Der Mann, der ambivalente Gefühle hegt gegenüber dem Sohn, weil er tief drinnen auch Angst hat vor einem Konkurrenten. Die Frau, die als Übermutter noch die Lebensfäden Erwachsener weiterspinnt. Wo steckt dieser Psychokram? Jedenfalls nicht erst in heutigen Diskussionen über die sogenannte dysfunktionale Familie.

Nein, schon in der griechischen Sagenwelt wurden solche Themen verhandelt. Und damit auch in der Barock-Oper, die ja oft mythologische Themen verhandelt. Wie etwa in „Hippolyte et Aricie“ des französischen Komponisten Jean-Philippe Rameau, die jetzt von Jetske Mijnssen am Opernhaus Zürich neu inszeniert wurde.

Thésée (Edwin Crossley-Mercer) leidet.
Thésée (Edwin Crossley-Mercer) leidet. | Bild: T+T Fotografie / Toni Suter

Mijnssen interpretiert gern psychologisch und tut es auch hier. Die Regisseurin zeigt, wie Thésée mit sich ringt und an sich leidet vor und nach der Entscheidung, seinen Sohn Hippolyte töten zu lassen.

Was für den König so aussah, als habe sich der Prinz an der Stiefmutter Phèdre vergehen wollen, hat diese selbst herbeigeführt: Phèdre liebt, ebenso flammend wie unerwidert, ihren Stiefsohn. Der wiederum liebt Prinzessin Aricie, die Tochter des Thésée feindlich gegenüberstehenden Pallas.

Viel los auf der Bühne – der Chor der Oper Zürich mit Tänzerinnen und Tänzern.
Viel los auf der Bühne – der Chor der Oper Zürich mit Tänzerinnen und Tänzern. | Bild: T+T Fotografie / Toni Suter

Sängerisch und schauspielerisch lotet Stéphanie d‘Oustrac als Phèdre die ganze Bandbreite der Empfindungen aus zwischen zärtlicher Zuwendung, Liebesraserei, Eifersucht, Scham und Schuldgefühlen, die Rameau in die Gesangslinien seines Opern-Erstlings hineinkomponiert hat.

Die von der Barock-Expertin Emmanuelle Haïm geleitete hauseigene Spezialformation Orchestra La Scintilla spielt hierzu und auch anderswo mit sprechender Artikulation und hinhorchender Lust an den farbenschillernden Instrumentalstimmen.

Lob für die Sänger

Auch Cyrille Dubois, Mélissa Petit und Edwin Crossley-Mercer singen leuchtend und beweglich als Hippolyte, Aricie und Thésée, wobei die Herren gelegentlich zu viel Lautstärke aufbieten. Und natürlich sind da die Götter, die die Strippen ziehen.

Neben Pluton (Wenwei Zhang) auch Diane (Hamida Kristoffersen), die schützend ihre Hand über Hippolyte und Aricie hält und den todgeweihten Mann rettet, sowie Neptune (nochmal Wenwei Zhang), der seinen Sohn Thésée vor dem Selbstmord rettet.

Diane (Hamida Kristoffersen, hinten) und Phèdre (Stéphanie d‘Oustrac).
Diane (Hamida Kristoffersen, hinten) und Phèdre (Stéphanie d‘Oustrac). | Bild: T+T Fotografie / Toni Suter

In einer Architektur mit Säulen – stationär und auf der bewegten Drehbühne (Bühnenbild: Ben Baur) – und in Kostümen aus der Entstehungszeit der 1733 uraufgeführten Oper (Gideon Davey) wird das alles glaubhaft erzählt. Trotzdem schleichen sich auch Momente gepflegter Langeweile ein.

Dass der zweite Akt – in dem Thésée vergeblich versucht, seinen Freund Perithous aus der Unterwelt zu retten – zum Anlass genommen wird, um eine Liebesbeziehung zwischen beiden zu behaupten, ist eine unnötig konkretisierende Schärfung. Und dass die Darsteller der männlich besetzten Schicksalsgöttinnen wie brutale Sittenpolizisten einschreiten und das Happy End tragisch unterlaufen wird, wirkt etwas gewollt.

Weitere Vorstellungen „Hippolyte et Aricie“ am Opernhaus Zürich gibt es am 22., 24. und 30. Mai 2019 sowie am 2., 7. und 14. Juni. Alle Informationen dazu finden Sie hier.