibt da solche kleinen Selbstschussanlagen zu kaufen, die man in die Mäusegänge einbringt... Nein, habe ich nicht, obwohl die Dinger ein paar Tage in meinem online-Einkaufswagen lagen, nachdem nichts anderes geholfen hatte: Düfte, Sude, Klappern, Summer. Rizinusöl, literweise. Naturlieb ist das nicht, ich weiß; ich arbeite jede Saison aufs Neue daran, die Existenz von Wühlmaus und Werre zu akzeptieren; einfach anzunehmen. Das Gärtnern als Prozess verstehen, als Meditation. Nicht mehr auf das Ergebnis zu fixieren, auf eine Ernte...

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Unser Nachbar rechts ist da rabiater als wir, rückt den Mäusen konsequent zu Leibe, ins Detail gehe ich besser nicht. Pablo ist auch einer, der seine Pflanzen spritzt wie der Teufel, mindestens ein Mal die Woche. Und? Zeig ich ihm die kalte Schulter, weil er eine andere Gartenhaltung vertritt als ich? Nein, denn durch die täglichen Begegnungen habe ich gemerkt: Er ist super nett.

Gibt mir von seiner üppigen Ernte ab, obwohl ich vermute, dass er genervt ist von dem Reisig, das wir am Zaun zu ihm hin anhäufeln als Rückzug für Igel. Manchmal zeigt er dorthin und sagt so was wie: „Da wohnen Mäuse.“ Genau weiß ich es nicht, sein Deutsch ist nicht besonders gut. Aber das macht nichts. Am Ende des Tages sitzen wir oft zusammen und nicken, als verstünden wir uns, und irgendwie tun wir das auch. Wir sind Menschen in einem Garten. Ein unsichtbares Wurzelwerk hält uns zusammen, nährt uns.

Sie sehen, was ich meine? Die Menschheit braucht mehr Gärten!