Das Bett, das schöne Bett: Im zweiten Obergeschoss steht es dick und rot in einer Mansarde des Museum Haus Dix in Hemmenhofen, ein wirkliches Prunkstück. Eigenhändig restauriert und bemalt von Nelly Dix. 1943 fand sie dazu die Zeit. In jeder Ecke lauern die Affen, oben auf dem hölzernen Abschluss des Baldachins tanzen die Gerippe Hand in Hand. Beweglich mit schlackernden Knochen, langarmig und ebenfalls affengleich. An der Frontseite reiten zwei Heilige, Sankt Martin links und der Drachentöter Sankt Georg rechts. Oben am inneren Himmel des Himmelbettes trösten immerhin drei Erzengel, die Nelly beschützen sollten.

Wer bibelfest ist, wird weitere Geschichten deuten können, wer nicht, findet die ausführliche Beschreibung der Szenen in einem Brief der Künstlerin an Pfarrer Anton Trunz, den Nelly am Nikolaustag 1943 ihrem vertrauten Lateinlehrer schrieb. Stück für Stück beschreibt sie darin nicht nur das Bett, sondern das gesamte Zimmer vom Regal bis zur Tür, um zu schließen: „So. Das hätten wir. Eigentlich eine Frechheit, Ihnen so einen Blödsinn zu verzapfen und Ihre Zeit ungebührlich in Anspruch zu nehmen. Ich rate Ihnen, es in Etappen zu lesen.“

Allein in diesem Brief zeigt sich, wie witzig und selbstironisch Nelly sein konnte. Wie kreativ und fantasievoll sie war, kann man an ihren Werken ablesen. Nicht nur für sich und das Haus schuf sie unermüdlich neue Kunstwerke, sondern auch für ihre Eltern und vor allem Geschwister.

Im Alter von 13 oder 14 erfand, schrieb und malte Nelly Dix ein Kinderbuch in Sütterlin-Schrift für Bruder Jan.
Im Alter von 13 oder 14 erfand, schrieb und malte Nelly Dix ein Kinderbuch in Sütterlin-Schrift für Bruder Jan. | Bild: Doris Burger

Jan, der jüngste Bruder, tat sich mit dem Lesenlernen schwer, und im Haus gab es zwar reichlich Bücher – aber keine Bücher in der damals gelehrten Sütterlin-Schrift, mit der sich heute nur noch Archivare und Geschichtsstudierende quälen müssen. So kam Nelly auf die Idee, dem Bruder mit einer Geschichte zu helfen, die sie nicht nur selbst erfunden, sondern auch sorgfältig in Sütterlin aufgemalt und illustriert hat. „Die Geschichte vom weit gereisten kleinen Teufel Eitel“, einem Teufel, dem es in der strengen Hölle zu langweilig wurde, und der ausgebüxt ist, um die Welt zu entdecken.

Bis heute spannend zu lesen, wurde das Buch erstmals 2013 mit einem Vorwort von Jan Dix verlegt, dem so früh und reich Beschenkten. Das Original ist erhalten und in diesem Jahr in einer Vitrine im Haus zu sehen, mit etlichen anderen Werken der Artistin. Mit Textil-Collagen, mit Aquarellen, mit Gouachen.

Ein Aquarell aus dem Jahr 1944 („Der breite und der schmale Weg“), gemalt als Taufgeschenk für ihren Patensohn Florian aus der Familie Fritz und Elisabeth Mühlenweg in Allensbach, zeigt ein überbordendes Bildprogramm aus christlichen und weltlichen Motiven. Besonders religiös war Nelly nicht, aber genau wie ihr Vater setzte sie sich intensiv mit biblischen Geschichten, verdichtet zu menschlichen Gefühlen, auseinander.

Nelly als junge Frau in einem weißen Kleid.
Nelly als junge Frau in einem weißen Kleid. | Bild: Kunstmuseum Stuttgart

Nelly, am 14. Juni 1923 in Düsseldorf geboren und in einer Reformschule in Dresden unterrichtet, war ein Kind der Freiheit. Die strengen Dorfschulen auf der Höri, in denen Kinder im Kreis stehen und das Einmaleins auf Kommando hersagen mussten, müssen ein Graus für sie gewesen sein. Wer nicht spurte, bekam den Stock zu spüren.

Schon beim Rechnen wusste sie ihrem Bruder zu helfen, wie sich Jan erinnert, später lernte er flott lesen. Mit dem Teufel Eitel und anderer Unterstützung. Nelly durfte 1937 diese Schulausbildung abbrechen, in Tübingen bekam sie Privat- und ersten Reitunterricht. Tatsächlich durfte sie sogar eine Ausbildung zur Dressurreiterin machen, Mutter Martha brachte sie dazu selbst nach Warschau zur Zirkusfamilie. In einem regen Briefwechsel mit ihrem Vater klagt sie später über ein Überangebot an körperlicher Arbeit und geistiger Unterforderung.

Nellys Bett, von der Frontseite aus gesehen.
Nellys Bett, von der Frontseite aus gesehen. | Bild: Museum Haus Dix

Ein Leitmotiv für Mädchen, denen in den seltensten Fällen adäquate Bildungschancen eingeräumt wurden. Das gilt auch für Nelly. Ihre Mutter Martha hätte sie am liebsten immer zu Hause gehabt. Gerade in der Kriegs- und klammen Nachkriegszeit war Nelly im Hause in Hemmenhofen unentbehrlich. Sie unternimmt nun vor allem geistige Ausflüge, unterhält eine rege Korrespondenz, besucht die Familie Mühlenweg in Allensbach. Später auch ihren Mann Günther Thaesler in Mainz, mit dem sie aber nie eine Wohnung führt.

Insgesamt fünf Kinder wird sie zur Welt bringen, zwei Mal sind es Zwillinge. Allein Bettina, eines der Zwillingskinder überlebt. Sie lebt bis heute, welches Glück. Und nahm auch das neue Buch zum kurzen Leben ihrer Mutter wohlwollend auf, wie Autorin Anne Overlack berichtet. Unter dem Titel „... um mein Talent vor euch leuchten zu lassen. Nelly Dix – Zirkusreiterin, Autorin, Künstlerin“ hat Overlack Selbstzeugnisse der Künstlerin und ihrer Zeitgenossen zu einer Zitat-Collage zusammengefügt. Der Förderverein des Museums brachte das Buch nun heraus.

„Alias Dix. Zum 100. Geburtstag von Nelly Dix-Thaesler“, bis 31. Oktober, Museum Haus Dix in Gaienhofen-Hemmenhofen, Mi-So 10-17 Uhr. Am 14. Juni, 18 Uhr: Gedenken zum 100. Geburtstag von Nelly Dix mit Wiedererrichtung des restaurierten Grabkreuzes auf dem Friedhof Hemmenhofen. Ab 19 Uhr im Museum Lesung aus ihrem Werk. Infos: http://www.museum-haus-dix.de