Als er starb, wurden gleich drei Messen zugleich gelesen: Leonardo da Vinci war schon zu seiner Zeit das viel bewunderte Genie. Heute, 500 Jahre nach seinem Tod am 2. Mai 1519, sind seine Leistungen als Anatom und Mechaniker größtenteils in Vergessenheit geraten. Wer weiß schon, dass er es war, dem die erste korrekte Darstellung unseres Kauapparats gelang?
Berühmtestes Bild der Welt
Allein seine Arbeit als Maler hat die Zeiten überdauert. Und auch hier kennen viele nur ein einziges Werk: die Mona Lisa, berühmtestes Bild der Welt.
Dabei erschließt sich die Bedeutung des Malers erst mit Kenntnis seines Gesamtwerks. Folgende Anregungen sind dem neuen Band des Leonardo-Kenners Alessandro Vezzosi entnommen: „Leonardo da Vinci – die Gemälde“.
Das Abendmahl (um 1495-1497): Der im 16. Jahrhundert lebende Leonardo-Biograf Giorgio Vasari brachte in zwei Sätzen die Kunstfertigkeit dieses im Kloster Santa Maria delle Grazie angebrachten Freskos auf den Punkt. „Leonardo gelang es, jenen Verdacht zum Ausdruck zu bringen, welcher die Apostel beschlich, als sie zu wissen begehrten, wer von ihnen den Meister verraten würde“, schrieb er: „Deshalb sieht man auf ihrer aller Gesichter die Liebe, die Angst und die Abscheu, mit anderen Worten den Schmerz darüber, nicht zu wissen, wen Christus im Sinn habe.“ Auch die Perspektive ist bemerkenswert: Sie findet ihr Zentrum in der Schläfe der Christusfigur.
Das Bildnis der Ginevra Benci (um 1478): Sie gilt als tragisches, melancholisches Gegenstück zur Mona Lisa. Eigenartig schwermütig blickt diese Bankierstochter drein. Ihre zarte Gestalt gewinnt Konturen durch die bleiche Haut und das ungemein filigran ausgestaltete Haar. Woher kommt diese geheimnisvolle Unschärfe im Gesichtausdruck wie auch in der wieder mal großzügigen Hintergrundlandschaft? Es ist das sogenannte Sfumato: eine von Leonardo selbst entwickelte Technik, mit der er trübe Stimmungen auf die Leinwand bringen konnte.
Salvator Mundi (um 1500): Sie sehen hier das weltweit teuerste Gemälde aller Zeiten. Aber stammt es auch von Leonardo da Vinci? Manche Experten behaupten, Leonardo habe das Bild nur begonnen, dann aber seine Schüler weitermalen lassen. Das könnte das eigenartige Nebeneinander von brillanten und erstaunlich schwachen Partien erklären: Leonardo, sagen die Zweifler, hätte den Umhang auf der linken Körperhälfte lockerer fallen lassen, der Faltenwurf unter den Gurten wirke nicht natürlich, und überhaupt: Warum ist einer der beiden Gurte in der unteren Hälfte plötzlich so schmal? Sei’s drum: Dem Kulturministerium von Abu Dhabi war es vor zwei Jahren rund 398 Millionen Euro wert.
Die Dame mit dem Hermelin (1489/90): Was hat diese Frau im Sinn? Cecilia Gallerani, Mätresse des Herzogs von Mailand, lächelt melancholisch und gelassen zugleich. Worauf sie aber ihren Blick richtet, bleibt uns verborgen. Vielleicht gibt die heimliche Hauptfigur des Bildes Aufschluss: das Hermelin. Dieses Tier zügele sämtliche Laster, schrieb Leonardo einmal: „Es will eher sterben, als sich zu beflecken.“ Vor allem aber galt es als Schutztier der Schwangeren. Sieht die Dame also vielleicht vor ihrem geisten Auge das eigene Kind? Oder bickt sie in ihre Zukunft?
Die Verkündigung an Maria (1472-1476): Na, erkennen Sie die Mona Lisa wieder? Nein, nicht im Antlitz der Jungfrau Maria. Das Leonardo-Typische wird vielmehr im Hintergrund des Bildes deutlich: Da sehen wir nämlich eine sich schier ins Unendliche zügig ausbreitende Landschaft mit Bucht und Gebirgskulisse. Sogar der Pfad in der Mauerlücke findet sich bei der Mona Lisa wieder. Diese Mauer vollzieht eine Trennung zwischen irdischer und himmlischer Wirklichkeit. In letzterer sind Worte nicht nötig, Engel und Jungfrau kommunizieren allein mit Gesten und Blicken.
Johannes der Täufer (1513/14): Dieses Lächeln kennen wir doch! Bloß, dass statt der Mona Lisa ein Heiliger uns so überraschend keck angrinst: Was denkt sich Johannes der Täufer nur dabei? Tatsächlich hatte Leonardo da Vinci eine Vorliebe für unergründlich lächelnde Figuren. Was Johannes den Täufer betrifft, schreibt Leonardo-Experte Alessandro Vezzosi von einem Lächeln halb christlicher Liebe, halb heidnischen Eros: „Sein Blick ruht fragend auf dem Betrachter, geradezu hypnotisch weist die Figur über die Welt des Sinnlichen hinaus.“
Welche ist die echte?
Und hier trotzdem noch mal die Mona Lisa: Eine von diesen dreien ist die echte. Welche? Auflösung siehe unten.
Auflösung: Die erste Mona Lisa wurde von einem anonymen Meister erschaffen. Im Irrglauben, es handele sich um ein Werk Leonardo da Vincis hat es einst König Wilhelm von Württemberg kaufen lassen. Es befindet sich heute in der Stuttgarter Staatsgalerie. Die zweite Mona Lisa hängt im Madrider Museum Prado und stammt vermutlich von Francesco Melzi, einem Schüler Leonardo da Vincis. Bleibt also nur noch Bild Nummer drei: Hier handelt es sich um die echte Mona Lisa. Sie ist seit mehr als 200 Jahren im Pariser Kunstmuseum Musée du Louvre zu bestaunen.