Thea Stroh

Holzbretter auf dem Boden, Katzen streifen umher, draußen schreien irgendwo Kinder. Der erste Eindruck: ganz schön viel los hier. Am Rande der idyllischen Bodenseestadt Bodman herrscht kreatives Chaos. Mittendrinnen Bildhauerin Miriam Lenk, die zwischen den meterhohen Figuren vor ihrem Studio auftaucht. Sie will uns zeigen, wie das geht: eine Skulptur erschaffen.

Eine von denen, die nicht nur ordentlich in die Breite gehen, sondern auch in die Höhe. Eine wie „Yolanda“, ihr Initiationswerk aus der Studienzeit. Viele kennen die dicke Dame mit den hinterm Kopf verschränkten Armen vom Vorbeifahren am Uferbereich in Ludwigshafen. Und mancher hat sich dabei gefragt: Wie entsteht so was eigentlich?

Bild 1: Wie entsteht eine Skulptur? Bildhauerin Miriam Lenk zeigt es uns!
Bild: Kastner, Patric

Yolanda, das ist für Miriam Lenk der Archetypus einer Frau, die sich von nichts unterkriegen lässt. „Im Laufe der Jahre haben sich alle andere Figuren aus ihr entwickeln“, sagt Lenk. Erst seien sie immer massiger geworden. „Aber mit ‚Cumulus‘“, erklärt sie und zeigt dabei auf eine weibliche Skulptur, die schier zu platzen droht, „hatte ich irgendwann das absolute Maximum erreicht.“

Plötzlich eine Frau im Mondschein

Wie also anfangen? Natürlich mit einer Idee. Doch einfacher gesagt als getan – erzwingen lässt sich der Geniefunke nicht. Viel eher könne es geschehen, sagt die Künstlerin, dass sie nachts im Bett liegt, an nichts Bestimmtes denkt, „und plötzlich sehe ich da eine Frau im Mondschein!“

Manch einer wäre nun versucht, eilig Stift und Papier hervorzukramen, um die Vision gleich auf Papier festzuhalten. Nicht so Miriam Lenk, sie fertigt lieber gleich ein kleines Tonmodell an.

Bild 2: Wie entsteht eine Skulptur? Bildhauerin Miriam Lenk zeigt es uns!
Bild: Thea Stroh

Der nächste Schritt ist um einiges schwieriger: Ein erster Abnehmer muss her!

Von der Inspiration zum Lebensunterhalt

Zwar kann Lenk mittlerweile von ihrer Kunst leben. Im Schnitt aber läuft sie mit dem ersten verkauften Abguss am Ende auf Null raus. Erst ab dem zweiten Abguss verdient sie tatsächlich an einer Skulptur. Das bedeutet: Mindestens diesen ersten Kauf muss sie schon eingetütet haben, bevor Sie loslegt.

Ist der erste Käufer einmal gefunden, steht die wahre Aufgabe bevor: Lenk beginnt die Arbeit an einem Tonmodell – das am Ende die gewünschten Originalgröße erreicht. Tonnen von Ton versammeln sich nun nach und nach und werden in Form gebracht.

Bild 3: Wie entsteht eine Skulptur? Bildhauerin Miriam Lenk zeigt es uns!
Bild: Thea Stroh

Lenk lässt die Figuren bei diesem langwierigen Prozess stetig wachsen und sich von innen nach außen in alle Dimensionen ausbreiten. Sie sagt, ihr Prinzip dabei sei die Akkumulation: Es geht um das Zusammenbringen und Anhäufen von verschiedenen Elementen.

Wenn sie an einem Tonmodell arbeitet, lässt sie sich dabei von ihrer Intuition leiten. Tag für Tag schaut sie sich das Material an, findet heraus, was es ihr anbietet und welche Stellen noch unausgereift sind. Dann befeuchtet sie die Masse und formt sie mit verschiedenen Werkzeugen und ihren Händen.

Filigrane Feinarbeit Video: Thea Stroh

Dabei springt sie auch impulsiv zwischen mehreren Stellen hin und her – gleichzeitig scheint sie jede Stelle des Tons aber so sorgfältig zu bearbeiten, dass die Katzen draußen ihn mit neidischen Blicken belegen.

Miriam Lenk bei der Arbeit Video: Thea Stroh

Nun ist es vielleicht die eine Kunst, einen kreativen Geistesblitz zu haben, die andere ist aber, zu wissen, wie man ihn realisiert. Die Gefahr: Ohne Fachkenntnisse könnten die Skulpturen irgendwann zusammenkrachen wie ein kleiner Holzhocker unter der Masse der „Cumulus“-Dame. Als Bildhauerin muss Lenk eben nicht nur tolle Ideen haben, sondern auch die Statik im Blick behalten. So macht das Material mit seinem Gewicht tatsächlich noch eine ganz konkrete Vorgabe.

Etwa ein Jahr lang kann Lenk den Ton ihrer Modelle feucht genug halten, um Veränderungen daran vorzunehmen. Dann muss das Resultat stehen.

Mit Wasser hält sie den Ton feucht, so kann er weiter bearbeitet werden Video: Thea Stroh

Nach so einer intensive Beschäftigung einen Endpunkt finden, das Herzenswerk abschließen – wie soll das denn nun gehen? „Im Zweifelsfall hilft ein näher rückender Ausstellungstermin!“, so Lenks praktische Devise.

Vom Modell zur Negativform

Übrigens: Skulptur ist nicht gleich Skulptur. Unter dem Begriff versammeln sich zwei vollkommen gegensätzliche Vorgehensweisen. Nach der ursprünglichen Unterscheidung entsteht eine Skulptur durch Hauen und Schnitzen, wird also aus einem Materialblock herausgearbeitet. Demgegenüber steht Lenks Arbeitsweise, bei der die Gestalt nicht durch Wegnehmen, sondern durch das An- und Auftragen von Material wächst. Das so geformte Objekt gilt dann in der Fachsprache als Plastik.

Lenk glättet an ihrer, wie wir also gelernt haben, Plastik aus Ton im Prozess nach und nach all die Elemente, die sie für gelungen hält. Nun steht dort ein glattes, vor allem aber tonnenschweres und meterhohes Modell.

Bild 4: Wie entsteht eine Skulptur? Bildhauerin Miriam Lenk zeigt es uns!
Bild: Miriam Lenk

Hätten wir nun eine Tasse getöpfert, so bräuchten wir sie nur noch in den Ofen zu schieben und zu brennen. Doch so einfach ist das hier nicht. Wenn Lenk fertig mit ihrem Werk ist, beginnt sie damit, am Modell eine Negativform für den finalen Abguss zu bauen. Die Leiter in ihrem Studio ist übrigens ihr bester Freund.

Zwei weitere Schritte stehen Lenk beim Bauen dieser Form, in die später das flüssige Material gegossen wird, bevor: Zunächst formt sie das Tonmodell mit einem elastischen Material, üblicherweise Silikon, ab. Dafür stellt sie mehrere Einzelteile her, die später zusammengefügt werden.

Bild 5: Wie entsteht eine Skulptur? Bildhauerin Miriam Lenk zeigt es uns!
Bild: Miriam Lenk

Obwohl das Silikon elastisch ist, muss Lenk sich hier im Voraus genau überlegen, wie sie die Einzelteile der Negativform ansetzten will. Bestimmte Elemente wie die kleine Figur am Sockel der „Janusfee“, müssen beispielsweise extra abgeformt werden.

Bild 6: Wie entsteht eine Skulptur? Bildhauerin Miriam Lenk zeigt es uns!
Bild: Thea Stroh

Das gilt auch für den zweiten Schritt des Formenbaus, wenn Lenk die Silikonform zusätzlich mit stabilem Gips ummantelt. Denn wenn die Künstlerin hier nicht systematisch vorplant, wie sie die Einzelteile ansetzt, könnte es zu Hinterschneidungen kommen. Das bedeutet, dass sich die Negativform, die mit dem harten Gipsmaterial auch starr wird, von vorne und hinten gleichzeitig an ein Element setzt und deshalb nicht mehr abgenommen werden kann, ohne das Modell zu zerstören. Dann wäre ein Haufen Arbeit für die Katz.

Bild 7: Wie entsteht eine Skulptur? Bildhauerin Miriam Lenk zeigt es uns!
Bild: Miriam Lenk

Wer solche Negativformen baut, will das um jeden Preis vermeiden. Und so geht auch Lenk lieber auf Nummer sicher. In mühseliger Kleinarbeit können sich so bis zu 60 Gipsteile für einen Quadratmeter der Skulptur ansammeln. Da heißt es dann: Überblick bewahren!

Bild 8: Wie entsteht eine Skulptur? Bildhauerin Miriam Lenk zeigt es uns!
Bild: Miriam Lenk

Um die Stücke später wieder korrekt zusammenzusetzen, sollte man dran denken, sie sorgfältig zu nummerieren. Dieses Vorgehen beim Bauen der Negativform hat Lenk an der Kunsthochschule in Dresden gelernt. Darauf ist sie besonders stolz.

Bild 9: Wie entsteht eine Skulptur? Bildhauerin Miriam Lenk zeigt es uns!
Bild: Miriam Lenk

Lenk kommt zum Abschluss der Arbeiten mit einer Skulptur. Mit der gebauten Negativform heißt es nun „Leb‘ wohl!“ – der Sprössling wird einer Kunstgießerei übergeben. Dort befüllen Gießer die Form mit einem verflüssigten Material, zum Beispiel Wachs oder Epoxidharz. Und plopp! Nach monatelanger Arbeit ist hier nach vergleichsweise kurzem Warten das Material erstarrt, und der Skulpturrohling kann aus seiner Hülle wie befreit werden wie ein Schmetterling aus seinem Kokon.

Bild 10: Wie entsteht eine Skulptur? Bildhauerin Miriam Lenk zeigt es uns!
Bild: Miriam Lenk

Das absolute Finish verleiht Lenk ihren Skulpturen vor dem Abtransport wieder selbst: Sie schleift und patiniert die Stücke noch einmal in Handarbeit.

Bild 11: Wie entsteht eine Skulptur? Bildhauerin Miriam Lenk zeigt es uns!
Bild: Thea Stroh

Jeder Prozess (und damit auch diese Geschichte) kommt auch mal zu seinem Abschluss: So kann auch eine kolossale Skulptur von Miriam Lenk ihre Geburtsstätte verlassen und ihren Bestimmungsort finden. Das kann eine Galerie sein, die Fußgängerzone einer Innenstadt oder eine Sammlung. Je nach Material eignen sich manche der Skulpturen besser für Außenbereiche. Aber eins darf der neue glückliche Besitzer auf keinen Fall beim Abholen in Bodman vergessen: den Kran für sein neues Kunstwerk.