Schon Cicero wusste, dass das Schönste am Frühling der eigene Garten ist. „Wenn du einen Garten in einer Bibliothek hast“, schrieb er an einen Freund, „so wird es dir an nichts fehlen.“ Es mag inzwischen umstritten sein, ob eine Bibliothek zur Glückseligkeit führt, manchen genügt auch ein Smartphone mit WLAN-Anschluss. Über den Wert des Gartens aber sind sich auch heute noch alle einig, wie das allgegenwärtige Buddeln, Schnippeln und Mähen beweist. Was haben wir an diesen paar Quadratmetern Grünfläche nur für einen Narren gefressen?

Die in Konstanz lebende Übersetzerin Christine Zureich hat einen Roman darüber geschrieben. „Garten Baby!“ ist im Ullstein-Verlag erschienen und erzählt die Geschichte eines Berliner Hinterhofgartens, der von Bewohnern des Mietshauses gepflegt wird. Eigentlich aber erzählt er die Geschichte der Bewohner selbst. Denn wer gärtnert, verrät etwas über sein eigenes Leben. Aber was?

Selbstverständlich könne sie das erklären, sagt Zureich am Telefon. Aber vielleicht wäre es doch am besten, das gleich vor Ort zu erkunden!

Wenig später gehen wir spazieren: vorbei an Vorgärten, eine kleine Kritik an Beispielobjekten – wo genau tut nichts zur Sache. Typ Nummer eins ist gleich ein extremer Fall. Das Haus signalisiert Wohlstand und Abschottung, der Garten ist ein englischer Rasen, umstellt von einem heckenartigen Gewächs. Rechte Winkel, wohin das Auge blickt, was sich Baum nennen darf, ist in akkurate Kugelform gebracht, und wo kein Rollrasen liegt, ist die Fläche mit grauen Steinen zugepflastert.

Dass uns die Arbeit im Garten so glücklich stimme, sagt Zureich, habe mit unserer Entwöhnung von den natürlichen Anstrengungserfahrungen zu tun. „Im Alltag ist Arbeit für die meisten von uns längst nicht mehr mit Dreck verbunden. Und auch das Ergebnis von Arbeit bekommen viele gar nicht mehr unmittelbar zu Gesicht.“ Im Garten zu wühlen sei da eine willkommene Ersatzhandlung: „Ich glaube, dass viele dabei eine kindliche Freude am Einsauen spüren!“ Aber gilt das auch für einen so sterilen Garten wie jenen dort?

So ein Garten, sagt die Autorin, sei immer auch ein Psychogramm. Es gelte das Motto: „Zeig’ mir deinen Garten, und ich sag’ dir, wer du bist!“ Wer etwa über die niedrige Hecke dieser rechtwinkligen Anlage schaut, der solle den Eindruck einer Erfolgsgeschichte gewinnen. „Sieh an, da lebt jemand Wohlhabendes, der nicht nur die Natur im Griff hat, sondern auch sein Leben.“ Um Gartenarbeit gehe es in diesem Fall wohl kaum. Denn wer in ihr Erfüllung sucht, der müsse die Natur als Lehrmeister akzeptieren. „Hier aber lehrt die Natur gar nichts mehr, weil sie bezwungen und in Form gepresst wird.“

Das Denken dahinter ist nicht neu. Schon im Zeitalter der Aufklärung verstanden die Reichen und Mächtigen ihren Garten als Instrument, um ihre Willenskraft unter Beweis zu stellen. Ob in den Gärten von Versailles oder im Park Sanssouci: Mit symmetrischen Formen und geradlinigen Anordnungen dokumentierte man die Unterwerfung nicht nur des Volks, sondern sogar der Natur. Wem sogar die Rosen gehorchten, so die dahinterstehende Logik, dem sollte ein Mensch schon gar nicht widersprechen.

Wenig weiter können die Rosen machen, was sie wollen. Der Garten eine Wildnis, die Besitzer offenkundig überfordert. Aber ist das so schlimm? „Nein“, findet Zureich. „Eigentlich sieht das sogar ganz schön aus.“ Und doch: Man spüre, wie es bei diesem Anblick viele Passanten „tierisch kribbelt“. Einen Garten einfach sich selbst zu überlassen, das gelte nämlich als ungeheure Provokation. „Das ist ja ein halböffentlicher Raum. Nicht so wie mein Wohnzimmer, das nur diejenigen zu sehen bekommen, die ich auch einlade.“

Mit dem Garten steht und fällt das persönliche Prestige, und das mache Kritik auch so heikel. „Man pflanzt seine Weltsicht ins Beet. Und wenn diese Weltsicht Kritik erfährt, fühle ich mich schnell verletzt.“ Das erkläre auch, warum im Garten Glück und Leid so nahe beieinander liegen. So unbestritten die Freude am kleinen Paradies erscheint, so legendär ist der Streit am Gartenzaun. „Da beginnt dann der Kampf um die Expertise. Wer definiert, was schön ist und was hässlich? Wer weiß, ob man umgraben soll oder nicht?“ Wer im Grünen Frieden will, der sollte sich in Demokratie üben. Ein Garten für viele, gleichberechtigter Zugang garantiert: Dann klappt’s auch mit dem Nachbarn.

Wie das gehen kann, zeigt ein drittes Beispiel. Irgendwo hinter einem großen Gebäude wachsen am Grundstücksrand Gurken und Tomaten. An einem Pfosten erklärt ein „Manifest“ die Hintergründe. „Die Stadt ist unser Garten“, heißt es da: Wer Brachflächen bewirtschafte, schaffe „Orte der Begegnung“ und eine „demokratische und plurale Stadtgesellschaft“. Ein Garten als soziales Projekt: Ist das nicht ein bisschen zu viel der Erwartungen?

Es kommt wohl auf den Umgang mit ihm an. Natürlich, sagt die Autorin, sei unser Bedürfnis nach einem eigenen Garten nicht nur Ausdruck eines gewachsenen Unbehagens am modernen Arbeitsalltag. Es sei auch das Erbe unserer christlichen Kultur: der Garten Eden als Paradies, aus dem der Mensch aus eigener Schuld vertrieben wurde. Für Zureich ist der Sündenfall, also die Frucht der Erkenntnis, eine Metapher für die Einsicht in die Unterschiedlichkeit von Mann und Frau. Indem der Mensch also das Trennende erkennt, verliert er sein Paradies.

Wer glaubt, es ganz für sich allein wieder errichten zu können, befindet sich womöglich auf dem Holzweg. Er wird zwar Bäume pflanzen und Unkraut jäten, dabei aber das Entscheidene verpassen: das Überwinden der Trennung. Beim gemeinsamen Gärtnern, sagt Zureich, lerne man, den anderen mit seinen Eigenarten auszuhalten. In ihrem Buch zeigt sie das an Figuren wie einer latent fremdenfeindlich daherredenden Seniorin oder einem sich andauernd streitenden Pärchen.

„Anderssein gehört nicht unbedingt herausgezerrt und ausgehandelt“, sagt Zureich. „Aber sowohl für einen Garten als auch für die Menschheit ist Monokultur etwas Schwieriges und Gefährliches.“ Ohne Toleranz für Wildwuchs gehe nicht nur jeder Garten ein, sondern auch jede Gesellschaft. Zu beobachten sei das aktuell in Zürich, jener Stadt, die so homogen und wohlgeordnet ist, dass kürzlich eine Regierungsrätin eigens Berlin zum Vorbild empfahl. Junge Menschen, die „moderne Themen wie die Digitalisierung vorantreiben“, könne nur gewinnen, wer in einer Stadt auch vermeintliche Problemviertel wie das Koch-Areal akzeptiert. Auch in ihrer Heimatstadt Konstanz gebe es Anlass, sich über die Gefahren von Monokultur Gedanken zu machen, findet die Autorin: „Gesellschaftlicher Fortschritt besteht darin, einerseits eine gewisse Verbindlichkeit herzustellen, andererseits aber auch die Pluralität von Lebensformen auszuhalten.“

So ist ein Garten nicht nur Paradies und Psychogramm. Er ist vor allem auch Politik: die grüne Seite unserer Demokratie. Im Frühling lässt sie sich wieder einüben.

"Garten Baby!" – so ist das Buch von Christine Zureich

Ein Hornissen-Nest sei zu viel Natur für jemanden im Grünen, sagt Dorothea Blum. Die Ich-Erzählerin in Christine Zureichs Roman-Debüt „Garten Baby!“ ist Bewohnerin eines Mietshauses irgendwo in Berlin. Was sie „im Grünen“ nennt, beschränkt sich auf ein paar Quadratmeter im Hinterhof: Können da ein paar Hornissen wirklich schon zu viel des Guten sein? Sie können es, und zwar ganz genau so, wie auch ein einziger Nachbar bei aller Lust an der Geselligkeit das Fass zum Überlaufen zu bringen vermag.

In Zureichs Hinterhofgarten erleben wir beides. Einerseits die Freude und das Leiden an der Natur. Andererseits die Sehnsucht nach und Furcht vor der Zivilisation. Denn am Umgang mit Bäumen, Vögeln und Gemüse-Sorten zeigen sich die zwischenmenschlichen Abgründe. Da ist zum Beispiel die grantige Frau Dittrich, die einen rostigen Nagel in den Kirschbaum hämmert, damit er bald gefällt werden muss. Oder der Zahnarzt Dr. Zindler, der mutmaßlich seine arme Frau schlägt, was sich nur im Garten überdeutlich vernehmen lässt. Eines Tages findet Dorothea beim Unkrautjäten sogar einen menschlichen Finger! Ist hier etwa ein Mord verübt worden?

Tatsächlich verhält es sich mit den Nachbarn wie mit den Hornissen: Was auf den ersten Blick böse und gefährlich scheint, entpuppt sich als freundlich und harmlos. Allzu harmlos für einen Roman, der ganz auf die Wirkung seiner zahlreichen Pointen vertraut und tiefere Reflexionen gar nicht erst anstrebt. Flott geschrieben, flüssig zu lesen, bietet er immerhin eine leichte Sommerlektüre: für unbeschwerte Tage im heimischen Garten.