Frau Geiger, hatten Sie jemals das Gefühl, dass Sie irgendetwas nicht erreichen können, nur weil Sie eine Frau sind?
Leider ja. Ich habe überall auf der Welt studiert, ich habe zwei Master-Abschlüsse gemacht und ich habe mich dann bei einem der größten Technologie-Konzerne der Welt hochgearbeitet und Verantwortung übernommen – immer ohne Gehaltsanpassung. Als ich nach drei Jahren immer noch bei meinem Einstiegsgehalt war, habe ich gesagt: „So geht das nicht weiter!“ Als mein Chef mir dann sagte, ich hätte doch wenigstens genug Geld, um über die Runden zu kommen, das sollte doch genug sein, konnte ich das nicht glauben. Was ich in dem Gespräch an Sexismus erfahren habe! Mir war klar: Ich kann machen, was ich will, aber ich komme dort als Frau einfach nicht weiter, weil mir Steine in den Weg gelegt werden.
Am Ende des Gesprächs hat mir mein Chef dann gesagt: „Wenn Sie jetzt die Firma verlassen, dann nimmt Sie sowieso keiner.“ Ich lebe ja in London – dort nennt man das „Buddy Clubs“, das bedeutet nichts anderes, als dass Männer zum Beispiel Führungspositionen immer unter sich vergeben. Frauen habe da einfach keine Chance. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, das zu ändern. Ich setze mich für mehr Frauen in der Technologie-Branche und in Führungspositionen ein – diese Mission ist aus meinen eigenen Erfahrungen entstanden.
Sie machen nicht den Eindruck, als könnten Sie sich nicht gegen so einen Männer-Club durchsetzen …
Ob das stimmt, kann man wahrscheinlich erst dann sagen, wenn ich – und das ist mein großes Ziel – in der Geschäftsführungsebene bin. Ich habe nach dieser Erfahrung jedenfalls das Unternehmen gewechselt und bin zu einer Firma gegangen, in der Frauen gefördert werden und wo es allein deshalb auch mehr Frauen gibt. Und ich habe selbst auch Initiativen gestartet: Ich habe ein Mentoren-Programm, ich baue ein Frauen-Netzwerk auf, ich biete Schulungen an, um Frauen in den Technologie-Bereich zu holen. Ich bin natürlich selbstbewusst, weil ich schon einiges erreicht habe.
Ich kann mich jetzt hinstellen und sagen: „So geht das nicht!“ Ich habe gelernt, als Frau auch laut zu sein und zu sagen: „Ich kenne meinen Wert und ich verkaufe mich nicht darunter.“ Für Männer sind gerade Gehaltsverhandlungen oft einfacher, weil ihnen dieses Selbstbewusstsein quasi anerzogen wird. Sie stellen sich hin und sind laut. Frauen zweifeln oft an sich, auch wenn sich da zum Glück schon einiges geändert hat.
Was raten Sie denn Frauen, wenn Gehaltsverhandlungen anstehen? Wie können sie lernen, ihren Wert zu erkennen und sich entsprechend zu verkaufen, ohne arrogant zu wirken?
Interessanterweise werden Frauen oft als arrogant abgestempelt, wenn sie wissen, was sie können, und verlangen, angemessen dafür bezahlt zu werden. Das macht es natürlich umso schwerer, seinen Wert zu erkennen und dafür einzustehen. Was mir geholfen hat, ist Selbstreflexion, zu überlegen: Wo liegen meine Stärken? Was kann ich gut? Wo habe ich vielleicht auch Schwächen? Und ich versuche, Dinge zu machen, die mich aus meiner Komfortzone rausholen, zum Beispiel indem ich neue Projekt annehme. Dadurch erfährt man, wo die eigenen Fähigkeiten liegen, und das hilft meiner Erfahrung nach, den Vorgesetzten gegenüber selbstbewusster gegenüberzutreten.
Ich werde außerdem viel von Headhuntern kontaktiert – solche Gespräche sind, gerade wenn man gerade gar keinen neuen Job sucht, eine gute Gelegenheit, um auch einfach mal auszutesten, wie viel Gehalt man verlangen kann.
Waren Sie schon immer so selbstbewusst?
Nein. Als ich nach dem Studium nach London gegangen bin, war ich sehr zurückhaltend. Ich komme ja aus einer Winzer-Familie und sollte immer Wein-Prinzessin werden – aber ob Sie‘s mir glauben oder nicht: Ich war viel zu schüchtern dafür. Was mich selbstbewusst gemacht hat, ist mein Umfeld in London, das sehr international ist und wo jeder seine Erfahrungen machen darf.
Ich komme aus einem kleinen Dorf, da füllt jeder eine bestimmte Position aus. In London konnte ich einfach mal schauen: Wie möchte ich mich darstellen? Mit welchen Leuten will ich mich umgeben? Ich habe mir ein großes Netzwerk aus Leuten aufgebaut, die Großes erreichen wollen – das hat mir dabei geholfen, selbstsicher zu werden.
Ist es für Sie ein Kompliment, wenn Sie als Karrierefrau bezeichnet werden? Oder schwingt da so ein Unterton mit?
Ich höre das leider ganz oft von Frauen, dass sie negatives Feedback bekommen, nur weil sie sagen, was sie erreicht haben. Auch in Deutschland wird Frauen vermittelt, dass sie nicht so laut sein sollen, sich nicht darstellen sollen. Aber ich glaube, gerade jetzt muss es darum gehen, uns auch mal darzustellen. Wenn wir Frauen sichtbar sein und als Vorbild dienen wollen, dann dürfen wir uns nicht davon abhalten lassen.
Glauben Sie, dass Frauen heute alles erreichen können?
Frauen haben ganz klar das Potenzial, alles zu erreichen, was sie sich vornehmen! Allerdings ist es bis zur Chancen-Gleichheit in männerdominierten Berufen noch ein weiter Weg. Bei „Miss Germany“ machen wir uns dafür stark, dass es Chancen-Gleichheit und Gleichberechtigung von Männern und Frauen in allen Bereichen gibt, damit wir eine Zukunft schaffen, in der Frauen weder von veralteten Rollenbildern, noch von Diskriminierung limitiert werden.
Bei der Wahl zur „Miss Germany“ stehen Sie mit 21 anderen Frauen im Halbfinale. Warum wollen Sie diesen Titel haben?
Ich möchte „Miss Germany“ werden, weil ich Veränderungen vorantreiben will. Ich möchte, dass es in der Wirtschaft mehr Diversität gibt, dass Frauen und Männer die gleichen Chancen haben, dass Geschlechtergerechtigkeit endlich Realität wird. Ich sehe nicht ein, dass Frauen weniger verdienen als Männer und weniger Aufstiegschancen haben. Ich hoffe, dass andere Frauen sich denken: „Wenn die Annika aus Daisendorf am Bodensee das schafft, dann kann ich das auch!“ Als „Miss Germany“ könnte ich wirklich was verändern – und auch ein Vorbild sein. Ich will, dass Frauen sich nicht von Männern aufhalten lassen, dass ihre Selbstzweifel überwenden und sich keine Grenzen setzen.
Vor ein paar Jahren war der Wettbewerb noch sehr anders. Hätten Sie unter den damaligen Voraussetzungen auch mitgemacht?
Das Format von damals wäre nicht meins gewesen. Ich bin kein Model, das will ich auch nicht sein. Und ich will nicht als Frau dastehen und von fünf Männern beurteilen lassen, ob ich gut aussehe oder nicht. Ich will meinem Intellekt punkten. Deshalb mache ich jetzt mit, weil ich sehe, dass „Miss Germany“ die neue Frauengeneration hervorheben und eine Veränderung erreichen will, in dem sie uns eine Plattform gibt.
Wenn man die Bilder der 22 Halbfinalistinnen sieht, könnte man allerdings auch denken, man sei bei „Germany‘s Next Topmodel“ gelandet. Äußerlichkeiten spielen doch sicher trotzdem eine Rolle, auch wenn jede der Frauen eine Mission verfolgt?
Nein, überhaupt nicht. Es kommt bei allem, was wir machen, absolut nie aufs Äußere an. An einem Tag haben wir zum Beispiel alle ein Make-over bekommen – aber eben kein Umstyling, weil es nicht darum geht, jemanden zu verändern, sondern darum, unsere Persönlichkeiten hervorheben. Auch bei den Workshops, die wir in der Vorbereitung hatten, ging es immer darum, wie wir unsere Mission nach vorn bringen können. Wie wir unser wahres Ich zeigen können und uns nicht von Selbstzweifeln zurückhalten lassen. Ums Aussehen ging es nie.

Welche der anderen Kandidatinnen finden Sie denn besonders spannend?
Meine Zimmernachbarin Gadou zum Beispiel. Sie ist eine transsexuelle schwarze Frau. Ihr Leben ist wahnsinnig inspirierend für mich, weil sie mit ganz anderen Hürden umgehen mussten als wir anderen. Und jetzt stellt sie sich auf die Bühne und sagt: „Hey, hier bin ich!“ Sie nimmt einfach jeden Raum ein. Und dann gibt es auch noch Lan. Sie ist Finanz-Bloggerin und kämpft dagegen, dass Geld als Männersache wahrgenommen wird. Sie will, dass Frauen lernen, wie sie Vermögen aufbauen können. Es sind also sehr unterschiedliche Themen, für die wir stehen – aber im Grunde geht es jeder darum, Frauen voranzubringen.
Was nehmen Sie für sich persönlich aus dieser Erfahrung mit?
Unglaublich viel. Zuerst einmal Selbstbewusstsein. Auch ich habe Selbstzweifel und Komplexe, aber im Umfeld dieser Frauen zu sein, die alle so empowering sind, das macht etwas mit einem. Wir hatten zum Beispiel auch ein Foto-Shooting, und da hat man ganz klar gesehen: Wir werden nicht einfach in Kleider gesteckt. Wir werden als Person analysiert uns unser Ich wird hervorgehoben. Mir hat das dabei geholfen, die Selbstzweifel abzulegen, die ich hatte. Es ist so eine unterstützende Atmosphäre, hinter der eine Botschaft steht: „Ihr müsst gar nicht lauter sein. Seid einfach ihr selbst.“ Dafür werde ich „Miss Germany“ ein Leben lang dankbar sein.
Trotz allem ist „Miss Germany“ ein Wettbewerb, den eine von Ihnen gewinnen wird. Gibt es da auch das Gefühl der Konkurrenz?
Tatsächlich nicht. Ich weiß, dass das schwer zu glauben ist. Aber „Miss Germany“ hat 22 Frauen ausgewählt, die alle eine Mission haben. Das bedeutet, sie haben sich mit ihrem Thema auseinandergesetzt und sind auch reflektiert. Ich habe das Gefühl, dass wir eher zusammen als gegeneinander arbeiten und schon überlegen, was nach „Miss Germany“ passiert, wie wir unsere Missionen vielleicht auch zusammen weiterführen können, um Veränderungen zu bewirken. Wir engagieren uns ja nicht deshalb, weil wir hier dabei sind, sondern wir haben das auch vorher schon getan und werden anschließend damit weitermachen. Klar will jede von uns „Miss Germany“ werden, aber jede sieht auch, wie wichtig die anderen Themen sind.
Was sagt Ihr Gefühl? Schaffen Sie es ins Finale?
Ich habe ein gutes Gefühl für die Top Ten. Es geht um Kriterien wie Professionalität, die Fähigkeit, andere zu inspirieren, und das Potenzial, sich weiterzuentwickeln. Das habe ich alles gezeigt. Und ich habe auch eine klare Vision, wie ich nach „Miss Germany“ weiterarbeiten möchte. Also hoffe ich, dass ich es schaffe. Es wird auf jeden Fall sehr aufregend.
Unabhängig davon, wie der Wettbewerb ausgeht: Wo sehen Sie sich denn in zehn Jahren?
Zehn Jahre? Das ist eine lange Zeit … Eine genaue Vorstellung habe ich noch nicht. Aber ich sehe mich schon in einer Führungsposition in einem großen Technologie-Unternehmen. Ich bin jemand, der auch gern mal ins kalte Wasser springt und dann schaut, wohin mich das führt. Aber ich hoffe auf jeden Fall, dass junge Mädchen sehen, dass Frauen es in Branchen, die heute eher mit Männern assoziiert sind, zu etwas bringen können.
Haben Sie einen Traum-Arbeitgeber?
Tatsächlich nicht. Aber klar, Unternehmen wie Amazon, Facebook und Google sind schon sehr interessant. Man muss natürlich immer schauen, wie die Gleichberechtigung dort umgesetzt wird.
Das heißt, wenn Sie sich mal nach einem anderen Job umsehen sollten, wäre es für Sie mit ausschlaggebend, wie das Thema Gleichberechtigung in einer Firma gehandhabt wird?
Auf jeden Fall. Es gibt viele tolle Initiativen in Unternehmen, wo man sagt, man will mehr Frauen in die Führungsebene holen. In meiner jetzigen Firma ist die Hälfte der Führungspositionen mit Frauen besetzt. Und sie werden nicht schlechter bezahlt als Männer, es herrscht Transparenz und jeder wird gerecht für seine Leistung bezahlt. Das ist mir sehr wichtig.
Wie stehen Sie eigentlich zur Frauenquote?
Frauenquote bedeutet für mich: Frauen werden unterstützt, um in eine bestimmte Position zu kommen, wenn sie genau dieselben Qualifikationen haben wie Männer. Man hört ja ganz oft Sätze wie: „Durch die Frauenquote bekommt eine Frau den Job nur, weil sie eine Frau ist, und nicht aufgrund ihrer Qualifikation.“ Das stimmt nicht! Frauenquoten sind dafür da, dass Männer nicht nur Männer befördern. Und dahinter stehe ich voll.
Wir brauchen Diversität, wir brauchen Frauen in Führungspositionen. Wenn dort nur Männer sitzen, werden auch vorwiegend Männer befördert. Also brauchen wir dort mehr Frauen, die eine Vorbildfunktion ausüben. Es ist nachgewiesen, dass Diversität Firmen größere Profite bringt, mehr Innovation, bessere Zusammenarbeit. Die Frauenquote ist für mich ein gutes Instrument, um einen Ausgleich zu schaffen und dafür zu sorgen, dass Männer bei gleicher Qualifikation nicht nur deshalb eingestellt werden, weil sie lauter sind als Frauen.
Sie leben seit 2018 in London. Vermissen Sie den Bodensee?
Sehr! Mein Herz ist noch am Bodensee. Ich war ja schon überall, ich habe auch in Neuseeland gelebt, eins der schönsten Länder der Welt. Zurück am See habe ich dann zum ersten Mal gedacht: Das ist der Wahnsinn, diese Idylle mit dem See und den Bergen. Ich bin ein sehr naturverbundener Mensch, das kann ich in London nicht ausleben, weil ich im Zentrum wohne. Wenn ich am See bin, genieße ich es zum Beispiel sehr, auf dem Meersburger Höhenweg unterwegs zu sein.
Wenn man sich Ihre beruflichen Pläne anschaut, kommt eine Rückkehr eher nicht infrage, oder?
Ich halte mir alles offen. Aber ja, im Moment kommt eine Rückkehr erst einmal nicht infrage. Ich will gern noch eine Zeit lang in die USA gehen, um dort meinen MBA zu machen, den Master Of Business Administration, den ich brauche, um in die Führungsebene zu kommen. Aber später vielleicht, wer weiß? Im Leben ändern sich die Dinge ja immer wieder. Vielleicht gefällt es mir in den USA auch gar nicht und ich bin ich schneller wieder am Bodensee, als ich denke. (lacht)