Herr Venzago, Sie sind jetzt seit einem guten Jahr Chefdirigent der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz. Kaum hatten Sie Ihr Amt offiziell angetreten, löste auch schon die Intendantin ihren Vertrag auf. Ich vermute, Sie hatten sich Ihren Start weniger turbulent vorgestellt?
Ja natürlich. Ich bin mit Insa Pijanka gut zurechtgekommen. Daher war es für mich ein Schock, als sie ging. Also musste ich mir überlegen, welche Konsequenzen ich daraus ziehe. Okay, ich nahm den Mehraufwand auf mich und versuchte, das Beste daraus zu machen. Bis jetzt bereue ich das keine Sekunde. Und nebenher kann ich noch unter Beweis stellen, dass ich die richtige Wahl als Chefdirigent war.
Weil Sie nun auch Intendantenaufgaben übernehmen?
Ja, und weil vieles auch funktioniert. Wir haben viele Gastspiele nächstes Jahr, wir haben vom Bund die Exzellenzförderung bekommen, und wir haben nächstes Jahr sogar eine neue Reihe in der Tonhalle Zürich. All das entwickelt sich gerade. Wir – das heißt Rouven Schöll, Dieter Dörrenbächer und ich, tatkräftig unterstützt von unserem Kulturbürgermeister Andreas Osner – wir sind ein gutes Team geworden. Was aber nicht heißt, dass ich an dieser Aufgabe festhalten und das immer weiter machen will. Es ist schon eine krasse Doppelbelastung.
Zumal das letzte halbe Jahr auch von den Diskussionen um eine 20-prozentige Einsparung überschattet war. Ist das denn jetzt definitiv vom Tisch?
Ja, das ist vom Tisch. Die Zuschüsse werden zwar nicht weiter erhöht, aber wir haben die Bestätigung bekommen, dass unser Orchester sicher ist und großen Rückhalt genießt.
Es wird aber schon erwartet, dass Sie weniger teure Programm machen, die etwa weniger Aushilfen notwendig machen, oder?
Ja, das ist aber etwas, worauf ich sowieso achte, ob mit oder ohne Debatte. Das Orchester hat die Größe, die es nun mal hat. Dafür gibt es ein Repertoire und einen Etat, mit dem man klarkommen muss. Natürlich möchte man dem Publikum auch mal besondere Highlights zeigen. Mit dem letzten Philharmonischen Konzert dieses Jahr oder der Uraufführung einer Symphonie von Enjott Schneider mit dem symphonischen Chor im nächsten Jahr werde ich beispielsweise den Rahmen sprengen, aber das ist so kalkuliert. Dass ich so etwas ein Mal im Jahr mache.
Zwischendurch gab es ja die Befürchtung, das Orchester könnte auf ein C-Orchester heruntergestuft werden.
Das ist auch vom Tisch. Sobald die Überlegung in diese Richtung geht, muss man sich ernstlich fragen, ob man überhaupt ein Orchester haben will.
Sie haben es bereits angesprochen: Die Philharmonie ist in das Förderprogramm „Exzellente Orchesterlandschaft Deutschland“ aufgenommen worden und erhält vom Bund 400.000 Euro. Ist das die erste Ernte, die Sie einfahren können?
Ja, wobei das Geld nicht in unseren Haushalt einfließt, sondern projektbezogen ist. Aber wir freuen uns riesig – es ist die Höchstsumme, die überhaupt möglich war. Gemeinsam mit unserer Musikvermittlerin Andrea Hoever und unseren Musikern versuchen wir Musikvermittlung neu zu denken – auch unter Einbeziehung der Musikschule. Es geht dabei nicht nur um Formate für Kinder, sondern um die ganze Breite der Musikvermittlung, auch für Erwachsene. Und es geht um Formen, die man dann auch anderen Orchestern weiterempfehlen kann. Also um Erfahrungswerte, die man weitergeben kann. Wir bekommen jetzt übrigens noch eine weitere Förderung…
Für was und vom wem?
Unterstützung kommt von der Crescere Stiftung für die „Junge Bodenseephilharmonie“. Die Südwestdeutsche Philharmonie und die Musikschule Konstanz sind ja inzwischen ein Betrieb, weswegen wir die Zusammenarbeit deutlich verstärken. In diesem Zusammenhang wurde die „Junge Bodenseephilharmonie“ gegründet, ein Nachwuchsorchester mit Musikschülern aus der ganzen Region, die sich dafür beworben haben. Ich dirigiere es. Wir studieren Modest Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ ein. Die Proben haben letzte Woche begonnen. Die Aufführung wird am 07.07.2024 sein. Ich freue mich sehr darauf!
War das ein Vorgriff darauf, die Südwestdeutsche Philharmonie in Bodensee Philharmonie umzutaufen? Was steckt hinter dieser Idee?
Es hat jedenfalls nichts damit zu tun, dass ich alles umkrempeln möchte. Ich hatte schon im Bewerbungsgespräch gefragt: Warum heißt das Orchester „Südwestdeutsche Philharmonie“? Wer identifiziert damit Konstanz oder den Bodensee? Das ist einfach zu unspezifisch. Der Bodensee ist die Marke. Und so ist die Idee entstanden – zumal wir das einzige Berufsorchester um den See sind. Wir sind in Konstanz verortet, aber der gesamte Bodensee soll unser Einzugsbereich sein. Ich betrachte es als unseren Auftrag, dass wir nicht nur in Konstanz spielen, sondern auch da, wo es kein heimisches Orchester gibt. Es gibt einige schöne Orte hier, wo ich das Orchester zur kulturellen Grundversorgung gerne hinbringen würde.
Das Orchester spielt ja auch in Frickingen, Radolfzell, Singen oder Friedrichshafen. Was käme sonst noch in Frage?
Neu kommt Stockach hinzu. In Ravensburg sagen wir jetzt auch gerade Hallo. Nächstes Jahr spielen wir auch in Tuttlingen. Und es gibt mit großer Wahrscheinlichkeit eine Kooperation mit der Musikhochschule Stella in Feldkirch. Auf Schweizer Seite waren wir jetzt in Frauenfeld oder Wil. Auch da möchte ich mich noch nach weiteren geeigneten Orten umschauen.
Wenn das Orchester für den gesamten Bodenseeraum da sein soll, soll es dann auch von der gesamten Region finanziert werden?
Die Frage nach der Trägerschaft ist in der Debatte im letzten Halbjahr in der Tat angeklungen. Doch das ist eine andere Baustelle, eine politische Baustelle. Ich sehe es nicht als künstlerische Aufgabe, neue Träger zu suchen. Sondern wir suchen neue Orte, an denen wir spielen können.
Rechnen sich solche Gastkonzerte denn überhaupt?
Es funktioniert eigentlich ganz gut, wenn wir auf diesen Reisen unsere eigenen Programme spielen. Wir spielen ja jedes Konzert meistens drei Mal in Konstanz. Dann ist es vorbei. Wir würden es gerne woanders noch ein viertes oder fünftes Mal spielen.
Wie geht es jetzt mit der Intendantensuche weiter?
Der Gemeinderat hat am 29. Februar eine erneute Ausschreibung entschieden. Ich hoffe, dass die Intendanz nun sehr schnell und klug besetzt wird. Es braucht da eine nachhaltig umsetzbare Vision. Viele Stränge sind durch Corona abgebrochen, aber ich bin mir sicher, dass der Trend wieder zum Live-Konzert geht. Ich finde, in einer Zeit, in der wir alles zu Hause greifbar haben – wir können ja jede Sinfonie in jeder Interpretation jederzeit hören – ist dieses Gefühl, wie macht es eigentlich unser regionales Orchester, wieder stärker geworden.
Das merkt man ja auch bei den Lebensmitteln: Man denkt wieder regionaler. Und ich glaube, dass das auch bei uns in der Kunst so ist: Warum müssen wir aus England ein Orchester einfliegen, wenn wir eins um die Ecke haben? Ich bin der festen Überzeugung, dass wir hier den gesamten Bodenseeraum bedienen können, um im besten Sinne das beste Regionalorchester zu sein.