Der eine will für die Republikaner Vizepräsident der USA werden, die andere gilt als Favoritin der demokratischen Partei auf die Nachfolge des Amtsinhabers Joe Biden: J. D. Vance und Kamala Harris bestimmten die Schlagzeilen der vergangenen Tage. Doch nicht nur als Politiker sind sie erfolgreich, sondern auch als Buchautoren. Eine Gegenüberstellung ihrer Werke:
„Hillbilly Elegie“ von J. D. Vance
Dass es dieses Buch gibt, es sogar von Tausenden Menschen gelesen wurde, fand der Autor im Jahr des Erscheinens einigermaßen absurd. Er sei der Erste, der zugeben würde, „dass ich in meinem Leben nichts wirklich Bedeutendes erreicht habe“. Am bemerkenswertesten sei sein Abschluss in Jura an der Yale-Universität …
Das sagte J. D. Vance, nun von Donald Trump zum Running Mate auserkoren, im Jahr 2016, in dem sein autobiografisches Sachbuch „Hillbilly Elegie“ in den USA erschien. Darin beschrieb er die Krise der weißen Arbeiterklasse aus einer ungewohnten Perspektive, nämlich aus der Innensicht. „Amerikaner nennen sie Hillbillys, Rednecks oder White Trash“, so Vance: „Ich nenne sie Nachbarn, Freunde und Verwandte.“ Absurd war es also nicht, dass das Buch seine Leserinnen und Leser fand, zumal es genau zur rechten Zeit erschien: Just als die verarmte Arbeiterschicht Donald Trump ins Präsidentenamt verhalf – es also Erklärungsbedarf gab.
Trump wird im Buch nicht erwähnt. Auf anderen Wegen aber verglich Vance Trumps Methoden damals noch mit denen eines Drogendealers, nannte ihn „Betrüger“ und „zynisches Arschloch“, das „Amerikas Hitler“ werden könnte. Vance, obwohl damals schon bekennender Republikaner, hat ihn demnach 2016 auch nicht gewählt. Plötzlich galt das Werk aber als das politische Buch der Stunde und der damals 31-Jährige als Sprachrohr für jene Schicht der Abgehängten.
Kanzlerlektüre
Vance sollte damals erklären, was vielen seiner Landsleute als Rätsel erschien: Warum die Menschen im Rostgürtel Amerikas, einst eine Hochburg der Demokraten, plötzlich von Blau zu Rot wechselten. Sein Ziel beim Schreiben aber war ein anderes: „Ich wollte eine wahre Geschichte darüber erzählen, wie es sich anfühlt, wenn einem das Problem schon seit der Geburt wie eine Schlinge um den Hals liegt.“
In „Hillbilly Elegie“ beschreibt Vance den amerikanischen Traum, wie er ihn selbst vorlebt, und zugleich einen amerikanischen Albtraum: Wie sich blühende Industriestädte in drei Jahrzehnten in Ballungsorte der Hoffnungslosigkeit verwandeln. Seine Großeltern, Hillbillys mit iroschottischen Wurzeln, folgten den Lockrufen der Stahlindustrie und zogen von einer Kleinstadt in den Appalachen nach Middletown in Ohio. Für die Familie setzt eine kurze Phase des Aufstiegs ein, zumindest des finanziellen. Der Großvater wird gut bezahlter Arbeiter im Stahlwerk Amco, kauft ein Haus, ein Auto, in der bürgerlichen Mittelschicht aber kommt die Familie nie an: Die Hillbillys bleiben unter sich, ihrer Herkunft und ihren Traditionen verhaftet. Familienehre und Loyalität gehen über alles.

Als J. D. geboren wird, hat der Niedergang der Familie schon eingesetzt. Kämpfe, Gebrüll, körperliche Misshandlungen, Alkohol- und Drogenmissbrauch, das alles „war für uns fast so normal wie die Luft zum Atmen“. Seine Mutter, eine Krankenschwester, wird zum Junkie, verliert ihren Job, die Stiefväter wechseln, der Wohlstand zerrinnt. Das Gleiche passiert der Stadt: Arbeitslosigkeit, Armut, Drogen. Das Ausmaß der sozialen Krise hätten weder die Demokraten noch die Republikaner in den vergangenen Jahrzehnten ernst genommen, erklärte Vance damals.
Er ist dem Milieu entkommen, statistisch gesehen ein Ausnahmefall. Nach der Highschool ging er zu den Marines, dann auf die Universität von Ohio, von dort nach Yale. Später arbeitete er als Investmentbanker im Silicon Valley, bevor es ihn zurück nach Ohio zog. Sein Buch ist keine Anklageschrift, sondern eine persönliche, von Sympathie für seine „Hinterwäldler“ getragene Analyse. Vor dreieinhalb Jahren wurde der Bestseller verfilmt.
Wie ein Ausweg aus der Krise aussehen könnte? Die Lösung kenne er nicht, sagte Vance vor acht Jahren. „Aber ich weiß, dass sie dort ansetzt, wo wir aufhören, Obama oder Bush oder irgendwelche gesichtslosen Konzerne verantwortlich zu machen, und uns fragen, was wir selbst tun können.“ Zum Beispiel in die Politik gehen. 2021 startete Vance seine eigene Karriere, die den US-Senator von Ohio nun bis ins Weiße Haus bringen könnte. Gemeinsam mit Donald Trump, der Buch und Film bereits in höchsten Tönen lobte – als toller Bestseller über die fleißigen Männer und Frauen des Landes. (stw)
„Der Wahrheit verpflichtet“ von Kamala Harris
„Vorab möchte ich zwei Dinge erwähnen: Mein Name wird „Kammala“ ausgesprochen, mit der Betonung auf der ersten Silbe. Er bedeutet Lotusblüte, und diese ist in der indischen Kultur ein besonderes Symbol. Und ich möchte betonen, dass dies ein sehr persönliches Buch ist.“ So steht es in dem Vorwort des Buches „Der Wahrheit der verpflichtet“, umhüllt von dem Cover mit dem gewinnenden Foto der Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten. Alle wissen: Sie ist die erste Frau, sie ist die erste Person mit afroamerikanischen und auch mit asiatischen Wurzeln in diesem zweithöchsten Amt der USA.
Die beeindruckende Autobiographie ist vor ihrer Wahl im Team von Joe Biden abgeschlossen worden. Sie erzählt – menschlich und auch literarisch anspruchsvoll – vom erstaunlichen Werdegang der 1964 in Oakland, Kalifornien geborenen Kamala Harris. Ihre Mutter war Tamilin aus Indien und forschte an den Möglichkeiten der Heilung von Brustkrebs. Ihr Vater war Wirtschaftswissenschaftler und stammte aus einer afroamerikanischen Familie aus Jamaika.

Schon als Jugendliche kam sie mit der Bürgerrechtsbewegung in Kontakt. So war es nur konsequent, dass sie ihr Studium der Politik- und der Wirtschaftswissenschaft an der renommierten, Schwarzen Howard University in Washington D.C. aufnahm. (Das Adjektiv „Schwarz“ ist in dem Buch wie dieser Besprechung konsequent groß geschrieben. Das entspricht der Schreibweise der Schwarzen Community.) An dieser von Schwarzen gegründeten und besuchten University hatte auch die Literatur-Nobelpreisträgerin Toni Morrison studiert und später unterrichtet.
Nach ihrem Bachelor Abschluss ging Kamala Harris zurück nach Kalifornien, um dort Jura zu studieren. Nach ihrem Abschluss wurde sie Anwältin und begann ihre Karriere in der Staatsanwaltschaft von San Franzisco. Ihr Buch vermittelt einen guten Eindruck von der ganz anderen Laufbahnorganisation der Staatsanwälte in den USA. Sie werden nach intensiven Wahlkämpfen vom Volk direkt gewählt und vertreten in ihrer Arbeit und in ihren Plädoyers „das Volk“.
Harris begann als Assistentin, stellte sich dann auf mehreren Ebenen Wahlen und wurde schließlich die Generalstaatsanwältin für ganz Kalifornien. In Ihrem Buch beschreibt sie, worum es ihr jeweils ging: Die Richtigen wirksam bestrafen, die Unschuldigen freilassen, die „Eierdiebe“ mit Verständnis und Hilfe zur Rückkehr in ein normales Leben beurteilen: „Back on Track“! Immer wieder musste sie ihr Engagement gegen die Ungleichbehandlung von „coloured people“, also Schwarzen Menschen, gegenüber Weißen, auf die geringeren Chancen von Armen gegenüber Reichen, von Frauen gegenüber Männern richten.
Als Staatsanwältin bearbeitete sie nicht nur Akten, sondern nahm in einer bemerkenswerten Auslegung von Gewaltenteilung Einfluss auf die Gesetzgebung und die Umsetzung von Gesetzen in Kalifornien. So erwirbt sie sich Ansehen im bevölkerungsreichsten Staat der USA und wird zur Senatorin in den Senat gewählt – am gleichen Tag wie Donald Trump Präsident wird, dessen Name in dem Buch und im Personenverzeichnis nicht auftaucht.
Das Buch verströmt Hoffnung
Wie ein großartiges, sympathisches Regierungsprogramm linker Demokraten liest sich die lange Liste der Kämpfe dieser unermüdlich die amerikanischen Werte verteidigenden Frau, die es als Schwarze, als Asiatin, als unerbittliche Demokratin nicht leicht hatte. Sie kämpft gegen den unzuverlässigen Schulbesuch von Grundschülern, weil sie weiß, dass mangelnde Schulbildung schlechte Prognosen auslöst. Die kämpft gegen die Banken, die in der „Subprime“-Krise Hunderttausende von Zwangsversteigerungen auslösten und für Hunderttausende von Familien den Verlust ihres Eigenheims verursachten. Harris kümmert sich um den Fortbestand von „Obamacare“, der Krankenversicherung für breite Bevölkerungskreise, um klimaneutrales Wirtschaften, um das Verbot der von der Trump-Administration angeordneten Trennung der Kindern von ihren Eltern, die um Asyl in den USA nachsuchen, weil sie in ihren mittelamerikanischen Heimatländern nicht leben können. Vieles setzt sie erfolgreich durch, anderes bringt sie auf einen guten Weg.
Ihr Buch verströmt Hoffnung in dem unendlichen Kampf um eine gerechtere Welt, die den lauthals verkündeten moralischen Ansprüchen und Werten besser genügt. Es liest sich als Ermutigung von einer Frau, die so sympathisch schreibt, wie sie aussieht. Seit über sieben Jahren ist sie mit dem jüdischen Rechtsanwalt Douglas Emhof verheiratet. Ihre ganze Familie und ihr eigener Werdegang sind in zahlreichen Farbfotos sichtbar.