Vorsicht vor Offenen Briefen von „Intellektuellen“! Dass nicht immer drin steckt, was draufsteht, gilt auch für den jüngst veröffentlichten Appell an Kanzler Olaf Scholz, er möge von Waffenlieferungen Abstand nehmen. Einer der Unterzeichner, der Dichter Martin Walser, hat Wladimir Putin noch vor wenigen Jahren als „ganz tollen Politiker“ gelobt. Er garantiere den Frieden mehr, „als Atomgeschütze ihn je garantieren konnten“!
Was eine Alice Schwarzer, ein Lars Eidinger oder ein Dieter Nuhr vom Kriegsverlauf halten, dürfte sich von der Meinungskompetenz in Lehrerzimmern, KfZ-Werkstätten oder Zeitungsredaktionen kaum abheben. Gerade deshalb verdient das Schreiben eine unaufgeregte Lektüre: nicht als Expertenrat an die Regierung, sondern als Einladung zum Dialog zwischen uns Bürgern.

Wer dieser Einladung folgt, wird bei der Lektüre auf sehr berechtigte Sorgen stoßen. Etwa die Befürchtung, Deutschland könne mit der Lieferung großer Mengen schwerer Waffen Kriegspartei werden. Oder die darin begründete Gefahr eines russischen Gegenschlags, der Weg in einen dritten Weltkrieg.
Nun sprechen sich Befürworter von Waffenlieferungen ja nicht dafür aus, einen dritten Weltkrieg leichtfertig in Kauf zu nehmen. Im Gegenteil: Gemäß ihrer Logik führt gerade das Unterlassen solcher Lieferungen in die Katastrophe. Weil die Geschichte lehrt, dass imperiales Streben niemals einfach von alleine versiegt. Was also halten Alice Schwarzer und ihre Mitunterzeichner dagegen?
Zunächst ist es die Idee eines „Kompromisses, den beide Seiten akzeptieren können“. Und so bitter das aus ukrainischer Perspektive ist: Ganz ohne Bereitschaft zu eigenen Zugeständnissen wird Frieden wohl tatsächlich kaum zu erreichen sein. Zur Begründung gegen Waffenlieferungen taugt dieses Argument trotzdem nicht. Denn eine Situation herzustellen, in der ein Kompromiss möglich wird: Genau das ist Sinn und Zweck dieser Lieferungen. Bleiben die Waffen aus, gibt es keinen Kompromiss, sondern allein Unterwerfung.
Ein „Risiko der Eskalation dieses Krieges zu einem atomaren Konflikt in Kauf zu nehmen“ bezeichnen die Autoren als „kategorisch verboten“. So richtig es ist, dass ein solches Risiko besteht, und so wünschenswert es wäre, dieses gänzlich beseitigen zu können: Wer sich in dieser Frage ein „kategorisches Verbot“ auferlegt, erklärt die bedingungslose Kapitulation vor jedem atomar bewaffneten Aggressor. Putins Truppen könnten bis Lissabon durchmarschieren.
Wie viele Menschenleben ihr Freiheitskampf wert ist, erklären die Autoren, habe nicht allein die ukrainische Regierung zu bestimmen. Vielmehr handele es sich um „moralisch verbindliche Normen“ von „universaler Natur“.
Moral- und Staatsphilosophisch lässt sich über die Frage nach Zuständigkeitsgrenzen demokratisch legitimierter Regierungen trefflich streiten. Wer jedoch realpolitisch für eine Sicherheitsordnung eintritt, in der sich jeder selbst überlegen kann, ob das Nachbarland für einen angemessenen Preis um seine Souveränität kämpft, riskiert gravierende Folgen. Auf eine Schutzmacht könnte sich die Ukraine jedenfalls unter solchen Bedingungen nicht mehr verlassen. Auch die Nato wäre obsolet.
Es gibt übrigens durchaus valide Argumente gegen Waffenlieferungen. Leider nur nicht in diesem Brief. Stattdessen beruht vieles auf falschen Annahmen, ist nicht zu Ende gedacht oder zielt an der Wirklichkeit vorbei. So gewinnt man den Eindruck, dass es statt der dramatischen Situation in der Ukraine um eine weit weniger dramatische Herausforderung hierzulande geht. Nämlich den Versuch, zerbrochene Weltbilder wieder zusammenzufügen.
Der „europäische Ansatz der gemeinsamen Vielfalt“, heißt es, sei „ein Vorbild“ für „weltweiten Frieden“. Dass man in anderen Teilen dieser Welt von diesem selbst ernannten Vorbild nichts wissen will: Das scheint vielen Deutschen noch immer ganz und gar unbegreiflich zu sein.