Der Bollenhut gehört zum Schwarzwald wie Frau Antje zu Holland. Vor sechs Jahren will Jochen Scherzinger die typische Tracht aus der Gegend um Gutach in ein ganz neues Licht stellen: weg vom traditionellen, braven Image hin zum aufregenden, coolen Look. Zusammen mit seiner Freundin Kim Klausmann wagt der Designer und Künstler den Tabubruch. Das Paar bemüht sich um eine originale Tracht aus der drei Dörfer umfassenden Bollenhut-Region. Die konservativen Brauchtumshüter in den Trachtenvereinen allerdings lehnen die Bitte erschrocken ab.
„Sie haben gesehen, dass ich tätowiert und gepierct bin. Sie sagten: ,Das ist provozierend, das machen wir nicht.‘ Sie haben einfach keine Tracht rausgerückt“, erinnert sich Kim Klausmann. Doch die beiden lassen nicht locker. Notgedrungen zieht Kim Klausmann einfach eine Tracht von Jochen Scherzingers Oma aus dem Hübschental an, das sich ebenfalls im Südschwarzwald abgeschieden auf 1000 Metern Höhe bei Gütenbach erstreckt. Auf den Kopf setzt sie sich einen echten Bollenhut, den die beiden unter Schwierigkeiten doch noch aufgetrieben haben.
Das unbekannte Schwarzwaldmädel
Die Fotos von Kim Klausmann schlagen ein wie eine Bombe, treffen einen Nerv. Sie zeigen ein bis dahin völlig unbekanntes Schwarzwaldmädel. In der Kleidung von gestern hat sie mit den seit den 1950er-Jahren gepflegten Klischees doch so gar nichts am Bollenhut. Die Werbung greift zu, Kim Klausmann wird zum neuen Gesicht des Schwarzwalds – in Gästejournalen, auf Litfaßsäulen und sogar auf Lastwagenplanen.
Das Model mit der herausfordernden Pose wird zum Trendsetter, der neue Stil findet zahlreiche Nachahmer. T-Shirts, Mützen, Kaffeetassen und alle möglichen Accessoires werden von verschiedensten Anbietern auf frech getrimmt, der Bollenhut im neuen Kleid ist plötzlich hip und wird zum Verkaufsschlager. Ein Boom setzt ein.
Kim Klausmann öffnet die Tür zu ihrem Haus in Furtwangen. Hier, am Staatsberg, ist die heute 26-Jährige aufgewachsen. Direkt nebenan wohnen ihre Eltern, Vater Alex hat die Säge laufen und macht Brennholz für den Winter, der hier oft lang und schneereich ist. „Inzwischen versucht jeder, sich ein Stück von der Kirschtorte abzuschneiden“, sagt Kim Klausmann mit Blick auf den Hype mit Schwarzwald-Artikeln.
Sie sieht das Ganze entspannt, doch bei Scherzingers Modelabel Artwood ist sie unter den diversen Models erste Wahl, daran lässt sie keinen Zweifel. „Da bin ich die Königin“, reklamiert sie selbstbewusst. „Sollte eine andere mir den Platz des Haupt-Models streitig machen, dann gäb‘s Ärger. Der Bollenhut ist für mich reserviert.“

Dass Kim Klausmann die Krallen ausfahren würde, hat vor allem mit Heimatliebe zu tun. Sie ist Schwarzwälderin mit Leib und Seele und deshalb stolz, ein besonderes Aushängeschild des 11.100 Quadratkilometer großen Gebiets zwischen Rhein und Neckar zu sein. Die Entstaubung des Bollenhuts geht mit einem Wandel von Einstellungen vor allem unter den Jüngeren einher. Baden-Württembergs Ferienregion Nummer eins lässt sich nicht auf Fichten, Berge, Kühe und Schinken reduzieren. Das gilt heute mehr denn je. Viele Menschen fühlen sich dem Landstrich verbunden und möchten dies auf zeitgemäße Art nach außen tragen.
Schon lange hätte Jochen Scherzinger gerne nicht nur über seinen Dialekt, sondern auch über die Kleidung gezeigt, wo seine Wurzeln sind: „Leider gab es 2008 nichts ,Schwarzwaldiges‘, das man guten Gewissens anziehen konnte, ohne sich damit lächerlich zu machen. Die Zeit war reif für eine authentische Marke, mit der sich der Schwarzwälder identifizieren kann. Schwarz musste es sein und stolz, eine klare Aussage und das Wichtigste: einen Spirit, der die Schwarzwälder emotional abholt.“
Der Schwarzwald soll moderner wirken
Hinter dem Erfolg des Mode-Start-ups Artwood stecken keine Werbeprofis. Doch begreifen Marketing-Strategen rasch den Wert von Kim Klausmann als Markenbotschafterin und die neue Bildsprache – eine Kombination aus Tradition und Moderne. Im Fahrwasser von Artwood wird die Marke Schwarzwald runderneuert. „Bollenhut, Schinken, Kirschtorte, Kuckucksuhr: Ich schätze Klischees“, sagt Hansjörg Mair, der Geschäftsführer der Dachorganisation Schwarzwald Tourismus mit Sitz in Freiburg. Doch wird mit der Wahrnehmung der Symbole gespielt, das Image neu interpretiert. „Wir sind jünger geworden, moderner, und in den Köpfen unserer Zielgruppen sind wir begehrlicher geworden“, sagt Mair.
Das Hausbackene wird abgestreift. Vor einigen Jahren gab es eine Aktion für das Ferienland Schwarzwald mit einer kurvigen Dame mit Bollenhut und dem doppeldeutigen Slogan „Große Berge, feuchte Täler und jede Menge Wald“. Diese frivole Werbung polarisierte, im Netz gab es einen Shitstorm. Sie zeigt indessen, dass der Schwarzwald das Biedere hinter sich lässt. Mystisch, geheimnisvoll, sexy wird er in Szene gesetzt – als Kontrast zum tradierten Schinken-Image.
Auf diesen Zweiklang setzen die Tourismus-Leute. „Ich muss auf dem richtigen Markt mit der richtigen Ikone kommunizieren“, weiß Hansjörg Mair. Der Erfolg gibt ihm und anderen Touristikern recht. Das Ferienziel Schwarzwald ist beliebter denn je, die Zahl der Übernachtungen ist in den vergangenen zehn Jahren gestiegen, auf zuletzt 56 Millionen im Jahr 2019. Das sind allein 40 Prozent der Gesamtübernachtungen in Baden-Württemberg.
Welche Orte verbinden Menschen im Ausland mit Deutschland? Hinter Berlin, Hamburg, München, Köln und Frankfurt am Main kommt der „Black Forest“. „Wir sind nach diesen Städten international die bekannteste Marke“, sagt Mair. Für ihn schlummert im Schwarzwald noch viel touristisches Potenzial. Der Südtiroler glaubt, dass der Schwarzwald durchaus mit seiner Heimat gleichziehen könnte: „Unsere größten und stärksten Mitbewerber liegen in den Alpen und Voralpen und nicht auf der Schwäbischen Alb.“
Der Schwarzwald als Marke ist für Kim Klausmann kein Thema. Zu Hause trägt sie keinen Bollenhut, sondern Jeans und einen bequemen Schlabberpulli. „Zurzeit modele ich wenig“, sagt die 26-Jährige. Die Arbeit vor der Kamera läuft bei ihr eher nebenher. Hauptberuflich ist die Veranstaltungskauffrau im Eventmanagement tätig und plant Hochzeiten. „Ich bin sehr zufrieden mit meinem Job, den gebe ich auch nicht auf – es sei denn, es kommt ‚Vogue Italia‘ auf mich zu“, sagt sie selbstbewusst mit einem Augenzwinkern.
Mode, das ist ihr Ding
Schon als junger Teenager hat Kim Klausmann viel mit Klamotten experimentiert. „Mode, das ist mein Ding“, sagt sie. Zum Modeln ist sie aber eher zufällig gekommen, sie hat keine Agentur und ihre Karriere bis heute nicht wirklich forciert. Beim Wettbewerb „Miss Schwarzwald“ wollte sie sich zwar immer mal bewerben: „Aber dann hab ich‘s doch nie gemacht.“ Auf Instagram hat Kim Klausmann unter „kimy-fromtheblog“ rund 2800 Follower, ihre Fotos – hier ist sie nicht das Trachten-, sondern vor allem das Streetstyle-Girl – bekommen Likes von den Fans.
Tatort statt Heidi Klum
„Manchmal nervt mich die Welt der sozialen Medien aber auch“, sagt das Model. „Die ganzen Likes, alles muss glänzen. Es ist nicht echt, vieles ist Fake.“ Das gängige Schönheitsideal der Frau – groß, schlank, lange Beine – geht für Kim Klausmann an der Realität vorbei. „Kein Mensch sieht so aus.“ Gerade für jüngere Frauen und Mädchen, „die noch nicht so richtig wissen, wo sie hinwollen“, hält Kim Klausmann die Glamour-Welt für gefährlich. Zur Model-Szene hat sie ein eher distanziertes Verhältnis. Was sie von TV-Castingshows wie „Germany‘s Next Topmodel“ hält? „Ich kann das nicht ertragen, das Rumgehample und Rumgeschreie der Mädels. Das ist nichts für mich, aus dem Alter bin ich raus. Da schaue ich lieber sonntags einen Tatort an.“
Kim Klausmann ist bodenständig, steht mit beiden Beinen fest im Leben. Ihre Heimat Furtwangen ist ihr wie der Anker, den sie auf ihrem Unterarm tätowiert hat. „Strength“ steht als Tattoo auf dem anderen Unterarm. Kraft zieht sie auch aus der Natur. Einer ihrer Lieblingsorte ist ein verlassenes Haus bei Furtwangen. „Wenn ich dort ins Tal schaue und einfach nur die Stille des Waldes höre, dann ist das unbeschreiblich schön.“ Früher, da habe sie gedacht, hier sei alles langweilig, sie müsse in die weite Welt hinaus, nach Berlin zum Beispiel. „Ich habe geglaubt, dort ist es unheimlich cool, da muss ich hin.“ Als sie dann in Berlin war, fand sie das Leben in der Metropole aber auf Dauer stressig. Auf ihre Drangphase folgte die Rückbesinnung auf die Wurzeln.
Hier am Bregtal-Lift direkt vor der Haustür hat Kim Klausmann im Winter schon als kleines Mädel auf Skiern gestanden. „Ich konnte erst Ski fahren und dann laufen“ erzählt sie. „Meine Kindheit hier würde ich nicht missen wollen, das war ein Traum.“ Sollte sie selber einmal Kinder haben, dann möchte sie, dass Sohn und Tochter so aufwachsen wie sie selbst. „Ich werde hier mal alt“, sagt sie. Das Schwarzwald-Model ist geprägt von seiner Heimat und prägt diese selbst nun ein Stück weit mit. Eine Symbiose, in der sich der Wandel einer Region widerspiegelt.