Max, in Ihrem Buch erfährt man, dass Sie Protokoll über Ihre Restaurantbesuche führen und jedes Mal aufschreiben, wo Sie waren und was Sie dort gegessen haben. Das stimmt wirklich, oder?

Das stimmt, aber das mache ich nicht für mich, sondern für meine Kinder. Ich führe also nur Buch, wenn sie dabei sind. Gehen wir dann irgendwann später noch mal in dasselbe Lokal, dann kann ich sie beim Aussuchen beraten und sagen: „Also, letztes Jahr hattest du das hier, und du mochtest es nicht. Willst du das wirklich wieder bestellen?“ Dazu lese ich dann vor, was ich im Ausgehprotokoll vermerkt habe. Das wird dann meistens ziemlich lustig am Tisch.

Und Ihre Kinder überdenken ihre Wahl noch mal?

Selten. (lacht) Auch der eigentliche Zweck dieser Aktion erfüllt sich meistens nicht. Ich bin der ungeduldigste Mensch der Welt, und ich kann es nicht leiden, wenn vorm Bestellen endlos diskutiert wird.

Die Öffentlichkeit kennt Sie als tiefenentspannten, in sich ruhenden Menschen.

Mit dieser falschen Vorstellung, ja diesem Mythos, räume ich jetzt auf. Auch deshalb habe ich das Buch geschrieben. In 20 Jahren hat sich ein Image festgesetzt, das meinen Liebsten einen Lachanfall beschert, an dem sie fast ersticken. Eben weil es so ein Quatsch ist. Ich bin in Wahrheit ein sehr unruhiger und zappeliger Mensch. Ich habe ADHS, das wurde nur nie behandelt. Wenn ich mit der Familie am Strand bin, halte ich es höchstens einen Tag dort aus. Dann muss ich wieder irgendwas machen, mich bewegen. Lange still zu sitzen, ist eine Tortur für mich.

Sie haben also „So viel mehr: Meine Geschichte“ geschrieben, damit die Leute Sie endlich so sehen, wie Sie in Wirklichkeit sind?

Das war ein wesentlicher Grund. Ich will, dass die Leute über Anekdoten aus meinem Leben erfahren, wer ich wirklich bin. Dass sie verstehen, wie dieser Typ tickt, was ihn geprägt hat, warum er so wurde, wie er ist. Ich habe das Buch komplett selbst geschrieben. Anders ging es nicht. Ich komme vom Hölzchen aufs Stöckchen, nehme aber immer einen roten Faden mit. So entspinnt sich ein Netz, in dem man zwischen den Fäden erkennen kann, wer dieser Max Mutzke eigentlich ist.

Der Schwarzwald ist seine Heimat: Max Mutzke steht auf einer Wiese nahe Herrenschwand.
Der Schwarzwald ist seine Heimat: Max Mutzke steht auf einer Wiese nahe Herrenschwand. | Bild: Philipp von Ditfurth/dpa

Ist das Buch eine Autobiografie?

Nein, nein. Auf keinen Fall. Nicht mit 43. Ich fände es schräg und sehr überheblich, wenn mein Buch im Laden neben den Memoiren von Barack Obama, Jack Nicholson oder dem Dalai Lama stünde.

Da steht es nun allerdings trotzdem. Wie sind Sie auf die Idee für diese Anekdotensammlung gekommen?

Die Idee wurde von dem Verlag an mich herangetragen, der im vergangenen Jahr mein erstes Kinderbuch „Komm mit ins Paradies der Träumer“ veröffentlicht hat. Mein anfänglicher Plan war, über meine krasse Kindheit und Jugend mit einer Mutter zu schreiben, die schwer alkoholkrank war. Ich wollte aufzeigen, wie ich eine Resilienz entwickelt habe und wie das Leben mit meiner Mutter trotz allem auch oft schön und lustig war. Aber ich habe den Fehler gemacht, vorher nicht mit meinen fünf Geschwistern über das Konzept gesprochen zu haben.

Im Buch „So viel mehr“ erzählt Max Mutzke seine Geschichte.
Im Buch „So viel mehr“ erzählt Max Mutzke seine Geschichte. | Bild: Verlag S. Fischer

Die Geschwister waren nicht begeistert.

Nein. Sie meinten, zu recht: Max, wenn du deine Geschichte erzählst, erzählst du auch unsere. Sie haben ihr Veto eingelegt. Das Kapitel, das jetzt über meine Mutter im Buch ist, habe ich in Abstimmung mit meinen Geschwistern geschrieben.

Was haben Sie beim Schreiben über sich und Ihr bisheriges Leben gelernt?

Ich habe manches neu einordnen können. Ich beschreibe im Buch die letzten Erlebnisse mit meiner Mutter, und da geht es um eine Frau, die sehr zerfallen war, die sehr mit dem Alkohol und dem Tod gerungen hat. Aber während ich das Kapitel schrieb, verlagerte sich der Schwerpunkt meiner Sicht auf meine Mutter ins Positive. Weil ich mir in Erinnerung rufen konnte, dass sie ganz lange eine extravagante, verrückte, aus dem Rahmen fallende, aber auch gesunde Person war. Ich hatte ein unglaubliches Glück, sie so lange erlebt haben zu dürfen.

Ihre Mutter starb 2013 im Alter von 61 Jahren. Hat Ihr Vater, der Anfang 90 ist, das Buch gelesen?

Noch nicht. Aber ich habe natürlich mit ihm über meine Mutter gesprochen. Er hatte manche Dinge anders in Erinnerung, positiver, und ich war darüber fast sauer, wie er manches sah. Ich schob das auch auf Co-Abhängigkeit, bis mir beim Schreiben auffiel: Mein Vater hatte nicht unrecht. Dass das Leben mit meiner Mutter vor allem unschön und schwer auszuhalten war, das stimmte tatsächlich nur zum Schluss.

Max Mutzke tritt mit „Forever Strong“ beim deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest an – gewonnen hat am Ende Isaak Guderian, ...
Max Mutzke tritt mit „Forever Strong“ beim deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest an – gewonnen hat am Ende Isaak Guderian, der in Malmö 12. wurde. | Bild: Christoph Soeder/dpa

Insgesamt lesen sich Ihre Erinnerungen sehr unterhaltsam, oft leicht und humorvoll, jedoch nicht frei von Melancholie und Nachdenklichkeit. Ist das Buch ein bisschen so wie Ihre Musik?

Der Gedanke freut mich sehr. Leichtigkeit mit Tiefe – ja, ich denke, das bin ich. Ich habe eine eher unbeschwerte Charakterseite, die mich gut durchs Leben schiebt und durch den Alltag bringt. Aber es gab auch Schicksalsschläge, die tief greifend waren.

Gleichzeitig ist Ihr zehntes Album „XX“ erschienen. War es immer Absicht, Buch und Platte parallel zu veröffentlichen?

Ja, das ist einfach sinnvoller so. Was allerdings zur Folge hatte, dass ich schreiben musste wie ein Verrückter. Als die Abgabefrist nahte, habe ich jeden Tag 10.000 Zeichen geschrieben, bin morgens um 6 Uhr aufgestanden, habe abends vor dem Schlafen noch geschrieben und mich vor Konzerten sogar backstage ein, zwei Stündchen hingehockt. Ich bin meiner Familie über allen Maßen dankbar, dass sie mir diese Zeit zugestanden hat.

Das Album „XX“ ist gerade erschienen.
Das Album „XX“ ist gerade erschienen. | Bild: Gaby Gerster

Sie haben vier Kinder im Teenageralter mit Ihrer Jugendfreundin Nazu, mit der Sie nicht mehr zusammen sind. Anfang 2024 sind Sie wieder Vater geworden, Mutter des Kindes ist Ihre neue Lebensgefährtin, mit der Sie in Köln zusammenleben. Sie pendeln zwischen Waldshut-Tiengen im Schwarzwald, wo Sie aufgewachsen sind und wo Ihre älteren Kinder wohnen, und Köln hin und her. Ganz schön stressig.

Das war schon ein brutal hartes, aber auch wunderbares Jahr. Irgendwie habe ich es alles rechtzeitig hinbekommen, das Buch, das Album, die Tourvorbereitungen, aber mein lieber Mann, ich ging ganz schön auf dem Zahnfleisch.

Fast hätten Sie ja auch noch am ESC in Malmö teilgenommen. Im Vorentscheid sind Sie mit Ihrem Lied „Forever Strong“ knapp geschlagen Zweiter geworden.

Klar wäre es lustig gewesen, 20 Jahre nach „Can‘t Wait Until Tonight“ wieder beim ESC dabei zu sein. Aber im Nachhinein war es besser so. Wenige Tage vor der ESC-Entscheidung ist nämlich unser Nachwuchs auf die Welt gekommen. Hätte ich gewonnen, wäre ich so eingespannt gewesen, dass ich meine Familie drei Monate lang kaum gesehen hätte. Und ich selbst wäre vor Stress wahrscheinlich tot umgefallen. (lacht)

Max Mutzke singt beim Eurovision Song Contest 2004 in Istanbul, wo er 8. wurde.
Max Mutzke singt beim Eurovision Song Contest 2004 in Istanbul, wo er 8. wurde. | Bild: Ulrich Perrey/dpa

Haben Sie sich in diesem aufregenden Jahr auch mal Zeit für sich nehmen können?

Einmal, neulich im Sommer. Ich war mit meiner Lebensgefährtin auf einer Hochzeit von Freunden in Holland eingeladen. Aber dann habe festgestellt, dass dies das einzige Wochenende ist, an dem ich mit einem Freund die langersehnte Motorradtour durch die Alpen machen konnte. Und dann bin ich mit ihm losgefahren, 20.000 Höhenmeter, 12 Stunden am Tag auf dem Motorrad. Wir haben auf dem Gasherd gekocht und in irgendwelchen Tälern wild gecampt. Es war herrlich.

Auf der Rückfahrt wurde mir beim Rastmachen plötzlich so schlecht, dass ich mich übergeben musste. Ich habe es dann so gerade noch trotz Grippeanfall und Übelkeit nachts um eins nach Hause geschafft. Dort angekommen, habe ich 30 Stunden durchgeschlafen. Das war meine Erholung für dieses Jahr.

Sie sind also lieber mit einem Kumpel auf dem Motorrad losgezogen, als Ihre Partnerin auf eine Hochzeit zu begleiten?

Ja, das ist richtig. Es war ja nicht meine Hochzeit. (lacht)

Ihrer Beziehung scheint das nicht geschadet zu haben. Sie singen auf „XX“ jede Menge richtig schöner Liebeslieder wie „Abgeholt“ und „Angekommen“.

Nach der Corona-Zeit und meinem Album „Wunschlos süchtig“, auf dem ich ziemlich ernst und weltverbesserungsmäßig unterwegs war, hatte ich genug von schweren Themen. Ich fand es befreiend, ein Album mit ganz vielen Liebesliedern zu schreiben. Erwachsenen Liebesliedern.

In „Alles so weit weg“ singen Sie darüber, dass wir zwar gesellschaftlich gespaltener denn je sein mögen, man sich in der Partnerschaft aber dennoch sehr nah sein kann.

Es ist nicht gesund, wenn man sich so sehr in Sorgen reinsteigert, dass man selbst nachts keine Ruhe mehr findet. Manche fragen sich ja, ob sie überhaupt noch glücklich sein dürfen angesichts des Schreckens in der Welt.

Und?

Ja. Unbedingt! Wenn ich abends im Bett neben einem meiner Kinder oder neben meiner Lebensgefährtin liege, dann ist das trotzdem total schön. Also trotz Krieg in der Ukraine, in Israel, in Palästina, in Mali, im Libanon. Ich finde es wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen: „Wir liegen jetzt hier, und es geht uns gut, uns fällt nicht die Bombe ins Schlafzimmer, wir müssen nicht hungern, wir können sagen, was wir wollen, und leben, wie wir wollen.“ Das ist ein riesiges Privileg, für das wir uns nicht schämen sollten. Ich möchte ein Leuchtturm sein, der die Leute mit Optimismus ansteckt.

Das könnte Sie auch interessieren

Was baut Sie auf, was gibt Ihnen Mut?

Wir Westeuropäer gehören zu den privilegiertesten Menschen der Welt. Wir wissen, wie wir unsere Familien sattbekommen, unsere Kinder können zur Schule gehen, wir haben ein erstklassiges Gesundheitssystem. Es gibt so viel, für das wir dankbar sein können. Ich finde es daher erschreckend, wie sehr wir dazu neigen, unsere Demokratie und unser Sozialsystem ständig schlechtzumachen. Wir müssen aufhören, auf die Spalter zu hören. Ich glaube, in manchen Dingen ist uns als Gesellschaft ziemlich der Fokus verrutscht.

Blicken Sie selbst nach 20 Jahren Karriere entspannt in die Zukunft?

Wie gesagt, Gelassenheit ist nicht meine Stärke. Ich grübele schon viel über die Zukunft nach, über die Altersvorsorge, ich denke auch immer, dass die Karriere ja nächstes Jahr vorbei sein könnte. Dabei mache ich das jetzt schon so lange, dass ich mich eigentlich ein bisschen beruhigen könnte.

Wie ein Mann von fast Mitte 40 wirken Sie übrigens nicht.

Ich weiß. (lacht) Ich fühle mich – meistens – auch nicht so. Sondern wie ein 23-Jähriger mit 20 Jahren Erfahrung.