Immer mehr Deutsche zieht es in die Schweiz. 2010 lebten 263.271 Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit in der Schweiz, 2023 waren es schon 323.574 Menschen.
Die Gründe zum Auswandern sind vielfältig, weiß Roman Welzk. Der 35-Jährige hat 2019 den Sprung in die Schweiz gewagt, nun bringt er anderen das Auswandern in die Schweiz bei, in den Sozialen Medien folgen ihm mehr als 23.000 Menschen.
Viele Familien kämen finanziell auf keinen grünen Zweig mehr, seine jüngere Zielgruppe wandere aus, um mehr verdienen zu können. Die Leute würden sich um die Zukunft ihrer Kinder sorgen, sagt er.
Jennifer Goltze, 38, lebt in Romanshorn
So auch Jennifer Goltze. Die 38-Jährige ist gebürtige Berlinerin, verbrachte ihr ganzes Leben in der Hauptstadt. Dort sah die diplomierte Pflegefachkraft für sich, ihren Mann und den gemeinsamen, mittlerweile 15-jährigen Sohn keine Zukunft mehr. In Berlin arbeitete sie im Drei-Schicht-System, das sei ihr an die Substanz gegangen. Im Beruf war sie unzufrieden, wollte sich weiterentwickeln – das sei ihr in Deutschland nicht möglich gewesen.
Dass sie mal auswandern wollte, habe sie schon immer gewusst. Seit Anfang 2024 lebt sie nun in Romanshorn. Dort arbeitet sie auch, sie sei sogar binnen kurzer Zeit zur Teamleiterin in einem Pflegebetrieb aufgestiegen.

In der Schweiz sei sie glücklich. Nach einigen Monaten habe auch ihr Mann eine Anstellung in Romanshorn gefunden, ihr Sohn habe seine Schulnoten verbessern und bereits eine Ausbildungsstelle finden können.
Ihr Beruf in der Pflegebranche erfülle sie wieder. Sie arbeite nicht mehr im Schichtsystem, könne ihre Mittagspause sogar zu Hause verbringen, ihr Berufsalltag sei viel stressfreier als noch in Deutschland. Finanziell merke sie einen Unterschied – als ihr Ehemann beispielsweise beim Umzug in die Schweiz zunächst keinen Job fand, konnte sie ihre Familie mit ihrem Gehalt und Ersparnissen über Wasser halten. „In Deutschland wäre das undenkbar“, sagt sie.
Und die Lebenshaltungskosten? „Das hält sich die Waage“, so die 38-Jährige. Der Preis für einen Wocheneinkauf sei mit dem in Deutschland zu vergleichen, für ihre 110 Quadratmeter Wohnung mit Tiefgaragenstellplätzen zahle sie grob 1900 Franken (rund 2040 Euro), sagt sie.
Natürlich müsse es jedem bewusst sein, im Zweifelsfall erstmal allein auf sich gestellt zu sein: „Der Austausch zwischen mir und meinen engen Freunden fehlt mir. Das Vorurteil, dass man Deutsche hier nicht mag, stimmt aber nicht. Aber die Deutschen, die herkommen nur, um Geld zu verdienen, die will man nicht. Man muss sich schon integrieren.“
Obwohl sie in der Schweiz glücklich ist, rät sie jungen Leuten oder Familien mit kleinen Kindern davon ab, den Gang ins Nachbarland zu wagen. Auch Leuten, die in Deutschland gut situiert sind und beispielsweise Eigentum haben, brauchen laut ihr nicht in die Schweiz zu ziehen. „Man muss gut strukturiert sein und sich vorher informieren“, rät sie. „Sonst geht das nach hinten los.“
Jonas Dietsche, 25, lebt jetzt in Zürich
Der 25-jährige Jonas Dietsche ist im Grenzgebiet aufgewachsen, in Singen ging er zur Schule. Die Schweiz kennt er also gut: „Und wenn ich nur mal zum Tanken drüben war“, sagt er und schmunzelt.
Nach seinem dualen Wirtschaftsinformatik-Studium in Stuttgart blieb er erstmal für einige Zeit bei seiner Firma, doch dann brauchte er berufliche Veränderung, sagt er. Dass es also irgendwann Zeit war, sich nach einer neuen Stelle umzuschauen, wusste er. Dass er dafür in die Schweiz ziehen würde, aber nicht.
Durch die interne Jobbörse seines Arbeitgebers wurde er dann auf ein Stellenangebot in anderer Position aufmerksam – in der Schweiz. Lang überlegen musste er nicht. „Der Job war einfach attraktiv“, sagt Dietsche. Den hätte er aber auch in Deutschland gemacht.
Seine Partnerin ist ein halbes Jahr später zu ihm in die Schweiz gezogen. Einen „Kulturschock“ haben beide aber nicht erlebt, sagt Dietsche. Im Gegenteil: „Die Schweiz ist ja fast wie Deutschland. Nur eben anders.“
Einiges würde in der Schweiz besser funktionieren, seiner Ansicht nach. Das Steuersystem finde er nachvollziehbarer, die Zugverbindungen stabiler. Die Schweiz sei technologisch fortgeschrittener, überall könne man mit Karte bezahlen, durch das Franchise-System bei der Krankenkasse komme man außerdem schneller an Arzttermine. Er befürworte, dass man sich in der Schweiz mehr mit seinen eigenen Finanzen beschäftigen muss: „Das tut einem gut, wenn man weiß, wo man steht.“
Der Arbeitsalltag sei aber ein anderer, sagt er. So habe er bei einer höheren Wochenarbeitszeit weniger Urlaub. In der Schweiz herrsche eine Leistungskultur: „Wer nur arbeitet, um ein bisschen Geld zu verdienen, wird es hier schwer haben. Man muss schon zeigen, was man kann“, sagt Dietsche.
Für wen es sich laut ihm lohnt, auszuwandern? „Für jeden, der keine kleinen Kinder hat“, sagt Dietsche. Denn Kinder seien teuer, der Mutterschaftsurlaub betrage nach der Geburt nur 14 Wochen. Sollte es bei dem 25-Jährigen mal so weit sein, könnte er es sich überlegen, nach Deutschland zurückzukehren. Doch bis dahin, ist er in der Schweiz glücklich: „Ich habe hier meinen Hafen aufgebaut“, sagt Dietsche.
Der Auswanderer-Guru ist glücklich
Auch Roman Welzk ist mit seiner Entscheidung, in die Schweiz zu ziehen, noch glücklich. Dass es an der Schweiz aber nicht nur positive Seiten gibt, weiß auch er. Teilweise sei das deutsche Nachbarland konservativer, als Deutschland.
„Die Frauenrechte in der Schweiz sind eine Katastrophe“, findet er. Der letzte Kanton, der das Frauenwahlrecht einführte, war Appenzell Innerrhoden 1990, auf einen Entscheid des Schweizerischen Bundesgerichts hin. Auf Bundesebene wurde das Frauenwahlrecht 1971 eingeführt – in Deutschland bereits 1918.
In der Schweiz werde noch ein konservativeres Familienmodell gelebt, sagt Welzk. Das liege zum einen am kurzen Mutterschutz an der Geburt, zum anderen an teuren Kita-Gebühren. Als schwangere Frau bekomme man wenig Unterstützung, sagt Welzk, er selbst finde das „völlig absurd.“
Einen Trend zum Auswandern in die Schweiz sieht er auch nicht. Im vergangenen Jahr seien laut ihm weniger Leute ausgewandert, als die Jahre zuvor. „Es gibt eine natürliche Balance“, glaubt er, „es gibt gar nicht so viele Jobs wie Leute herkommen wollen.“

Jeder, der zu großen Respekt habe, um vollständig auszuwandern, könne laut Welzk auch Grenzgänger werden. Wohne man dann in der Schweiz, komme man aufgrund geringerer Steuerlast finanziell besser weg. „Am meisten lohnt es sich aber, in der Schweiz zu wohnen und auch in der Schweiz zu arbeiten“, schmunzelt er. Er muss es ja wissen.