Sehr geehrter Herr Botschafter,

wie Sie hat sich noch kein Botschafter in Deutschland aufgeführt. Die Bundesregierung bezeichnen Sie mal als „feige“, mal als „peinlich“. Eine Ministerpräsidentin bezichtigen Sie der „Heuchelei“, diese sei „zum Kotzen“.

Und wenn der Bundestag sich zu Ihren Ehren kollektiv erhebt, ätzen Sie: Die Parlamentarier hätten wohl „eher sich selbst gefeiert“. Das alles gegenüber einem Land, das nicht müde wird, seine Solidarität zu betonen, das Waffen liefert und Sanktionen verhängt. Herr Melnyk, Sie sind eine Zumutung. Danke dafür!

AndrijMelnyk (46) ist seit 2014 Botschafter der Ukraine in Deutschland. Er stammt aus Lwiw (Lemberg), wo er Rechtswissenschaften ...
AndrijMelnyk (46) ist seit 2014 Botschafter der Ukraine in Deutschland. Er stammt aus Lwiw (Lemberg), wo er Rechtswissenschaften studierte. Melnyk, der fließend Deutsch und Englisch spricht, ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Zuletzt fiel er durch Kritik an der Bundesregierung auf. | Bild: Carsten Koall/dpa

Sieben Jahrzehnte lang konnte Deutschland seinen Frieden und Wohlstand aus der Defensive heraus sichern. Potenziell schmutzige Geschäfte wie Energieerzeugung und Verteidigung wurden einfach nach Russland und USA ausgelagert, was blieb, war die Erzeugung und Verteidigung von Autos und Moral. Darin immerhin sind wir Weltmeister.

Leider müssen wir uns für weitere 70 Jahre Wohlstand und Frieden aus der Komfortzone bequemen: selbst Verantwortung übernehmen, Führungskompetenz beweisen, entscheiden statt besserwissen. Es fühlt sich an, als fände sich der vor seinem Fernseher versumpfte Fußballfan mitten auf dem Spielfeld wieder. Mit Kapitänsbinde am Arm statt Bierflasche in der Hand.

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Ja, das kann eine bittere Erfahrung sein, wenn die Schmähgesänge von den Rängen plötzlich deiner eigenen Person gelten. Als „unerträglich“ hat ein SPD-Staatssekretär Sie deshalb bezeichnet. Wahrscheinlich meinte er seine neue Rolle: Politische Führung ist nichts für Warmduscher.

Herr Melnyk, was Ihr Land jetzt von uns braucht, ist nicht beleidigte Pingeligkeit, sondern massive, unkomplizierte, entschlossene Unterstützung. Und was mein Land benötigt, sind Leute wie Sie, die uns dazu – „Hallooo! Aufwachen!“ – aus dem Fernsehsessel rufen.

Ihrer Position übrigens möchte ich in einigen Punkten widersprechen. Die Idee einer Nato-Flugverbotszone etwa halte ich sowohl aus geografischen als auch politischen Gründen für zu gefährlich. Eine direkte Konfrontation von Nato-Luftabwehr und russischen Kampfjets auf einer Fläche der Größe Frankreichs, das scheint mir der sichere Weg in einen Weltkrieg zu sein.

Und ob das Asow-Regiment wirklich der extremistischen Umtriebe so unverdächtig ist, wie Sie behaupten, wäre wohl eine eigene Diskussion wert.

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Aber immerhin kenne ich Ihre Position. Wer kann das schon vom russischen Botschafter sagen? Wer wüsste seinen Namen? Ja, wer kennt überhaupt irgendeinen Botschafter?

Was der Weltöffentlichkeit gegenwärtig aus den politischen und diplomatischen Führungsetagen der beiden Kriegsparteien geboten wird, könnte gegensätzlicher nicht sein. Moskau präsentiert ihr einen aggressiven, einsamen, sich an seinen Tisch klammernden Despoten – und dahinter ein großes Nichts.

Kiew zeigt Menschen in ihren starken und schwachen Momenten, mutig und verzweifelt, mal dankbar, mal fordernd. Wie auch immer sich der Konflikt militärisch entwickeln wird: Den medialen Krieg hat Putin längst verloren.