Herr Hofmann, Sie haben fast 25 Jahre in Basel gelebt und gearbeitet – seit 2018 als Künstlerischer Direktor des Sinfonieorchester Basel. Kannten Sie die Südwestdeutsche Philharmonie, die ja jetzt Bodensee Philharmonie heißt, da schon?

Ja! Spätestens in der Zeit, als Beat Fehlmann Intendant war, hat man auch in Basel mitbekommen, was hier an interessanten Dingen passiert. Er verfolgte ja auch das Konzept, mit dem Orchester in die Stadt hineinzuwirken und an unterschiedlichsten Orten zu spielen. Das haben wir aufmerksam beobachtet.

Wie hat Sie die Anfrage, Interimsintendant zu werden, erreicht?

Ich habe im März aufgehört beim Sinfonieorchester. Der Plan war, ein sechsmonatiges Sabbatical zu machen. Endlich fand ich Zeit, mal meinen Garten zu beackern und bepflanzen. Aber nach zwei Monaten kam der Anruf aus Konstanz. Und je intensiver ich mich mit der Anfrage beschäftigt habe und auch erfuhr, was für Pläne und Visionen man hier hat, umso mehr wurde ich davon überzeugt, zunächst für ein Jahr das Orchester und Gabriel Venzago zu unterstützen.

Waren Sie zuvor schon mal in Konstanz?

Ich war hier schon ein, zwei Mal mit meinen Kindern, da sind wir am Rhein entlang zum Bodensee geradelt. Die Erinnerungen an die wunderschönen Landschaften spielten tatsächlich auch eine Rolle für meine Entscheidung.

Was werden Ihre Aufgaben hier sein? Das Orchester hat sich mit dem neuen Namen ja auch einer Neuausrichtung verschrieben.

Ein Ziel ist, auch Dank der Exzellenzförderung, die das Orchester vom Bund erhält, wieder stärker in die Stadt hineinzuwirken und auch an Orten zu spielen, die man nicht sofort mit Musik in Verbindung bringt. Beispielsweise präsentieren wir auf dem Wertstoffhof in der kommenden Saison mit der Percussionistin Vivi Vassileva ein „Recycling Concerto“. Dabei geht es auch darum, sich inhaltlich mit Themen wie Nachhaltigkeit oder Demokratrie auseinanderzusetzen.

Das andere Ziel ist die regionale Ausrichtung, die sich im Namen Bodensee Philharmonie spiegelt. Wenn man die Karte im neuen Programmbuch aufschlägt, sieht man schon, dass die Anzahl der Gastspiele zugenommen hat.

Hans-Georg Hofmann, Interims-Intendant der Bodensee Philharmonie, im Gespräch mit SÜDKURIER-Redakteurin Elisabeth Schwind.
Hans-Georg Hofmann, Interims-Intendant der Bodensee Philharmonie, im Gespräch mit SÜDKURIER-Redakteurin Elisabeth Schwind. | Bild: Hanser, Oliver

Wie gehen Sie diese Aufgaben an?

Ich habe zunächst viel zugehört und Gespräche geführt – sowohl intern mit den Mitarbeitenden, mit Orchestervorstand, Personaltrat, Musikerinnen und Musikern als auch mit den anderen Playern der Stadt wie etwa Intendantin Karin Becker vom Theater oder Ruth Bader, Geschäftsführerin vom Bodensee Forum. Und natürlich mit Vertretern der Stadt. Das ist für mich eine ganz neue Erfahrung, dass man hier sehr eingebunden ist in die Sitzungen im Rathaus.

War das in Basel nicht so?

Nein, in Basel gibt es einen Subventionsvertrag über vier Jahre. Vor dem Auslaufen einer Subventionsperiode hat man sich dann zusammengesetzt und alles besprochen. Das ist hier viel intensiver, aber ich finde das gut. Das sorgt für Transparenz, verlangt kritische Reflexion und spricht für gegenseitiges Interesse. Das ist mir wichtig. Jetzt in der ersten Zeit geht es mir darum, mir ein Gesamtbild zu machen und gemeinsam eine Strategie für den Betrieb und das künstlerische Profil auszuarbeiten.

Wobei es ja nicht so ist, dass man immer Neues erfinden muss, es gibt da ja schon viel erfolgreiches. Ein zentraler Punkt für mich ist aber, dass alle in die Prozesse eingebunden werden. Einen klaren Fahrplan zu entwickeln, das sehe ich als meine Hauptaufgabe. Man muss wissen, wofür man in den nächsten Jahren arbeitet und kämpft.

Was kann man als Interims-Intendant in einem Jahr überhaupt erreichen?

Keine Frage, es gibt viel zu tun. Der Marketingbereich wird neu aufgestellt werden. Der Name Bodensee Philharmonie muss zum Programm werden. Ebenso gilt es, das Exzellenzprogramm in die Stadt zu tragen. Das braucht eine gemeinsame Schubkraft, damit man sich nicht verzettelt.

Sie würden für sich also nicht ausschließen, nach dem einen Jahr zu bleiben?

Nein, das würde ich grundsätzlich nicht ausschließen. Aber das ist eine Sache, die wir gemeinsam entscheiden werden. Ich habe in Basel bei beiden Orchestern jeweils elf Jahre gearbeitet. Ich bin ein Freund von Kontinuitäten und überzeugt, dass man wirksam nur etwas Schritt für Schritt aufbauen kann, wenn man auch einen gewissen Zeitraum dafür zur Verfügung hat. Jetzt geht es erst einmal um den ersten Schritt: Stabilität, Aufmerksamkeit und Qualität.

Was sind Ihre nächsten Schritte?

Derzeit besuche ich einzelne Orte rund um den Bodensee, wo die Philharmonie spielt oder möglicherweise spielen könnte. Ich treffe mich mit Repräsentanten aus Politik und Kultur, um zu erfahren, wie hoch der Bedarf ist. Wir möchten ja stärker in die Region hineinwirken und mehr Drittmittel erwirtschaften. Dazu braucht es natürlich auch die Bereitschaft und Mittel auf der anderen Seite.

Ich fange allerdings nicht von vorne an. Unter Herrn Fehlmann ist ja bereits viel aufgebaut worden, manches kann man weiter entwickeln. Neben der Vision braucht es den kritischen Blick. Damit meine ich zum Beispiel das Verhältnis zwischen Eigenproduktion und Gastspielen oder Kooperationen. Dazu kommt das volle Programm an Vermittlung und Exzellenz. Das ist eine ganze Menge – aber ich bin zuversichtlich, dass sich am Ende die Qualität der Bodensee Philharmonie durchsetzen wird.

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Die Gastspiele haben ja deutlich zugenommen. Ist das überhaupt rentabel? Natürlich verkauft man seine Programme bei einem Gastspiel, aber die Musiker müssen ja auch bezahlt werden. Da fallen doch deutlich mehr Dienste an.

Eine festgelegte Anzahl von sogenannten Diensten ist über den Künstlertarifvertrag abgedeckt. Die setzen sich zusammen aus Proben, Reisezeiten und Konzerten. Diese Limite haben wir natürlich immer im Blick.

Das hieße aber, dass die Musiker zuvor unterbeschäftigt waren.

Das sehe ich nicht so – die Dienste waren früher anders verteilt. Es ist jetzt so, dass Gastspiele vor allem Wiederholungen von bereits einstudierten Programmen sind, die auch in Konstanz gespielt werden. Das heißt, man muss sie nicht erst neu proben. Das war – so mein Eindruck – vorher etwas anders. Wenn man für jedes Gastspiel ein anderes Programm einstudiert, braucht es mehr Proben, also mehr Dienste.

Wenn es gelingt, ein Philharmonisches Konzertprogramm aus Konstanz auch woanders zu veranstalten, dann ist am Ende die Dienstzahl nicht viel höher. Ich würde es eher so formulieren: in der kommenden Spielzeit erreichen wir die Obergrenze an Diensten.

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Nochmal zur Neuausrichtung der Philharmonie, die ja jetzt Bodensee Philharmonie heißt. Haben Sie einen solchen Prozess schon mal miterlebt oder mitbegleitet? Wie lange dauert es, bis ein neuer Name in den Köpfen der Menschen ist?

Ich glaube, in dem Fall sollte es einfacher sein. „Bodensee“ ist kürzer und spricht sich leichter. Und man identifiziert sich regional eher damit als unter dem Namen „Südwestdeutschland“.

Ob ich so etwas schon mal erlebt habe? Jein. Beim Kammerorchester Basel gab es aber anfangs Verwechslungen, weil Paul Sacher, der Musikmäzen aus Basel, auch ein Kammerorchester hatte, das Basler Kammerorchester. Das hatte sich 1984 aufgelöst. Das Kammerorchester Basel wurde kurz danach gegründet, zunächst als „Serenata Basel“, später nannte es sich in Kammerorchester Basel um. Da gab es dann immer diese Verwechslungen.

Inzwischen hat sich der Namen international etabliert, und man identifiziert sich auch mit dem Vermächtnis von Paul Sacher. Der große Vorzug der Bodensee Philharmonie im Unterschied zu Basel ist aber, dass man hier das einzige Profiorchester in der Region ist. Deshalb werden die Leute auch weniger Mühe haben mit dem neuen Namen.

In den Köpfen vor allem der Älteren ist die Philharmonie ja noch immer das „BSO“, also das Bodensee-Symphonie-Orchester, so wie es bis 1988 hieß. Vielleicht fällt die Umgewöhnung dadurch ja auch leichter.

Stimmt. Jetzt sind wir die „Bphil“ – nur dass es die auch in Berlin gibt (lacht).