Noch im April des vergangenen Jahres kostete ein Euro etwas mehr als einen Schweizer Franken. Anfang April 2023 gab es für einen Franken exakt 1,008 Euro. Seitdem ging es für die EU-Gemeinschaftswährung rapide bergab – oder für den Franken steil bergauf, je nach Lesart. Vorläufiger Tiefpunkt der Entwicklung: Am 4. Januar gab es für einen Euro nur noch 0,93 Franken, seither pendelt der Kurs knapp über diesem Niveau.

Nur 2015 war der Wechselkurs niedriger

Zeitweise war der Preis für den Euro in den letzten Tagen des Jahres 2023 sogar unter 93 Rappen gefallen – so tief gesunken war er zuvor nur für kurze Zeit im Jahr 2015, nach der Aufhebung des Euro-Mindestkurses durch die Schweizerische Nationalbank (SNB). Für den Schweizer Wirtschaftswissenschaftler Jan-Egbert Sturm gibt diese Entwicklung das Bild wieder, das sich seit Monaten zeigt. Franken topp. Euro flopp.

Der Ökonom Jan Egbert Sturm ist Direktor der Schweizer Konjunkturforschungsstelle KOF an der ETH Zürich.
Der Ökonom Jan Egbert Sturm ist Direktor der Schweizer Konjunkturforschungsstelle KOF an der ETH Zürich. | Bild: ETH Zürich / Giulia Marthaler

Als Grundursache für den Umschwung beim Wechselkurs sieht er die Inflationsdifferenz zwischen den beiden Ländern. So war die Inflationsrate im November 2023 in Deutschland mit 3,2 Prozent mehr als doppelt so hoch wie in der Schweiz, wo sie 1,4 Prozent betrug. In den Monaten davor war die Spanne sogar noch deutlich höher. Zusätzlich trage aber auch die rückläufige Inflation in Deutschland zur Aufwertung des Franken bei, erklärt Sturm.

Starker Franken schlecht für exportierende Firmen

Denn der Inflationsrückgang hierzulande schüre Erwartungen an Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank und senke damit den Wert des Euros. Dazu lassen die Wirtschaftsdaten aus der Eurozone eine zumindest milde Rezession erwarten. Ganz unabhängig davon müsse man aber auch bedenken: „Der Schweizer Franken gilt als sicherer Hafen, gerade in geopolitisch unruhigen Zeiten“.

Jean-Philippe Kohl ist Vizedirektor und Leiter Wirtschaftspolitik bei Swissmem.
Jean-Philippe Kohl ist Vizedirektor und Leiter Wirtschaftspolitik bei Swissmem. | Bild: Markus Bertschi

Trotzdem schlägt nun auch die Schweizer Wirtschaft Alarm. Denn so sehr sich Grenzgänger über einen starken Franken freuen, da damit ihre Gehälter in Euro umgerechnet aufgewertet werden – für aus der Schweiz exportierende Firmen stellt er ein Problem dar, werden ihre Produkte doch für Firmen aus dem Ausland teurer. „Die starke Aufwertung des Franken kommt in einer Zeit, in der die Industrie insgesamt eine Rezession durchläuft“, merkt Jean-Philippe Kohl an. Kohl ist Vizedirektor von Swissmem, dem Verband der Schweizer Tech-Industrie. 80 Prozent des Umsatzes macht hier der Export aus.

Industrie erwartet Handeln von SNB

Die wichtigsten Absatzmärkte sind Europa und die USA, weswegen die Aufwertung des Frankens gegenüber dem Euro (und dem US-Dollar) für Sorgenfalten in der eidgenössischen Industrie sorgt. „Wir stehen unbestritten zur Unabhängigkeit der SNB – aber wir erwarten auch, dass sie innerhalb ihres Spielraums auf die Lage der Firmen reagiert, sofern damit die Preisstabilität nicht gefährdet wird“, so Kohl. Langfristig sei die Schweizer Bundespolitik gefordert, sie müsse beispielsweise mit neuen Freihandelsabkommen die Rahmenbedingungen verbessern.

In Zukunft könnten sich diese Kommentare aus der Industrie häufen, erwartet Elias Hafner, Devisenstratege bei der Zürcher Kantonalbank. „Für die traditionell stark mit Deutschland verbandelte Schweizer Industrie kommt die Aufwertung des Franken zur Unzeit, schon jetzt hat sie rezessive Anzeichen.“ Auch er sieht in der Inflationsdifferenz die Hauptursache für die Entwicklung des Wechselkurses. So seien die Preise in Deutschland und Europa für Gas, Strom und Grundnahrungsmittel deutlich stärker angestiegen als in der Schweiz.

Das bedeutet aber nicht, dass für Deutsche ein Besuch im Nachbarland nun attraktiver geworden ist. Denn durch den schwachen Euro ist jeder Einkauf noch kostspieliger. Wer heute in der Schweiz für 50 Franken einkauft, bezahlt dafür umgerechnet 53,70 Euro. Im April des vergangenen Jahres waren es noch 50 Euro. Umgekehrt bedeutet das aber auch: Schweizer Einkaufstouristen in Deutschland können für 50 Franken jetzt Waren im Wert von 53,70 Euro kaufen statt für 50 Euro.

Elias Hafner ist Devisenstratege bei der Zürcher Kantonalbank.
Elias Hafner ist Devisenstratege bei der Zürcher Kantonalbank. | Bild: grund.photo

Euro vermutlich auf lange Sicht schwächer als der Franken

Falls der Kurs des Euros noch weiter fällt, „was durchaus möglich ist“, kann sich Hafner eine Intervention der SNB durchaus vorstellen: „Um die Schweiz vor importierter Inflation zu schützen, hat die SNB im vergangenen Jahr vornehmlich Devisen verkauft – und den Franken dadurch aufgewertet. Nun könnte sie der starken Aufwertung entgegentreten, indem mehr Franken auf den Markt gebracht werden.“

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Wie der Trend sich in naher Zukunft entwickle, sei schwer zu prognostizieren, „viel hängt vom Wirtschaftsverlauf im Euroraum ab“. Es sei aber auf lange Sicht zu erwarten, dass der Euro weiterhin schwächer als der Franken bleibe – neben der Inflationsdifferenz, auch aufgrund des Ansehens des Frankens als Zufluchtsort in Zeiten von globalen Krisen. Denn, so Hafner: „Der Schweizer Franken war selbst zu Beginn des Krieges in Nahost die Währung, die am stärksten aufgewertet wurde.“