Roland Knauer

Ohne nachhaltiges Wirtschaften bekommen wir auf einem Globus mit inzwischen 7,5 Milliarden Menschen bald erhebliche Probleme, erklären Forscher seit Jahren. Mit einleuchtenden Argumenten überzeugten sie schließlich auch die Politiker der Europäischen Union: Im wieder einmal sehr milden Januar 2018 beschließt das EU-Parlament in Straßburg, bis zum Jahr 2030 müssen 32 Prozent des Energieverbrauchs in der Europäischen Union aus erneuerbaren Quellen stammen. Und während der Dürresommer 2018 demonstriert, welche extremen Wetterlagen der Klimawandel bringen könnte, gießt die EU-Administration den Parlamentsbeschluss in eine Direktive, die bereits in Kraft ist.

„Eine Milchmädchen-Rechnung“

Während bisher nur Holzabfälle als emissionsarm eingestuft waren, zählen mit dieser Direktive jetzt auch direkt zum Verfeuern geschlagene Baumstämme zur nachhaltigen Energieproduktion. Schließlich wird beim Verbrennen des Holzes zwar reichlich Klimagas Kohlendioxid frei, das aber später von den Bäumen wieder aus der Luft geholt wird, die an der Stelle des geschlagenen Holzes gepflanzt werden. „Genau das ist aber leider eine Milchmädchen-Rechnung“, erklärt Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und der Humboldt-Universität in Berlin.

Der Physiker, der auch eines der sieben Mitglieder des Sachverständigenrates für Umweltfragen der Bundesregierung ist, erklärt die Hintergründe dieser Einschätzung: Beim Verbrennen der Holzstämme wird das Kohlendioxid fast schlagartig wieder frei, das der Baum vorher im Laufe von vielleicht hundert Jahren aus der Luft gefischt hat. Genauso lange wird es dauern, bis ein neuer Baum das jetzt freigewordene Kohlendioxid wieder eingefangen hat. Rechnet man langfristig über Jahrhunderte, könnte der Klimaeffekt durch das Verbrennen ganzer Stämme zur Energiegewinnung damit zwar ausgeglichen werden. Nur zielt die EU-Direktive auf das Jahr 2030. Und bis dahin ist der brennende Holzstamm eben nicht klimaneutral, sondern bringt jede Menge Kohlendioxid in die Luft.

„Im Prinzip nimmt die EU damit eine Art Klimaschulden auf, die erst spätere Generationen zurückzahlen sollen“, erklärt Wolfgang Lucht. In dieser Rechnung nicht berücksichtigt ist jedoch, dass vermutlich in den kommenden Jahrzehnten noch mehr neue Klimaschulden auflaufen, weil die Kraftwerksbetreiber auch dann weitere Bäume verfeuern werden, um Energie zu gewinnen. Statt Schulden abzubauen, werden so ständig neue angehäuft.

Forscher sehen die bisher gültige Theorie der Kohlendioxid-Freisetzung bei der Holzverbrennung als Milchmädchenrechnung an.
Forscher sehen die bisher gültige Theorie der Kohlendioxid-Freisetzung bei der Holzverbrennung als Milchmädchenrechnung an. | Bild: Friso Gentsch/dpa

Holz ist kein effektiver Brennstoff

Damit aber nicht genug: Während Kohle im Laufe der Jahrmillionen im Erdinneren zu einem Brennstoff mit recht hohem Energiegehalt konzentriert wurde, ist Holz deutlich energieärmer. Die Kilowattstunde elektrischer Energie setzt in einem Holzkraftwerk daher 50 Prozent mehr Kohlendioxid als in einem Kohlekraftwerk frei. Im Vergleich mit einem Erdgas-Kraftwerk bläst Holz sogar die dreifache Menge des Treibhausgases in die Luft – und steigert so die Klimaschulden weiter.

„Berücksichtigt man auch noch die Auswirkungen auf die Umwelt, kommt es noch viel schlimmer“, meint Wolfgang Lucht. Um nur fünf Prozent der in der EU verbrauchten Energie aus dafür geerntetem Holz zu gewinnen, müsste der derzeitige Holzeinschlag verdoppelt werden. Soviel Holz aber kann der Kontinent keinesfalls nachhaltig liefern. Daher wird wohl aus anderen Kontinenten Holz importiert werden. Dort aber werden die Wälder oft weniger nachhaltig als hierzulande bewirtschaftet. Zwar fordert die EU-Direktive durchaus Nachhaltigkeit, die bei Import-Holz aber nur schwer zu kontrollieren ist.

Ganze Ökosysteme sind bedroht

Sehr wahrscheinlich werden weitere Länder dem EU-Beispiel folgen und ebenfalls ihre Klimaziele mit Holzeinschlag zur Energiegewinnung einhalten wollen. Einige tropische Länder wie Brasilien und Indonesien haben genau das bereits angekündigt. Würden aber nur vergleichsweise winzige zwei Prozent des Weltenergiebedarfs mit dafür geerntetem Holz gedeckt, müsste der Holzeinschlag auf dem Globus verdoppelt werden, rechnen die Forscher vor. Das aber wäre nicht nur für die Weltklima-Bilanz verheerend, sondern würde ganze Ökosysteme verschwinden lassen. „Es macht keinen Sinn, einerseits Papier zu recyclen, um Wälder zu schonen, und weltweit auf Waldschutz und Wiederaufforstung zu dringen, gleichzeitig aber Holz aus Wäldern zum Verbrennen freizugeben“, ergänzt Wolfgang Lucht.

„Der Raubbau am Klima sollte jetzt nicht durch einen Raubbau an der Biosphäre ersetzt werden“, ist sich der PIK-Forscher sicher. Mit dieser Einschätzung ist er keineswegs allein. So appellierten 796 Wissenschaftler aus aller Welt vergebens an das EU-Parlament, den Passus zum Verfeuern dafür geschlagenen Holzes zu streichen. Jetzt hoffen die Forscher auf die einzelnen EU-Länder, die ja die EU-Direktive mit eigenen Gesetzen und Verordnungen umsetzen müssen.

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