Thea Stroh

Das Southside ist abgesagt und auch die Bars werden nicht gefüllt. Keine spaßigen Sommerfeste, emotionalen Konzerte oder ausgelassenen Clubnächte. Doch klagen über die trüben Aussichten für einen ereignisreichen Sommer dürfen wir nicht. Es ist ja zum Gemeinwohl, man rettet Leben damit. Keine Frage, der Schritt ist notwendig. Aber er trifft nicht nur die Betreiber unserer Lieblingslokale und treibt sie in die Existenznot. Auch die Unternehmungslustigen unter uns haben triftige Gründe, sich zu beschweren.

Mehr als nur ein Hobby

Denn gerade jetzt zeigt sich, wie elementar die Feierkultur für das menschliche Zusammenleben ist. Nie waren wir uns bewusster darüber, wie unverzichtbar Festakte sind, als in Zeiten von Corona. Und zwar nicht nur als Hobby, um auf der Geburtstagsparty Geschenke abzustauben oder als Ausgleich für einen stressigen Alltag, sondern viel fundamentaler: auf persönlicher, wirtschaftlicher und kultureller Ebene. Doch was genau bedeutet der Verlust für den Einzelnen, eine Stadt oder die Kultur?

Der Club als Schutzraum

Die Party- und Clubkultur ist ein soziales Phänomen. Menschen treffen sich im Rahmen von Veranstaltungen zum Tanzen, Musik hören und zum Austausch. Da gilt es, hellhörig zu werden, wenn etwa Top-Virologe Christian Drosten erklärt: „Geht nicht in Clubs und nicht auf Partys!“ Mit diesen Worten fordert er nämlich nichts Geringeres von uns, als einen geschützten Raum aufzugeben, in dem wir uns in vielerlei Hinsicht frei entfalten können.

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Gerade der Bruch mit Konventionen ist dabei entscheidend: Die soziale Dimension der Feierkultur zeigt sich besonders in der Funktion des Clubs als Schutzraum fur Gruppen, die von der Gesellschaft marginalisiert werden. Hier ist der Ort, wo Menschen, die nicht den Idealen der Mehrheitsgesellschaft entsprechen, zusammenfinden und ihre Persönlichkeit ausleben können.

Das zeigt sich schon auf einer ästhetischen Ebene. Denn nirgends findet man waghalsigere Outfits als auf einem Festival oder in der Nachtszene. Der geschützte Raum nimmt einen hohen Stellenwert bei verschiedenen Szenen ein – als Schauplatz für andere Persönlichkeiten, geschlechtliche Identitäten und sexuelle Orientierungen – und wird auf diese Weise auch zum Experimentierraum für die Modewelt.

Der Club als Werkstatt

Auch zur kreativen Entfaltung bietet die Partyszene einen spezifischen Rückzugsort. Denn vom Schlager beim Après-Ski bis zur kleinen Rockerkneipe – jede Veranstaltung wird von einem eigenen musikalischen Diskurs begleitet. Und wie jeder Diskurs lebt auch die Musik vom Austausch. Die performativen Künste trifft es gerade noch härter als die Museen, denn es reicht eben nicht, den musikalischen Horizont mit Kopfhörern zu erproben.

Wir wollen uns einen Raum teilen, in dem sich eine Stimmung ausbreiten kann und die Möglichkeit haben, dem Künstler auf der Bühne unser Wohlgefallen auch zu zeigen. Oder das Missfallen, egal – Hauptsache, der aufstrebende Künstler teilt seine neuesten Visionen mit uns und erhält eine Reaktion. Das betrifft wiederum nicht nur die Musik, sondern auch die handwerklichen oder visuellen Künste. Sie alle nutzen den Veranstaltungsraum als Werkstatt, Labor und Buhne.

Was wären die Siebziger nicht ohne das Feiern gewesen! Hier überreicht Udo Jürgens bei einem Event in Monte Carlo der monegassischen ...
Was wären die Siebziger nicht ohne das Feiern gewesen! Hier überreicht Udo Jürgens bei einem Event in Monte Carlo der monegassischen Fürstin Gracia Patricia einen Blumenstrauß. | Bild: DPA

Was so mancher Einsiedler vielleicht nicht erkennt: Das Soziale und Kulturelle hängt direkt mit ökonomischen Aspekten zusammen. Besagte Kreativräume sind kein bloßes Randphänomen – auch geografisch gesprochen. Manche mögen sich zwar ursprünglich aus den unbesetzten Räumen des Stadtraums heraus entwickelt haben, wie der Club in der leerstehenden Lagerhalle oder das Festival auf dem ungenutzten Flugplatz. Aber einmal etabliert, lassen sie sich nicht mehr wegdenken. Die Feierkultur verändert das Aussehen einer Stadt nachhaltig – genauso wie sie ihr Image prägt.

Der Club als Wirtschaftsfaktor

Dabei treten Veranstaltungen auch als Wirtschaftsfaktor und wichtiger Impulsgeber auf. Denken Sie nur an eine Stadt wie Berlin, wo die Clubszene so viele Touristen in die Stadt lockt, dass sich ökonomische Ausstrahlungseffekte auf den Umsatz von Transport, Gastronomie und Gastgewerbe im Millionenbereich bewegen. Oder lokaler an das Southside, das Jahr für Jahr nicht nur ein Gemeinschaftsgefühl in der kleinen Gemeinde Neuhausen ob Eck schafft, sondern zusätzliche Arbeitsplätze schafft und genauso für Umsatzrekorde im Gastgewerbe sorgt. Aus einem leeren Flugfeld wird so ein wichtiger Bestandteil der Region.

Persönliche und kreative Entfaltung, Urbanität, Wirtschaftlichkeit. Unsere Feierkultur funktioniert wie ein Korallenriff, ist eigentlich ein vielschichtiger Organismus, um den sich Gemeinschaften bilden und Kultur entwickelt. Jahr für Jahr kehren beliebte Veranstaltungen wieder, formen Rituale in unserem Leben, die für manch einen mit religiösen Festen durchaus auf einer Stufe stehen. So ist es schon lange nicht mehr ungewöhnlich, an Weihnachten zu arbeiten, wenn man dafür pompös ins neue Jahr rutschen kann.

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Für das Funktionieren dieser Kulturbereiche ist jedoch ein ausgewogenes Zusammenspiel vieler Akteure notwendig. Und die Auswirkungen der Corona-Auflagen machen sich gerade ebenso bemerkbar wie der Meeresmüll am Korallenriff. Sie zerstören ein blühendes System.

Durch den Verlust unserer Veranstaltungen verdeutlicht Corona, was vielen schon vorher klar war: Feierkultur ist ein Kulturgut. Und das gilt vom großen Konzerthaus bis zum kleinen Dorfclub. Doch diese Plattformen fallen aktuell weg. Selbst die Bar, die nicht unter die Kategorie Speiserestaurant fällt, bleibt länger geschlossen als der Spielplatz.

Der Club als identitätsstiftender Ort

Jede noch so kleine Feierlichkeit fördert die geistigen, künstlerischen, gestaltenden Leistungen einer Gemeinschaft. Und darüber hinaus macht die Verschränkung aus sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Dimensionen die Feierkultur zu einem ebenbürtigen Gegenpart der traditionellen Hochkultur. Theater üben Kritik am bestehenden Kollektiv, Partys dagegen tragen dazu bei, neue Gemeinschaften zu bilden. Aber auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Mitteln hinterfragen beide Bereiche die Normen unserer Gesellschaft und loten sie aus.

Es greift also zu kurz, wenn wir Veranstaltungsräume der Feierkultur als „Vergnügungsstätten“ bezeichnen. Weil das Feiern für den einzelnen Menschen wie auch für Gesellschaften von identitätsstiftender Bedeutung ist. Tatsächlich sollten wir die Chance nutzen und gleich ganz damit aufhören, von manchen Bereichen des Veranstaltungssektors als verzichtbare und untergeordnete Subkultur zu denken. Wir brauchen solche Orte des Schutzes und der kulturellen Begegnung, Katalysatoren für gesellschaftliche Entwicklungen. Das Jammern über die Einschränkungen in der Krise: Es ist erlaubt.