Bis tief in die Nacht feiern, dem Chef die Krawatte abschneiden und die Kollegen mit Konfetti bewerfen. Genau mein Ding! „Toll, dass Fasching hier im Süden so groß gefeiert wird“, sagte ich, als ich 2020 beim SÜDKURIER anfing.

Für alle, deren Puls beim Wort „Fasching“ gefährlich auf die 200 zuging: Ich habe dazugelernt. „Bei uns sagt man Fasnacht“, raunte mir eine Kollegin zu. Am nächsten Tag übergab sie mir eine Broschüre. „Kleine Fasnachtsfibel“. Ich blätterte sie durch und bestaunte die Kostüme.

Narren der Dorauszunft Saulgau ziehen beim Landschaftstreffen durch die Innenstadt: Die Besonderheiten der alemannischen Fasnacht sind ...
Narren der Dorauszunft Saulgau ziehen beim Landschaftstreffen durch die Innenstadt: Die Besonderheiten der alemannischen Fasnacht sind nicht für jeden leicht zu ergründen. | Bild: Felix Kästle

Hätte ich mir auch den Text durchgelesen, hätte ich erfahren, dass es nicht Kostüm heißt, sondern „Häs“. Die erste Konstanzer Fasnacht: Ein kleiner Kulturschock. Fasnacht im Südwesten und der Fasching meiner Heimat, das sind zwei Welten. Es ist nicht nur der Name, es sind auch nicht die Häser oder Narrenrufe. Das geht viel tiefer. Bis in die Narrenherzen.

Ich komme aus einem Dorf bei Unterfranken, die Region ist sicherlich keine Faschingshochburg, bei uns bedeutet Fasching: Tanzen, Ausgelassen-Sein und Spaß haben. Die Vereine sorgen für Musik und Programm, alle dürfen mitmachen. Für die Kinder gibt es Süßes, für alle anderen Schnaps und das Gefühl von ein bisschen Freiheit.

Für ein paar Tage lang ist es egal, ob man im normalen Leben bei Aldi an der Kasse, oder im Vorstand einer großen Bank sitzt, ob man Neigeschmäckter oder Ureinwohner ist, ob man Lastenrad oder Porsche fährt.

Mal jemand anders sein, und die Regeln, die sonst gelten, Regeln sein lassen – das ist eine Sehnsucht, die Fasching bedient. Auf einer Seite im Netz wurde der Fasching meiner Region im Vergleich zur Schwäbisch-Alemannischen Fasnacht als „unorganisierter“ beschrieben.

So viele Regeln!

Die erste Fasnacht in Konstanz: Was für eine beeindruckende Tradition! Die selbst geschnitzten Masken, die Fanfarenzüge, der große Umzug, die Hemdglonker – ich war fasziniert. Und irritiert. So viele Regeln!

Wer „Helau“ statt „Ho Narro“ bei der Konstanzer Fasnacht ruft, riskiert schräge Blicke. Wer in einer Zunft organisiert ist, und sein Häs außerhalb der Fasnacht trägt, sogar eine Strafe. So hat es die Narrenvereinigung Hegau-Bodensee jüngst beschlossen.

In Rottweil etwa dürfen am Narrensprung nur Menschen teilnehmen, die gebürtige Rottweiler sind, oder lange dort leben. Viele Figuren dürfen nur von Männern dargestellt werden. Und wenn die Jugendlichen zu sehr feiern an der Fasnacht, geht das gar nicht!

Warum ist das Narrenherz unter dem bunten Häs so streng? Nach vielen Gesprächen mit engagierten Narren weiß ich: Fasnacht hier ist Brauchtumspflege. Deshalb ist es den Narren in den Zünften so wichtig, dass gewisse Schranken nicht fallen.

Im Gegenteil: Regeln müssen eingehalten werden. Im Namen der Tradition. Narrenfreiheit bedeutet in Südbaden nicht unbedingt, dass die Regeln der anständigen Gesellschaft ein paar Tage für ALLE außer Kraft gesetzt sind.

Sondern, dass es ein paar Tage lang nach den Regeln der Narren geht. Die Narrenchefs haben oft auch außerhalb der Fasnacht was zu sagen. Viele Veranstaltungen sind geschlossene Gesellschaft.

Das könnte Sie auch interessieren

Wer Narrenfreiheit will, muss Närrin werden, denke ich. In einer Zunft. Dann könnte ich mit Maske die Kollegen erschrecken, in Nachbars Garten um 5 Uhr mit meinen neuen Narrenfreunden das traditionelle „Wecken“ zelebrieren, und alle mit schelmischem Grinsen vom Umzugswagen aus mit Konfetti bewerfen.

Eine kurze Google-Suche und ein Gespräch mit fasnachtserfahrenen Kolleginnen lassen meine Träume platzen: Die großen Konstanzer Zünfte erwarten eine Anmeldung Monate vor der Fasnacht. Dann gibt‘s Probejahre, Pflichtveranstaltungen, Arbeitseinsätze. Ach, ihr Narren!