So schön sind die Bilder, die im Internet vom idyllischen Alpstein kursieren. Zauberhafte Bergseen, ein in einen Felsvorsprung gehauenes Gasthaus, atemberaubende Wanderwege hoch oben an den Kanten der Felsen. Schon am Flughafen Zürich wird mit einem großformatigen Bild vom Seealpsee geworben. Zu sehen: Ruderboot, Kuh und ein einladendes Panorama.

Doch sind die Wanderwege im Appenzellerland kein Spazierweg für Sonntagsausflüge. Im Gegenteil: Kürzlich verunglückten wieder zwei Wanderer tödlich auf dem Wanderweg zwischen den Sightseeing-Hotspots Aescher und dem Seealpsee. Der Weg fordert immer wieder Todesopfer. In den letzten Jahren kamen auf dem rund zwei Kilometer langen Wanderweg acht Menschen ums Leben. Doch was macht diese Passage so gefährlich?
Strecke wird vielfach unterschätzt
Die Strecke zwischen dem Berggasthaus Aescher und dem Seealpsee verläuft größtenteils in einem bewaldeten Gebiet. Der Abstieg vom fotogenen Gasthaus zum See geht mit 352 Metern in die Knie. Einige Stellen sind durchaus auch für geübte Wanderer eine Herausforderung.
Speziell die kurzen, spitzen Kehren bei Dürrschrennen sind steil und gefährlich, da sich unmittelbar darunter eine etwa 80 Meter hohe Felswand befindet. Trügerisch dabei sind die vielen Bäume, die den Weg säumen und den Wanderern vermitteln, sie seien in einem schützenden Wald und könnten sich in Notfall an den Bäumen festhalten.

Genau das sei unter anderem eine Ursache für die vielen Abstürze, sagt Roland Koster von der Appenzell Innerrhoder Kantonspolizei: „Die Leute unterschätzen die Schwierigkeit dieser steilen Passagen und denken, sie seien auf einem Waldweglein. Dass sich unmittelbar unterhalb dieser steilen Wanderwege ein Abgrund befindet, realisieren die meisten Leute nicht.“ Schaut man sich den Verlauf der Wanderung genauer an, sieht man, wie steil der Wanderweg an den Absturzstellen wirklich ist.
Die Tritte in diesem Abschnitt sind oft steinig und von den vielen Wanderern teils glatt. Für Koster ein Grund mehr, hier sehr gut aufzupassen: „Ein Hans Guck-in-die-Luft hat auf diesem Weg rein gar nichts verloren. Wer da den Kopf nicht beieinanderhat und wirklich gut aufpasst, riskiert es, zu stolpern und in die Tiefe zu stürzen.“
Steile Felswände unter dem Wanderweg
Wer auf einem Bergwanderweg geht, habe sich voll und ganz auf den Weg zu konzentrieren. Und wenn die Person die Aussicht genießen will, dann solle man dafür an einer sicheren Stelle stillstehen. „Dasselbe gilt für Fotoaufnahmen“, sagt Koster. Wer sich auf dem Weg befindet, sieht die steilen Felswände unter dem Wanderweg wegen der vielen Bäume nicht. Erst auf dem Weg vom Seealpsee nach Wasserauen werden die Felswände sichtbar.
Am Tag nach den zwei tödlichen Abstürzen innerhalb einer Stunde, gehen wieder Dutzende Wanderer den Weg vom Aescher hinunter. Ein Paar aus Berlin hat von den Unglücken gelesen und will trotzdem in Halbschuhen zum See runter wandern. Hinter ihnen geht eine weitere Gruppe älterer Wanderer los – einer gar in Sandalen.
Weiter unten auf dem Wanderweg läuft ein jüngeres Paar aus London genau an der Stelle vorbei, wo keine 24 Stunden vorher ein Wanderer in den Tod gestürzt ist. Sie tragen beide Turnschuhe und sind völlig außer Atem: „Wir sind überrascht, wie steil es hier ist. Schon nicht ganz so, wie es auf Instagram scheint. Hätten wir das gewusst, hätten wir bessere Schuhe gekauft.“
Die beiden wollen noch zum Aescher hinauf und von dort zum Mesmer. Dass der Alpstein so gefährlich sei, habe ihnen niemand gesagt. „Da könnten sie doch Geländer bauen oder Warnhinweise. Oder halt Foto-Spots, damit die Leute runter schauen können und sehen wie steil es hinunter geht.“ Auch das aufkommende Gewitter sei für sie kein Problem, sagen die beiden. Umdrehen sei kein Thema für sie: „Andere sind da sicher auch schon so hinaufgekommen.“

Insgesamt waren von 52 gezählten Wanderinnen und Wanderern 28 mit Turnschuhen unterwegs, vier sogar mit Sandalen. Obschon an vielen Wanderwegweisern ein grünes Schild hängt, dass Turnschuhe nichts in den Bergen verloren haben.
Diese Uneinsicht der Wanderer löst bei Koster Kopfschütteln und Entrüstung aus: „Viele Leute überschätzen sich bei so einer – in Anführungszeichen – leichten Bergwanderung und denken, das sei ja nur halb so wild, rasch da runterzugehen, um den Seealpsee zu sehen. Das ist das wirkliche Problem“, sagt Koster. Auch seien viele der Wanderer schlicht komplett falsch ausgerüstet und zu wenig vorbereitet für eine Bergwanderung im Alpstein. „Sandalen oder Turnschuhe haben in den Bergen einfach rein gar nichts zu suchen! Ende.“

Doch seien die Schuhe teils gar nicht das Hauptproblem. Viele Wanderer würden auch ihre Fähigkeiten im Gebirge völlig falsch einschätzen und seien sich nicht gewohnt, in so einer Umgebung zu wandern. Zudem sei der Weg mit der Seilbahn sehr einfach zu erreichen und gerade für Touristen attraktiv.
Koster hat schon Leute mit Rollkoffern auf der besagten Strecke beobachtet. Auch am Zustand der Wege kann es laut Koster nicht liegen: „Ich werde oft von routinierten Bergwanderern angesprochen, die den äußerst guten Unterhalt der Bergwege im Alpstein loben.“ Ein Blick vor Ort zeigt, dass die Wege überall gut ausgearbeitet sind und es auf einem Großteil der Strecke vom Berggasthaus hinunter zum Seealpsee bergseitig mit Stahlseilen als Handlauf gesichert ist.
Koster sagt, ein Geländer zu installieren, sei nicht der richtige Ansatz: „Wenn wir da an dieser Stelle talseitig ein Geländer bauen würden, müssten die Wanderwegverantwortlichen ähnliche Stellen, wie etwa den Bergwanderweg beim Lisengrat auch mit Geländern versehen.“ Das Problem sei das Gefahrenbewusstsein der Wanderer. An der besagten Stelle bei Dürrschrennen sei den meisten Wanderern gar nicht bewusst, wie tückisch diese Stelle ist.
Die vielen Abstürze in der letzten Zeit fordern nun die Behörden, Maßnahmen zu überlegen. Ein Warnschild wurde beim Aescher schon vor einigen Jahren aufgestellt, dass auf die Gefahr dieses Wanderwegs hinweist. Beim Kanton werden nun verschiedene Maßnahmen geprüft, wie man den Leuten bewusster machen kann, wie gefährlich die vermeintlich „leichten“ Wanderungen sein können.