Arnold Stadler

Das Wünschen gehört zu den schönsten Möglichkeiten des Menschen. Ein Tu-Wort, wie ich es in der Volksschule von 1960 gelernt habe, ist dieses Wort eigentlich nicht, aber ein Verb ist es schon. Damals saß ich vier Jahre lang, als wäre es an einem Stück, zusammen mit sämtlichen Schülern und unserem einzigen Lehrer unter dem großen Photo von Theodor Heuß, des ersten Bundespräsidenten dieses Landes, das damals Bundesrepublik hieß. Es war unter dem Harmonium. Was für ein schönes Wort für ein Musikinstrument. Doch jeden Tag gab es auch da – zwar nicht nur für mich – Tatzen, Kopfnüsse und Hosenspanner. Und wenn der Landrat aus Stockach zur Visite angefahren kam, es war der Freiherr von Gleichenstein, wunderte er sich, dass wir nicht einmal richtig Deutsch konnten, weder sprechen noch schreiben.

Und doch schreibe ich nun: Ich wünsche mir für die Welt und dieses Land, dass alles gut wird. Dabei auch Glück und Segen.

„Die Gedanken fliegen, und die Wörter gehen zu Fuß. Das ist das Drama des Schriftstellers“, sagt Julien Green. Hinzuzufügen wäre: Das ist das Drama von allen, die sich Gedanken machen über die Welt, und manchmal Wörter dafür zu finden versuchen. So möchte ich, wenigstens wortweise, stichwortweise, auch noch darauf zu schreiben kommen, was mich gerade im Jahr 2017 bewegte:

1. Ich wünsche mir, dass die Welt nicht noch mehr zusammenfällt in immer reicher werdende Reiche und ärmer werdende Arme.

2. Insbesondere wünsche ich, dass als erstes Beispiel meiner guten Wünsche vor Ort für das schöne Gelände und ihre Menschen und ihr Gras und ihr Futter, ihre Bäume und Tiere erhalten bleiben: dass also, zum Beispiel, die immer weniger werdende Natur und Heimat nicht durch noch mehr Windkraftmonster zerstört werden, und dass der lebensgefährlichen Atomenergie auf andere Weise Einhalt geboten wird. Und dass, nicht nur bei der von oben angeordneten sogenannten Energiewende, gerechter verteilt wird, und nicht das Land das Opfer von allem ist, was in den Städten Berlin und Stuttgart ausgedacht und verfügt wurde. Mehr direkte Demokratie wagen! Da könnte doch die benachbarte Schweiz ein Vorbild sein. Oder leben wir in Nordkorea?

Um die dringlich gebotene Wende im Energiesektor zu meistern, wäre es doch zunächst einmal so am besten: Vielleicht erst einmal weniger Energie verbrauchen, und sie dann effizienter einsetzen. Gerade da, wo sie am meisten verbraucht und verschwendet wird, und das ist doch wohl in den Städten. Es wäre eine sinnvolle, also keine kopflose Wende vonnöten: Gerade Baden und Württemberg haben schon so vieles der Welt geschenkt an sogenannten Erfindungen und Entdeckungen, zum Beispiel: dass über einen Motor das Fahrzeug auf vier Rädern auch ohne Pferde etc. rollt. Vulgo: das Automobil. Also los, ihr Techniker und einer durchaus notwendigen Energiewende zu finden, da sollen sie doch einmal ihr innovatives Potential, ihre Kreativität und ihre Kompetenz aktivieren. (Das sind nicht meine Wörter, ich lese sie aber praktisch täglich in den Selbstdarstellungen der Alphatiere.)

3. Die Benachteiligung des Landes in allen Bereichen ist eine Tatsache, die den normalen Verbraucher, wie sich der gewöhnliche Mensch nun definieren lassen muss von den Statistikern, nicht weiter stört.

Anno Domini 2017 leistete sich die Stadt Überlingen ihren Beitrag zur Rettung und gleichzeitig Verschönerung der Welt, indem sie über den Stadtrat (der in der Post-Eingemeindungszeit nun auch Gemeinderat heißt) verfügt, daß das Überlinger Engagement zur Rettung des Klimas etc. nun auf einem der Stadt Überlingen gehörenden Gelände realisiert werden soll, welches die schöne Landschaft im nördlichen Linzgau bei Pfullendorf durch neue Windkraftmonsteranlagen zerstört, fernab der eigenen Aussichtsterrasse. Verschandelt wäre ein zu schönes und zu falsches Wort. Es handelt sich nämlich um einen heimtückischen Versuch, die Energiewende auf die Schwächsten abzuwälzen und das Ganze dann auch noch als Zukunfts-Beitrag zur Rettung der Welt auszugeben. Es ist ein Umlügen: So wird die Energiewende mit ihrem von den smartesten Geschäftemachern längst erkannten Profitpotential für ihre Zwecke instrumentalisiert.

Die Haupt-Akteure sind wohl Utilitaristen, die jede Wende mitmachen, wenn es sich rechnet. Ein wenig diagnostiziere ich auch das Mitläufer- oder Mitschwimmer-Syndrom bei denen, welchen die Zukunft „so etwas von egal“ ist. Hauptsache, die Zahlen stimmen und die Stadt Überlingen kann auf diese Weise ihren Beitrag zu Energiewende dokumentieren.

Ich wünsche mir also, dass zuerst wir selbst, soweit wir es vermögen, und dann weise Politiker und Gestalter wie der Ministerpräsident Kretschmann – wie zuvor schon lange Jahre Erwin Teufel – das ihre dazutun, dass unsere Welt, Sprache, schlicht das, was wir Heimat nennen, nicht in der Globalisierungskelter und in einem Windmonsterwald verschwindet.

4. Bei einer solchen Frage nach den Wünschen für Land und Welt kommen mir naturgemäß viele Gedanken auf einmal.

Im Spätherbst 2017 stimmte Brüssel über das Verbot des Glyphosats ab. Durch das Votum des deutschen Landwirtschaftsministers wurde das Verbot abgeschmettert. Glyphosat, ein höchst effizientes Giftmittel und Instrument der Produktionssteigerung, wird von Fachleuten als eine Hauptursache beim Bienen- Insekten- und Vogelsterben angesehen. Für 2018 hoffe ich, dass diese Entscheidung revidiert wird. Wir sollten lieber auf Professor Peter Berthold hören. Der in Billafingen lebende wunderbare Vogelkundler und vordem Direktor des Max-Planck-Instituts für Ornithologie der Vogelschutzwarte Möggingen bei Radolfzell, der sich noch als Retter unserer schönen naheliegenden Welt herausstellen wird, warnt eindringlich und gibt ein gutes Beispiel, wie wir unsere Welt tatsächlich retten könnten.

Dagegen die schamlos profit­orientierten Lobbyisten der Agrarindustrie, die in Sachen Glyphosat ein offenes Ohr gefunden haben bis nach Brüssel: Doch eine am Kommerz und der Profitsteigerung orientierte Ausnutzung hat mit Landwirtschaft, die eigentlich dem Hegen, Nutzen und bewahrenden Weitergeben der Schöpfung gewidmet sein sollte, nicht mehr viel zu tun.

Die Freude an Bäumen und Singvögeln ist, wie ich aus Erfahrung weiß, „bei uns“ – also in meiner sogenannten Heimat – nicht sehr ausgeprägt. Ästhetischer Maßstab ist alles Neue, das, „was man jetzt hat“, und „was im Trend ist“, wie man es im SWR-Fernsehen gezeigt bekam. Und was das sogenannte neue Eigenheim betrifft, so ist es alles Gerade und Glänzende, Abwaschbare, „Lichtdurchflutete“, was seinen Besitzer stolz macht. Die alten schönen Häuser (und Grabsteine), derer man sich schämte, sind weithin abgerissen und ersetzt durch „etwas schönes Neues“ im rechten Winkel, samt Rasenwüste und Carport in den Neubau-Ghettos: So wohnen sie in ihren Amsel- und Finkenwegen, die namengebenden Sänger sind gerade da weitgehend verschwunden und werden als Störenfriede gesehen, wie früher die Igel, und alles, das sich da bewegte, wo es angeblich nicht hingehörte, wurde mit dem Luftgewehr abgeschossen. Wenigstens hier hat, dank der ökologischen Bewegung, ein Umdenken stattgefunden.

5. Trotz der Tatsache, dass wir in der „Wohlfühlregion Nr. 1“ leben, wie von den Meinungsforschern festgestellt, sollten wir auch die sprachverschlagende Nachricht kurz vor Weihnachten, im Jahr des VW-Diesel- und Abgas-Skandals, nicht vergessen, dass in Deutschland seit Beginn der Statistiken in den Fünfziger Jahren, 760 000 Menschen durch das Automobil getötet wurden. Fast in jeder Familie der vergangenen 60 Jahre gibt es Verkehrstote, als wären die Kriegstoten nicht genug gewesen. Trotzdem ist angeblich das Auto das Lieblingskind der Deutschen. Ich wünsche mir also hier etwas mehr Andenken an diese Opfer unserer mobilen Welt.

6. Und was wünsche ich mir noch für dieses Land und seine Menschen? Zum Beispiel möchte ich es noch erleben, dass „Katar“ noch einmal auf die sogenannte Agenda kommt, und mehr: dass nicht nur, mit einem zynischen Nicken gekontert wird, und alles bleibt, wie es ist. Dass es, zum Beispiel, vielleicht doch noch einen Rückzug aus dem Katar-Fußball-WM-Geschäft gäbe. Die Infrastruktur und die Bauten sind ja errichtet von Sklavenarbeitern, in Katar sind – gemessen an unserem Standard – 90 Prozent der Bevölkerung völlig rechtlose Kontraktkulis, also Sklaven, wie auch sonst überall in der schönen neuen Welt Sklaverei, die wir abgeschafft glaubten. Wir sollten das nicht durchgehen lassen. Aber: Die Geschäfte haben wohl immer das letzte Wort, oftmals als Sorge um die Arbeitsplätze in der heimischen Wirtschaft ausgegeben. Die Zahlen sind glänzend.

7. Und noch einmal: Mehr Demokratie wagen! Das geht ja auf Willy Brandt oder einen seiner Redenschreiber zurück. Das könnte auch der von mir begrüßten EU nicht schaden. Und was Demokratie und die Welt angeht, so sieht es derzeit ganz mau aus: nicht nur zum Beispiel bei Trump, aber warum soll ich von unserer Schande nicht reden! Schließlich wurden seine Großeltern aus Kallstadt in der Pfalz ausgewiesen, wohin sie aus Heimweh aus New York zurückgekehrt waren. Die Kallstädter hätten damals das schöne Kirchenlied „Bleib bei uns“ singen sollen.

8. Die Geschäfte haben wohl nicht nur bei Trump das letzte Wort. Und die Waffengeschäfte – mit Ländern wie Saudiarabien – werden und wurden abgesegnet von den Regierungen, die ich mitgewählt habe. Sodass Saudi-Arabien nun – ich kenne ja die hochgeheimen Einzelheiten nicht – mit den auch vom Bodensee gelieferten Waffen und Zubehör seinen Krieg gegen den Jemen führen kann, den wir nun in der Tagesschau in diesen Tagen gezeigt bekommen. Und wäre es auch nur der Motor für die Hochleistungs-Kärcherfahrzeuge, die nach dem Freitagsgebet das Blut der Geköpften wegspülen. Und nun sagt Amnesty International, dass gerade eine der größten Hungersnöte auf der Welt seit Menschengedenken im von Saudi-Arabien bekämpften Jemen stattfinde. Als hätte das Eine mit dem Anderen nichts zu tun. Leben wir so? Und singen „Stille Nacht, heilige Nacht“ am schönen Bodensee, in Überlingen und in Fischbach?

Ich wünsche mir, dass sich die Menschen in diesem Land wenigstens dieser Schizophrenie und der Grundlage ihres prosperierenden Lebens etwas mehr bewusst wären. Es ist die eine, immer kleiner – und trotz der Allgegenwart und Erfassungsgewalt der Medien, die sich auch noch „sozial“ nennen! – unübersichtlicher gewordene Welt: Die scheinbare oder anscheinende Ohnmacht des Einzelnen darf aber keine Entschuldigung für das Nichtstun sein. Gerade hier gilt: Lieben ist das schönste aller Tuwörter.

Zur Person

Arnold Stadler wurde 1954 in Meßkirch geboren. Er studierte katholische Theologie in München, Rom und Freiburg, anschließend Literaturwissenschaft in Freiburg, Bonn und Köln. Seit 2000 lebt er in Sallahn/Wendland und vom ersten Tag an in seinem Elternhaus in Rast bei Meßkirch. Einen Koffer hat er noch in Berlin. Bekannt wurde er mit seinen ersten drei Romanen "Ich war einmal" (1989), "Feuerland" (1992) und „Mein Hund, meine Sau, mein Leben“ (1994). Stadler erhielt zahlreiche Literaturpreise, darunter den Büchner-Preis (1999), den Kleist-Preis (2009) sowie den Johann-Peter-Hebel-Preis (2010). In seiner Heimatregion wurde er 1999 mit dem Alemannischen Literaturpreis und 2014 mit dem Bodensee-Literaturpreis ausgezeichnet. Zuletzt erschien sein Roman "Rauschzeit" (S. Fischer Verlag, 2016). (sk)