Manchmal braucht es viele Beteiligte, bis eine besondere Veranstaltung zusammenkommt. Einen Initiator wie den Picard-Kenner Helmut Butzmann ist da zu nennen oder Anne Overlack, die Vorsitzende des Freundeskreises Jacob Picard in Öhningen-Wangen. Dann ist endlich alles arrangiert: Auf der Bühne der Höri-Strandhalle in Wangen sitzen Barbara Auer, erfolgreiche Film- und Theaterschauspielerin, und Eva Zöllner, Solistin am Akkordeon. Es geht um Jacob Picard, promovierter Rechtsanwalt und jüdischer Schriftsteller (1883–1967), geboren in Wangen am Untersee.
Bewegendes Denkmal des Landjudentums
Picard setzte dem süddeutschen Landjudentum ein bewegendes Denkmal, wie sich auch bei diesem Literaturkonzert erleben lässt – und hatte selbst ein bewegtes Leben, das auf der Höri begann und, nach mehr als zwei Jahrzehnten im amerikanischen Exil, in Konstanz endete. „Jetzt isch mir, als sei i grad mal durchs Dorf glaufe“, soll er gesagt haben, kurz bevor er 93-jährig starb. Seine Novellen sind bis heute lesenswert. Sie öffnen ein Fenster zu einer versunkenen, teils grausam zerstörten Welt.
Barbara Auer beherrscht den Dialekt
Barbara Auer liest aus diesen Novellen, auch in Dialektpassagen souverän. Denn Auer wuchs selbst am See auf, ihr Vater stammte aus Bohlingen, und die ländliche Höri, so bekundet sie in der Einführung, fand sie als Stadtkind aus Konstanz selbstredend langweilig. Das hat sich geändert, seit sie in Hamburg lebt und die Welt gesehen hat. Im letzten Jahr war sie mit ihrem Mann zu einem Urlaub in der Region und entdeckte die Halbinsel bei langen Spaziergängen neu.
Das Akkordeon unterlegt, kommentiert und kontrastiert die Geschichten vom See, geschrieben von Picard in einer poetischen bildstarken Sprache. Dagegen setzt Zöllner zeitgenössische Musik: „Ich wollte gerne einen Blick von heute werfen“, kündigte sie an. Musik aus den letzten 50 Jahren wählte sie aus, ergänzt um eigene Improvisationen.
Eigenwillige Stücke in einer erstaunlichen Klangwelt: Kreischende Sägen, vielstimmige Klagen und Stöhnen, Tropfen und Schlagen. Ab und an hätte man sich etwas Besänftigendes gewünscht, etwas Tröstliches. Der Blick von heute zurück gibt das wohl nicht her – bringt uns aber einen zu Unrecht vergessenen großen Autor nahe.
Zum Weiterlesen: Jacob Picard: „Und war ihm leicht wie nie zuvor im Leben“,
Libelle-Verlag, Neuausgabe 2012.