Wer bei Strittmatters in den kleinen Laden kommt, ist erst einmal irritiert. Der Kunde steht zunächst alleine vor den hölzernen Regalen und den Weinkisten. Man muss ein wenig warten, bis die Inhaber ins Geschäft kommen. Genauer gesagt, er oder sie steigen von der Wohnung im ersten Stock hinunter in das Lebensmittelgeschäft im Erdgeschoss. Während die Treppe gemütlich knarzt, kann sich der Kunde ein wenig umsehen in diesem altertümlichen Geschäft im Albtal (Kreis Waldshut).

Die Waage arbeitet noch mechanisch

Der Kunde sieht hier, was er in keinem der gestylten und nach psychologischen Gesichtspunkten sortierten Supermarkt zu sehen bekommt. Annemarie und Adolf Strittmatter sind von Mobiliar und Geräten umgeben, die aus der Zeit des Wirtschaftswunders stammen. Eine riesige analoge Waage, die ohne Stromkabel hängt. Eine Maschine zum Wurstschneiden, die mit Rädchen und Schrauben feinmechanisch verstellbar ist. In diesem Tante-Emma-Laden stehen Chips im Regal, es ist aber kein einziger Chip verbaut.

Frische Wurst verkaufen die Strittmatters nicht mehr, die Schneidemaschine ist abgeschaltet.
Frische Wurst verkaufen die Strittmatters nicht mehr, die Schneidemaschine ist abgeschaltet. | Bild: Fricker, Ulrich

Adolf Strittmatter, 76, ist ein freundlicher alter Herr, der auch im Sommer einen wärmenden Pullunder trägt. Hier in Immeneich, einem 200-Einwohner-Örtchen im Albtal, wird es schnell kalt.

Coffee-to-go? Das gibt‘s nicht

Ein Wanderer betritt den Laden und fragt, forsch, nach Coffee-to-go. Der 76-Jährige schüttelt traurig den Kopf – traurig nicht nur, weil das Modewort in die Stille des Ladens hineinplatzt. Nein, sagt er, ihm fehlt die Maschine für diese Sorte von Kaffee. Er wird das teure Gerät auch nicht mehr anschaffen auf seine alten Tage. Und dass man ein Heißgetränk im Pappbecher auf die Straße schleppt, missfällt ihm.

Strittmatter, Jahrgang 1945, ist ein Charakterkopf. Name und Familie stammen aus Görwihl, einem der größeren Orte im Hotzenwald. Wer ihm zuhört, erfährt viel über das einsame Tal und den Lebensunterhalt ihrer Bewohner. Bereits der Großvater unterhielt eine Bäckerei hier in Immeneich. So war es normal, dass sein Enkel bei ihm in die Lehre geht und Brötchen fürs Tal backt. Damals war er 14 Jahre alt, acht Jahre Volksschule lagen hinter ihm.

Seit mehr als 60 Jahren backt und verkauft Strittmatter im Haus seiner Eltern. Auch die Sternsinger kommen jedes Jahr und hinterlassen ...
Seit mehr als 60 Jahren backt und verkauft Strittmatter im Haus seiner Eltern. Auch die Sternsinger kommen jedes Jahr und hinterlassen den Segenswunsch. | Bild: Fricker, Ulrich

Das Dorf war früher autark

Nach der Heirat erweiterten Annemarie und Adolf Strittmatter ihr Angebot. Zum Brot kamen weitere Lebensmittel hinzu, Wurstwaren, Konserven und andere Güter des täglichen Bedarfs. Immeneich war gewissermaßen autark.

Diese guten Jahre sind vorbei, sagt der Chef. Die beiden Kinder sind fortgezogen und haben gute Jobs in der Industrie. Strittmatter weiß, dass sein Laden keine Zukunft hat. Sagt er selbst. „Die Leute fahren nach St. Blasien in den Supermarkt“, bemerkt er im Gespräch. Darüber ist er nicht einmal zornig, der Bäcker sieht das akzeptiert den Lauf der Zeit wie er nun einmal ist.

„Der Laden ist meine Beschäftigung“

Er und seine Frau Annemarie, 67, machen dennoch weiter. „Meine Rente ist nicht so üppig“, sagt er beiläufig. Deshalb kommt jeder Euro Umsatz doch gelegen. Im Übrigen steht er gerne hinter der hölzernen Theke. „Es ist doch gut, wenn man etwas zu tun hat. Der Laden ist meine Beschäftigung.“ So lange die Gesundheit mitspielt, bleibt das Geschäft offen.

Er backt noch immer, aber nicht mehr täglich. Immer mehr Kunden bleiben weg und fahren lieber in den Hauptort St. Blasien. Andere ziehen weg aus Immeneich, das aus einer Straße besteht. Ältere Kunden sind ihm treu. Sie nehmen in Kauf, dass er immer weniger Frisches und viele Konserven im Sortiment führt.

Die Waren holt er selbst beim Großhändler ab

Seine alten Lieferanten fahren ihn nicht mehr an, weil er zu wenig abnimmt. Also setzt sich Bäcker Strittmatter in den VW Golf und holt den Nachschub selbst ab. So schnell gibt er nicht klein bei. Er will, dass möglichst lange Licht brennt in dem schmalen Geschäft, an dessen Tür sein Name in geschwungenen Lettern steht.

„Ich mache das, so lange ich gesund bin“, sagt er. Auch nach mehr als 60 Jahren zwischen Backstube und Laden sind ihm die Kunden nicht zu viel. Nur der WKD (Wirtschaftskontrolldienst) fragt ihn ganz unverblümt: „Wie lange wollt ihr das noch machen?“ Da lässt sich Strittmatter aber auf nichts ein und schon gar nicht festlegen. Die Entscheidung nimmt ihm keiner aus der Hand.