Kurz vor 15 Uhr ist es noch ziemlich leer auf dem Friedrichshafener Buchhornplatz. Ein paar versprengte Grüppchen haben sich eingefunden. Hannes (17) von der Bodenseeschule Sankt Martin, Karim (18) und Jannes (17) von der Droste-Hülshof-Schule in Friedrichshafen sind unter den ersten, die zur Demonstration für den Klimaschutz gekommen sind. „Schon komisch“, sagt Hannes über seine erste Demo vergangene Woche. „Man überlegt sich vorher nochmal genau, ob das richtig ist.“ Er hat es nicht bereut, für besseren Klimaschutz an die Öffentlichkeit gegangen zu sein. Heute ist er wieder da.

Jannes hat schnell noch ein paar Slogans auf Pappkartons gemalt: „Klimaschutz statt Kohleschmutz“ und „Be cool – stop coal“ steht darauf. Auch Karim, der der Wintersonne mit verspiegelter Sonnenbrille entgegenblickt, darf eines der Plakate halten. „Anfangs hat mich das Thema gar nicht interessiert“, erzählt er. Aber dann habe ihm Jannes ein Video von Greta Thunberg gezeigt – und das habe ihn beeindruckt. „Das geht uns alle an“, findet er jetzt.

Vorkämpferin ist eine junge Schwedin
Greta Thunberg ist die 16-jährige Schwedin, die mit ihrer Hartnäckigkeit alles ins Rollen gebracht hat. Seit Monaten steht sie jeden Freitag vor dem Parlament in Stockholm, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren. Als sie dann im Dezember beim UN-Klimagipfel in Kattowitz auftritt, wird sie auf einen Schlag weltweit bekannt. Erste Aktionen folgen in Australien, und seit ein paar Wochen gibt es Fridays for Future (Freitage für die Zukunft) auch in Deutschland und anderen europäischen Staaten. Freitag für Freitag wird demonstriert, die Aktivisten haben sich in 60 Ortsgruppen von Halle bis Heidelberg, von Memmingen bis Göttingen organisiert. Die Kommunikation findet über soziale Medien statt. Das funktioniert: Vergangene Woche gingen 25 000 auf die Straße. Vor dem Kanzleramt in Berlin kommen am gestrigen Freitag Tausende zusammen, während die Kohlekommission über den Ausstieg aus dem fossilen Energieträger debattiert. Die angeblich politisch so desinteressierte Jugend macht mobil.
Nicht jede Schule macht das mit
Ob das auch am Schuleschwänzen liegt? Dieses ist gewissermaßen Teil des Thunberg-Programms. In Deutschland hat dieser Aspekt schon für Wirbel gesorgt: Wer unabgemeldet dem Unterricht fernbleibt, vernachlässigt schließlich seine Pflichten als Schüler und kann bestraft werden. Während Hannes von seinen Lehrern an der Bodenseeschule für den guten Zweck freibekommen hat, berichten Hannah (17) und Lea (16), von der Waldorfschule Überlingen anderes: „Unsere Lehrer haben mit Verweisen gedroht.“ Trotzdem opfern sie auch an diesem Freitag ihren Nachmittagsunterricht fürs Klima, riskieren Strafen. „Wie sollen wir sonst auf uns aufmerksam machen? Am Wochenende interessiert’s ja keinen“, sagen die beiden Vegetarierinnen, während sich der Demo-Zug hinter dem Dröhnen einer Musikbox und den grünen Rauchschwaden eines Bengalo-Feuers her zum Rathaus Friedrichshafen bewegt. Ob so ein Bengalo wirklich klimaneutral ist? Jedenfalls hat keiner einen Einweg-Kaffeebecher dabei. Auch Plastiktüten sind nicht in Sicht.
Aus den versprengten Grüppchen ist eine ganz ansehnliche Gruppe geworden, nicht 250 Leute wie angemeldet, eher 150. Aber immerhin, so einen Freitagnachmittag könnte man gemütlicher verbringen als in der frostig-kalten Fußgängerzone. Etliche Studenten sind darunter, die meisten sind Schüler, Mittel- und Oberstufe. Vor dem Rathaus angekommen, reden sie sich mit Parolen warm: „Was wollen wir? Veränderung. Wann wollen wir sie? Jetzt!“ Und: „Was ist die Parole? Wir wollen keine Kohle!“ Danach geht Sander Frank, der 21-jährige Politikstudent, der die Demo angemeldet hat, mit dem Mikro herum und bittet um Statements. Natalie, 21, ist gekommen, weil ihr Nachhaltigkeit in der Politik zu kurz kommt: „Es wird immer thematisiert, aber die Umsetzung fehlt.“ Merlin, 18 Jahre, findet es auch wichtig, mit den Demos Gleichaltrige zu mobilisieren – nicht nur die große Politik. „Es gibt viele, denen das egal ist.“ Aus Überlingen und aus Lindau sind Schüler gekommen. Die weiteste Anreise aber hatte Gabriella, eine 15-jährige Australierin, die gerade zum Schüleraustausch in Deutschland ist.

Aus allen Statements geht hervor, warum sich die Jugendlichen gerade von diesem Thema angesprochen fühlen: Es ist ihre Zukunft, über die da im Kanzleramt verhandelt wird und auf den Klimagipfeln mit ihren halbherzigen Beschlüssen. Diesem Zögern wollen sie etwas entgegensetzen – solange noch Zeit ist, den Klimawandel zumindest einzudämmen. Deshalb sollen die Demos auch weitergehen. Kommenden Freitag allerdings nicht in Friedrichshafen, sondern in Ravensburg, wo eine neue Ortsgruppe am Start ist.
Protest alleine reicht nicht
Ihr Vorbild Greta Thunberg hat sich bislang ja als unermüdlich erwiesen. Trotzdem findet der 18-jährige Justin von der Bodenseeschule Sankt Martin, dass der Protest sich wandeln muss. Beim reinen Demonstrieren soll es seiner Meinung nach nicht bleiben: „Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass wir hier stehen und laut sind, damit wir als junge Generation Mitspracherecht bekommen. Aber der nächste Schritt sollte sein, dass wir mit der Politik ins Gespräch kommen.“ Apropos Politik: In Berlin spricht Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) mit den Jugendlichen. In Friedrichshafen dagegen ist außer einem älteren Herrn, der sich als Vertreter der MLPD vorstellt, kein politischer Repräsentant vor Ort. „Das wäre schon schön gewesen“, sagt Leo, 22, Politikstudent an der Zeppelin-Uni.