In Künzelsau gibt es ein neues Orchester. Es heißt Würth Philharmonie. Nicht ohne Grund, denn es wurde von Reinhold Würth gegründet, der vielen auch als Schraubenkönig bekannt ist. Der ehemalige, inzwischen 82-jährige Geschäftsführer des Schrauben-Handelsunternehmens, gehört zu den reichsten Deutschen. Da kann man sich leisten, was sich manche Stadt und Kommune nicht mehr leisten kann: ein eigenes Orchester. Für das erste Konzert engagierte Würth den Star-Dirigenten Kent Nagano. Auch der dürfte das Engagement nicht aus bloßer Freude an der Musik angenommen haben.
Nun engagiert sich Reinhold Würth ja schon lange für Kunst und Kultur. Er sammelt Bildkunst und baut Museen, um die Werke zeigen zu können. Und damit ist er nicht alleine. Immer häufiger investieren Unternehmer, die zu Geld gekommen sind, in Kunst. Auch hier gilt: Sammler können sich auf dem Kunstmarkt mit seiner explodierenden Preisentwicklung noch Ankäufe leisten, für die ein öffentliches Museum, zumal bei schrumpfenden Etats, keine Mittel mehr hat.
Ein aufsehenerregendes Beispiel hatte wiederum Reinhold Würth geliefert. 2011 kaufte er für geschätzte 50 bis 60 Millionen Euro die berühmte „Darmstädter Madonna“, ein bedeutendes Werk der Renaisssance, das Hans Holbein der Jüngere vor rund 500 Jahren in Basel schuf. Auch das Städel Museum in Frankfurt hatte Interesse an der Madonna – doch Würth konnte den höheren Betrag auf die Theke legen.
Was in der Kunst inzwischen Normalität geworden ist, ist in der Musik noch neu. Zwar investieren Sponsoren auch in klassische Musik, unterstützen dabei allerdings in der Regel bestehende Institutionen und initiieren keine neuen. Da ist Reinhold Würth mit der Gründung des Würth Orchesters einen entscheidenden Schritt weitergegangen.
Was aber bedeutet es, wenn Mäzene und Sponsoren zunehmend Aufgaben übernehmen, für die bislang öffentliche Institutionen verantwortlich waren? Dass sich Mäzene mit Sammlungen, Museumsbauten oder – wie jetzt – einer Orchestergründung selbst Denkmale setzen, ist das eine. Das kann man selbstherrlich finden. Schwerer aber wiegt etwas anderes, das der Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich im Hinblick auf den Kunstbetrieb analysiert hat: „Die Sammler entziehen den öffentlichen Institutionen zunehmend die Deutungshoheit über die Kunst, weil sie das Geld haben und nicht die Museen.“ Aus dem Mäzenatentum, das mit Museen zusammenarbeitet und sie unterstützt, kann schnell eine Konkurrenzsituation erwachsen.
Das hat auch Auswirkungen auf die Inhalte: Der Künstler, so Wolfgang Ulrich, entwickle sich immer mehr vom Avantgardisten zum Geschäftsmann. Kunst sei, anders als in den zwei Jahrhunderten der Moderne, wieder ganz unverhohlen eine Sache der Reichen, Erfolgreichen und Herrschenden geworden. Wolfgang Ulrich nennt das „Siegerkunst“. Sie dient wieder der Repräsentation, sie ist ein Luxusgut. Was zählt, ist das Besitzen, nicht das Wahrnehmen und Betrachten von Kunst. Kunst und ihre Bedeutung entkoppeln sich.
Was die klassische Musik betrifft, so stehen diese Entwicklungen noch am Anfang. Die Funktion der Repräsentation kennt sie aber auch. Und auch hier stehen die Zeichen Richtung Vergangenheit. Würths Philharmonie ist nichts anderes als eine neue Form der Hofkapelle. Einst gehörten solche Orchester zu Fürstenhäusern, jetzt sorgt die Würth Philharmonie dafür, dass das 60 Millionen Euro teure Carmen Würth Forum, das Würth seiner Frau Carmen zum 80. Geburtstag hat bauen lassen und dessen Entwurf aus der Feder des Stararchitekten David Chipperfield stammt, nicht leer steht.
Jahrhundertlang haben Kunst und Musik darum gekämpft, sich aus der Abhängigkeit adliger oder geistlicher Auftraggeber zu befreien. Ausgerechnet unsere demokratische Gesellschaft bringt nun vergleichbare Abhängigkeiten wieder hervor.