Wenn die Kultur coronabedingt Pause macht, dann bleiben auch dem Opernfan nur CDs oder DVDs. Wann die Häuser wieder öffnen, weiß keiner. Doch die Staatsoper Stuttgart bietet, wie viele andere Opernhäuser auch, zur Überbrückung Mitschnitte aktueller Produktionen zum Streamen an.

Mozarts „Le nozze di Figaro“ machte den Anfang, derzeit kann man bis zum 27. März Prokofjews „Die Liebe zu drei Orangen“ streamen. Aber wie ist das, Oper online? Wie fühlt es sich an, eine Aufführung vor dem Rechner oder dem Fernseher zu erleben? Wir machen den Selbstversuch.

Was ziehe ich an? Egal

Dass zum analogen Opernbesuch nicht nur die Aufführung selbst, sondern auch die damit verbundenen Vorbereitungen gehören, ist das Erste, was einem bewusst wird. Viele Entscheidungen sind plötzlich obsolet geworden: Was ziehe ich an? Wann gehen wir los? Wer hat das Opernglas eingepackt? Zuhause kann man sich kleiden, wie man will – und sich sogar ein Glas Wein neben den Rechner stellen. Bis dahin unterscheidet sich der Onlinekonsum von Hochkultur nicht groß von einem Fernsehabend. Ob das so bleibt?

Der Regisseur der Stuttgarter Inszenierung von Sergej Prokofjiews „Liebe zu den drei Orangen“ zeigt die Oper als verpixeltes ...
Der Regisseur der Stuttgarter Inszenierung von Sergej Prokofjiews „Liebe zu den drei Orangen“ zeigt die Oper als verpixeltes Computerspiel der Achtzigerjahre. | Bild: Matthias Baus

Auf der Webseite der Staatsoper ist der Link zum Streamen nicht zu übersehen. „Oper trotz Corona“ steht da in großen roten Lettern, darunter ist der Startbildschirm zum Aktivieren des Youtubelinks. Die Verbindung steht schnell. Das Orchester stimmt ein, die Kamera richtet sich erst mal auf die große, reich verzierte Deckenrosette im Littmannbau. Interessant, denkt man, so genau hat man sich die eigentlich noch nie angeschaut.

Nicht ohne Pixel

Perspektivwechsel: Die Kamera schwenkt nach unten, man schaut aus der Bühnenperspektive auf die voll besetzen Ränge. Offensichtlich ist das Haus ausverkauft. Blende auf die Bühne, ein Blick wie aus der ersten Loge. Als der Dirigent kommt, blicken wir von oben in den Orchestergraben. Das Bild ist etwas grisselig, aber mit dem Einstellungsbutton ändern wir die Auflösung von 720p auf 1080p – deutlich schärfer! Die Bildschirmpixel sind nun zwar verschwunden, aber nachdem sich der Bühnenvorhang gehoben hat, sind auf dem knallbunten Bühnenbild plötzlich wieder welche da. Nanu. Was ist denn da los?

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Ganz einfach: Der Regisseur Axel Ranisch hat sich als Setting für die skurrile Handlung um einen traurigen Prinzen, der sich nach einem Lachanfall auf die Suche nach drei Orangen macht, die sich dann als drei Prinzessinnen herausstellen, ein Computerspiel im Look der Achtzigerjahre ausgedacht. „Orange Desert III“ heißt das Abenteuergame, das ein Junge da spielt. Doch das gerät immer mehr außer Kontrolle.

Der Prinz in dem Spiel (Kai Kluge) ist dazu verdammt, sich in drei Orangen zu verlieben.
Der Prinz in dem Spiel (Kai Kluge) ist dazu verdammt, sich in drei Orangen zu verlieben. | Bild: Matthias Baus

Reale und virtuelle Welten vermischen sich, alle Ebenen geraten durcheinander, am Ende muss der Papa am Joystick die Sache wieder unter Kontrolle bringen. Es ist eine wunderbare Inszenierung, die den artifiziellen Charakter der Oper fantasievoll auf die Spitze treibt, seit ihrer Premiere im Dezember 2018 ist sie ein Highlight im Stuttgarter Repertoire.

Oper im Bonsaiformat

Die Bildmächtigkeit des Originals freilich kann der Computerbildschirm nicht ersetzen. Es bleibt, vor allem in der Totalen, Oper im Bonsaiformat. Dafür sind in den Nahaufnahmen Details zu erkennen, die sogar im Parkett kaum zu sehen sind, etwa, dass in der Krone des Königs eine Flüssigkeit schwappt. Die Textverständlichkeit allerdings ist besser als im Opernhaus. Die Tonmischung hat die Sänger gegenüber dem Orchester herausgehoben, dazu kommt die lesefreundliche Einblendung der Texte am unteren Bildrand.

Was den Klang anbelangt, so muss man bei einer üblichen PC-Ausstattung mit 2 Aktivlautsprechern massive Abstriche machen. Vor allem in den Tutti – und es wird richtig laut in dieser Oper – dröhnt und klirrt es.

Die Liebe zu drei Orangen von Sergej Prokofjew Oper in vier Akten (10 Bildern) und einem Vorspiel Libretto nach Carlo Gozzi vom ...
Die Liebe zu drei Orangen von Sergej Prokofjew Oper in vier Akten (10 Bildern) und einem Vorspiel Libretto nach Carlo Gozzi vom Komponisten Musikalische Leitung: Alejo Pérez Regie: Axel Ranisch Bühne: Saskia Wunsch Kostüme: Bettina Werner, Claudia Irro Licht: Reinhard Traub Computeranimation: Till Nowak Choreografie: Katharina Erlenmaier Dramaturgie: Ingo Gerlach Chor: Manuel Pujol Auf dem Bild Daniel Kluge (Truffaldino), Elmar Gilbertsson (Prinz), Fiorella Hincapié (Smeraldina) | Bild: Matthias Baus

Zwar gewöhnt sich der Zuschauer im Lauf der Zeit etwas daran, doch nach dem ersten Akt wechseln wir die Hardware und rufen die Seite der Staatsoper auf dem Smart-TV auf. 55 Zoll, messerscharfes OLED-Bild. Dazu schließen wir einen hochwertigen Kopfhörer an. Und selbst wenn die 1080p Auflösung hier wieder vergleichsweise grobkörnig wirkt, wird man doch sofort in das Geschehen auf der Bühne hineingezogen. Keine Nebengeräusche stören mehr, ja, das digitale Surrogat gewinnt derart an Suggestionskraft, dass man sogar das Weinglas vergisst.

Eine richtige Opernaufführung, so das Resümee, kann durch ein solches Digitalangebot nicht ersetzt werden. Abhängig von der technischen Ausstattung aber kann man ihr etwas nahekommen. Und einen gerade für Schwaben wichtigen Vorteil hat die Konserve auf jeden Fall: Sie koschded nix.