Filmische Lösegeld-Übergaben ohne Geldkoffer? Eine Zauber-Show ohne Münze hinterm Ohr? Das möchte sich niemand vorstellen. Und es gibt noch mehr Beispiele, die zeigen, wie unverzichtbar Münzen und Scheine auch im Jahr 2024 noch sind

Ehelosigkeit

Zahlreich sind die Hochzeitsbräuche, für die Geld in seiner physischen Form eine Rolle spielt: So ist es in manchen polnischen Gegenden üblich, das Brautpaar beim Verlassen der Kirche mit Münzen zu bewerfen, die beide um die Wette einsammeln müssen, woraus sich angeblich die interne Hierarchie ihres neu gegründeten Haushalts ergibt.

Weiter noch verbreitet ist der sogenannte Geldtanz, bei dem Banknoten am Kleid der Braut angeheftet werden. Nachweise für diesen Brauch gibt es aus den USA, den Balkanstaaten und als Taki-Zeremonie aus der Türkei. Das junge Paar soll so nicht auf den Kosten des Fests sitzen bleiben: Aber wer traut sich noch, wenn das wegfällt und Armut als Folge der Hochzeit droht? Insofern dürfte die Abschaffung des Bargelds einen Verstoß gegen Artikel 6 des Grundgesetzes darstellen, der die Ehe unter Schutz stellt.

Kein Sex, kein Koks, kein Gangsterfilm

Wie soll künftig im Gangsterfilm eine rauschmittelsatte Atmosphäre sexueller Verfügbarkeit inszeniert werden, wenn es kein Bargeld mehr gibt? Bekommen Stripperinnen dann beim Tanz an der Stange Mobiltelefone in den Tanga gesteckt? Werden Kokain-Lines mit einem medizinischen Nasensauger aus der Apotheke gesnieft statt durch die gerollte 500-Euro-Note? Wie? Die gibt‘s schon nicht mehr? Schlimm!

Genauso wie der Trend, Lösegeld-Übergaben durch Computer-Transfers per Geheimzahleingabe zu erfassen, cineastisch ein schwerer Verlust ist gegenüber der dramatischen Auslieferung von Koffern mit Banknoten oder Zeitungsschnipseln. Das Schwinden des Bargelds stürzt das Genre Gangsterfilm in eine Krise, die seinen Untergang bedeuten kann.

Sprachverarmung und Spielverlust

„Taler, Taler, du musst wandern“ heißt ein schönes Spiel, das Hegel-Schüler Adolph Hillert 1842 in seinem Kinderkalender in Spielen, Bildern und Liedern für jeden Monat und alle Jahre im Monat Februar empfiehlt. Tatsächlich lässt es sich noch immer mit Spaß beim Kindergeburtstag bis etwa fünf Jahre spielen – aber nur, solange es Bargeld gibt, das sich in einer Hand verbergen lässt und nicht als Digital-Münze schon immer ganz platonisch unsichtbar ist.

Klar, noch immer geht die Sonne auf, auch wenn seit 300 Jahren das heliozentrische Weltbild durchgesetzt ist. Aber ob sich so etwas wie dieses Talersuchen-Spiel noch halten kann, wenn es keine klingende Münze mehr gibt, wenn keiner im physisch präsenten Geld schwimmen oder es aus dem Fenster herauswerfen kann, wenn niemand jeden Groschen dreimal umdreht und der Klingelbeutel in der Kirche die Gestalt eines piepsenden Kartenlesegeräts annimmt?

Laut griechischer Mythologie bringt der Fährmann Charon die Toten ins Reich des Hades. Der russische Maler Alexander Litowtschenko ...
Laut griechischer Mythologie bringt der Fährmann Charon die Toten ins Reich des Hades. Der russische Maler Alexander Litowtschenko (1835-1890) hat jedoch vergessen, ihnen das notwendige Zahlungsmittel in die Hand zu drücken – wir haben es in der Mitte nachträglich hineinmontiert. Ob Charon Paypal akzeptiert? | Bild: Wikipedia

Man sollte es ihnen mit kleiner Münze heimzahlen, diesen Falschmünzern, die das Bargeld abschaffen wollen! Denn sie drohen, uns der Sprache selbst zu berauben, die von Quintilian bis Ferdinand de Saussure im Bild des Geldes gespiegelt wurde. Ohne sie aber können wir Fährmann Charon nicht einmal erklären, warum wir keine Münze mehr im Munde tragen, als Lohn dafür, dass er uns übersetzt ins Schattenreich.

Tolle Tricks und fauler Zauber

Nun gut, nicht immer ist Bargeld unverzichtbar. Zwar kann nichts besser als Münzen unterschiedlichster Größenordnung Unterlegscheiben ersetzen, um die Maulzange zu verkleinern, und ebenso helfen sie, Schlitzschrauben zu öffnen, wenn gerade anderes Werkzeug fehlt. Aber den vermeintlichen Kühltruhen-Münztrick, der nach längerer Abwesenheit belegen soll, ob der Strom zwischenzeitlich ausgefallen ist, der funktioniert mit jedem kleinen Gegenstand, der nicht schwimmt, einem Kiesel etwa genauso. Den soll man halt auf die Oberfläche eines Glases mit gefrorenem Wasser legen und ins Eisfach stellen. Ist er nach längerer Abwesenheit eingesunken, war wohl der Strom weg, heißt es.

Wahrscheinlich macht das kein Mensch, aber die Ratgeber des Internets sind begeisterte Kolporteure dieses Life-Hacks, wie sie diesen faulen Zauber nennen. Umgekehrt wissen alle wahren Varieté-Magier, dass Verblüffung und Spannung besonders groß sind, wenn sich bei Kunststücken garantiert ungezinkte Euro und unpräparierte Scheine aus dem Portemonnaie eines Zuschauers in Luft auflösen, ihm dann aus Ohren und Nase gezogen werden oder sich in der Hosentasche seines Sitznachbarn wiederfinden. Versuchen Sie das mal mit Bitcoins!

Erziehungsproblem

Wer hat Ihnen Ihr erstes Geld ausgehändigt? Waren es Oma oder Opa, Mutter oder Vater? Und? War‘s eine Überweisung? Eher nicht, oder? Vermutlich war es eine Münze, die Sie in heißen Fingerchen hin und her gedreht haben, überlegend, was sich alles damit kaufen ließe? Und die sich dann beim Eisladen in eine Waffel mit einem Bällchen Vanille verwandelt hat. Oder hätten Sie in Fruchtgummi investiert? Und später, wegen Bauchschmerzen, Reue empfunden?

Der Umgang mit Geld will gelernt sein durch solche Erfahrungen. Die Vorstellung von Mengen und Werten lässt sich mit Münztürmchen entwickeln und schulen, schon den Übergang zur abstrakteren Banknote aus Papier zu verstehen, fällt Kindern nicht immer leicht – was keine Schande ist: Geld ist ja ein auch von den Wirtschafts- und Finanzwissenschaften nicht restlos geklärtes Rätsel. Absurde Kryptowährungen belegen, dass auch Erwachsene es missverstehen, die zu viel davon haben. Geld sammeln, mit ihm rechnen lernen, wird digital nicht klappen.

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Protest aus der Sparschwein-Branche

Eine Fiktion: Im Herbst 2025 verdichtet sich das Gerücht, dass es ein Ende haben würde mit Münzen und Scheinen. Sofort wird sich die Geschäftsführerin des komplett erfundenen europäischen Sparschwein- und Dosenherstellerverbandes (KIeS) an ihren Computer setzen und folgende Protestnote an die sehr geehrten Präsidentinnen der Europäischen Zentralbank und der EU-Kommission in die Tasten hämmern: „Mit großer Bestürzung haben wir von Ihren Plänen bezüglich der Abschaffung des Bargelds erfahren“, schreibt sie. „Ist Ihnen nicht bewusst, dass Sie damit eine seit über 2000 Jahren gepflegte Handwerkskunst mit einem Hammerschlag zertrümmern?“

Welch fantasievolle Geschöpfe! Und damit soll einmal Schluss sein? Sparschweine jedenfalls hätten in einer Welt ohne Bargeld keine ...
Welch fantasievolle Geschöpfe! Und damit soll einmal Schluss sein? Sparschweine jedenfalls hätten in einer Welt ohne Bargeld keine Existenzgrundlage mehr. | Bild: Norbert Försterling/dpa

Und weiter: „Die Sparbüchsen-Herstellung ist ganz Europa gepflegte Tradition! Sie wird von den in unserem Verband organisierten, alteingesessenen Manufakturbetrieben aufrechterhalten, die wertvolle Arbeitsplätze, Steuereinnahmen und in der Folge nicht unerhebliche Kaufkraft generieren. Wahr ist: Unsere Mitgliedsunternehmen geraten mehr und mehr unter Druck durch Billigschwein-Importe und Dosen-Plagiate aus Nichtgemeinschaftsländern. Wir als Verband erwarten von den europäischen Institutionen wirksame Maßnahmen gegen diese unfaire Konkurrenz – nicht hingegen, dass Sie uns, noch dazu unmittelbar vor dem Inkrafttreten der Verordnung zu unserem Schutz (EU 2023/2411), den Todesstoß versetzen! Lassen Sie lieber 30 Silberlinge im Kasten klingen, als Europas Seele dafür zu verkaufen! Retten Sie das Bargeld!“

Letzte Hoffnung Fußball

Das Bargeld wird nicht abgeschafft. Die Fifa, also der internationale Fußballverband, ist zu mächtig. Und in Regel 8 über Beginn und Fortsetzung des Spiels heißt es ganz ausdrücklich im ersten Satz des ersten Abschnitts: „Der Schiedsrichter wirft eine Münze.“ Ohne diese ist ein reguläres Match also nicht durchführbar. Und ja, die Fifa ändert ihre Regeln ab und zu. Aber ganz sicher nicht auf Druck von außen.