Herr Zelter, Ihr Publikum ist weggebrochen. Und nun?

Nachdem mein Stück in Gütersloh wegen der Ausbreitung des Coronavirus abgesagt wurde, war die erste Idee, daraus einen Film zu machen. Doch das geht jetzt auch nicht mehr. Wir können nicht zusammen drehen, da dann zu viele Mitwirkende auf engstem Raum wären. Also schreibe ich das Drehbuch für einen Film, in dem Schauspieler zuhause einzelne Szenen aufzeichnen. Die überspielen sie an das Theater. Dort wird es von einem Regisseur zu einem Film zusammengeschnitten. Das ist eine neue Form von Drehbüchern: „Liebe in Zeiten von Corona“, so lautet der Titel dieses Projekts.

In Ihrem Roman „Imperia“ schreiben Sie als Schriftsteller von einem verarmten Schauspieler. Wie ähnlich sind die Berufe?

Beide leben in prekären Verhältnissen, von Vertrag zu Vertrag. Gemeinsam ist auch: Wenn ein Schriftsteller ein großes Publikum gewinnt, hat er Wichtiges erreicht, Renommee. „Publikumsroman“ heißt heute ein Bestsellerroman, früher hätte man Trivialroman gesagt. Die Abhängigkeit von Publikum ist die Gemeinsamkeit. Die Corona-Krise trifft beide Berufsgruppen gleichermaßen.

Sie kennen beide Metiers?

Ich war Amateurschauspieler an der Uni Tübingen, habe dort Schauspielerfahrung gesammelt. Im englischen Drama, nicht nur Shakespeare, auch George Bernard Shaw, Oscar Wilde. Mittlerweile schreibe ich mehr Theaterstücke als Prosa. Dadurch habe ich viel Kontakt mit Dramaturgen und Regisseuren. Petra Afonin, die ich in der Danksagung meines Romans erwähne, war lange am berühmten Theater in Bochum beschäftigt. Von ihr weiß ich auch, wie schwierig es ist, einen Text zu lernen. Das war ihr wichtig. Mein Schauspieler muss einen langen Beckett-Monolog lernen.

Ihre „Imperia“ ist eher kein Publikumsroman...

Richtig. Ein Verlag wie Klöpfer & Meyer, jetzt Klöpfer, Narr, ist eine Oase für ungewöhnliche Autoren. Das „Denken ohne Geländer“, ein Begriff von Hannah Arendt, wurde auch das Motto des Verlages. Diese Verlage ermöglichen sperrige, ungewöhnliche, manchmal auch verwegene Literatur.

Damit stehen sie aber auch selbst oft am Rand des Abgrunds...

Natürlich, die Verlage sitzen mit den Autoren in einem Boot, sie teilen die prekäre Lage.

Sie lesen gerne und treten gerne auf?

Ich schreibe meine Bücher in Hinblick auf die Lesungen: Die Lesung ist für mich der eigentliche Höhepunkt eines Buches. Sie ist für mich ein eigenes Kunstwerk. So ist es aktuell nicht nur finanziell sehr traurig, wenn Lesungen nicht stattfinden, es nimmt dem Buch auch seine Bestimmung. Die Lesungen bringen Besprechungen in den Medien, Mitschnitte im Radio. Wie in der Popmusik, die Gruppen müssen auf Tour gehen. Tonträger bringen es nicht mehr.

Leere Ränge... Das antike Theater von Epidauros auf den Peleponnes, bietet eine einzigartige Kulisse. In den 1960er Jahren trat hier ...
Leere Ränge... Das antike Theater von Epidauros auf den Peleponnes, bietet eine einzigartige Kulisse. In den 1960er Jahren trat hier Maria Callas auf, sie sorgte für Besucherscharen wie in der Antike. Bild: Doris Burger | Bild: Doris Burger

Frau Professorin de la Tour aus ihrer „Imperia“ füllte Hörsäle, sie ist also an Publikum gewohnt?

Sie ist eine sehr exzentrische, öffentliche, narzisstische Figur. Wenn sie ihr Publikum nicht mehr hat, wird es schwierig. Sie sucht es in Cafés – als öffentliche Bühnen – ihre Auftritte. Sie ist die eigentliche Schauspielerin von den beiden. Von ihrer Stimme, von ihrem Auftreten her, wäre sie eine großartige Schauspielerin geworden. Aber sie wurde Professorin – weil sie es nie geschafft hat, die langen Texte zu lernen.

So sucht sie sich ihren persönlichen Fan?

Einen Begleiter... als ihre Teilhabe an der Bühnenwelt. Sie will aber auch herrschen, Macht ausüben.

Sucht sie Publikum oder einen verwandten Geist?

Beides! Es sind verschiedene Ebenen, zunächst einmal ist es ein Geschäftsverhältnis. Im Grunde geht es um die Einsamkeit: Zwei einsame Menschen haben sich auf sehr problematische Weise gefunden. Beide brauchen Rituale: Inselhotel, Badischer Hof, Konzil. Immer dieselben Kellner. Selbst den Schauspieler Gregor Schamoni erfüllt das zu einem gewissen Grad, es strukturiert sein Leben.

Das Publikum potenziert die Schmach – aber auch den Triumph?

Ja, das Publikum hat zwei Seiten. Man kann ins Bodenlose fallen – aber auch in den Himmel gehoben werden. Schon baulich hält die Bühne diese drei Ebenen bereit. Bei Shakespeare hatte sie mehrere Bereiche: eine Unterwelt, ein mittlerer Bereich, und eine Art Dach oder „Himmel“, ein Tuch, mit Mond und Sternen bemalt und gespannt. Im Zentrum stand oft ein Thron für den König.

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Was ist für Sie ein gutes Publikum, was ein weniger gutes?

In Hannover und Hamburg, Oldenburg, Lüneburg war es immer sehr gut. Mein angelsächsischer Humor kommt im Norden besser an.

Und Ihr Bezug zu Konstanz?

Ich mag die Stadt sehr und war schon häufig in Konstanz, zu Lesungen, zum Beispiel bei Homburger. Dieser Roman muss in Konstanz spielen, allein schon wegen der Statue, der Imperia. Sie ist der Inbegriff, das Inbild des Romans, hoch erhoben, in aller Öffentlichkeit vor den Kulissen der Berge. In Stuttgart kann ein solcher Roman nicht spielen!

Fragen: Doris Burger

Imperia. Roman von Joachim Zelter, Klöpfer und Narr, Tübingen 2019, 180 Seiten, Hardcover, 22 Euro.