Während Weihnachten für viele ein Fest der Familie und des Zusammenseins ist, trübt es dagegen für manche Menschen die Stimmung am Jahresende. Wenn vermeintlich alle feiern, holt einige ein Gefühl von Einsamkeit ein. Das kennt auch Christian Fein. Vor einigen Jahren sei er an Heiligabend selbst in so einer Situation gewesen. Der Mannheimer ist der Gründer des Projekts „Keine(r) bleibt allein“, das seit 2017 in ganz Deutschland Menschen zusammenbringt, die Weihnachten nicht allein verbringen möchten.
Das Konzept ist denkbar einfach: Wer an Weihnachten nicht ohne Gesellschaft sein möchte, kann den Organisatoren in den sozialen Netzwerken Facebook oder Instagram eine Nachricht schreiben. Sie suchen dann passende Gastgeber in der Nähe heraus. Wer allein ist, kann aber nicht nur bei anderen zu Gast sein, sondern hat auch die Option, andere zu sich einzuladen.
„Da gibt es alle möglichen Varianten“, sagt der 38-jährige Fein. In Karlsruhe habe es in den vergangenen Jahren etwa einen Gastgeber gegeben, der zwischen 8 und 14 Menschen eingeladen habe. „Wenn sich dann jemand aus Karlsruhe gemeldet hat, dann war das halt eben der erste Kontakt, den wir vorgeschlagen haben. Bis seine Wohnung voll war.“ Wer Gesellschaft zu Silvester sucht oder anzubieten hat, kann sich ebenfalls melden – denn auch für diesen Tag vermittelt Fein.
„Die“ Strategie gegen Einsamkeit gibt es nicht
Doch warum kann das Gefühl von Einsamkeit besonders an Weihnachten so stark sein? Die Psychologin Debora Brickau von der Ruhr-Universität Bochum promoviert zum Thema Einsamkeit und vermutet, dass gerade Filme und Werbung in der Weihnachtszeit den Eindruck entstehen lassen, dass Weihnachten ein Fest des Heim- und Zusammenkommens sei. „Und vielleicht verändern sich dann gerade zu Weihnachten die Erwartungen.“ Manche könnten das Gefühl bekommen, dass sie mehr Kontakte aufsuchen müssten, die sie aber vielleicht gar nicht hätten. Studien zu Einsamkeit an Weihnachten seien ihr aber nicht bekannt.
An diejenigen, die an Weihnachten alleine sind, und nicht nur dem eigenen Wohnzimmer, sondern gleich der ganzen Stadt entfliehen wollen, richten sich die Weihnachts-Single-Reisen eines sächsischen Reiseveranstalters. Kristin Weigel aus der Marketingabteilung von Eberhardt Travel sagt, das Gute an diesen Reisen sei, „dass man eben sicher ist, dass in der Reisegruppe alle anderen eben auch allein sind und jeder da Kontakt sucht und man sich dort nie irgendwie störend vorkommt“. Auch wenn die Reisen als Single-Reisen bezeichnet würden, stehe nicht der Aspekt der Partnersuche im Vordergrund. Alle Alleinreisenden seien willkommen. Die meisten freuten sich einfach, unter Gleichgesinnten zu sein.
Die Psychologin Brickau geht davon aus, dass ein solcher Tapetenwechsel einigen Menschen helfen kann. Einsamkeit entstehe immer dann, wenn Erwartungen an soziale Beziehungen und Kontakte nicht erfüllt würden. Ob und was genau gegen das Gefühl von Einsamkeit helfe, sei aber sehr individuell. Daher gebe es keine bestimmte Strategie, die bei allen Menschen helfe.
Nicht aufgeben lautet die Devise
Für wen das Wohnzimmer eines Fremden oder eine Reise mit zunächst Unbekannten keine Option ist, der findet im Südwesten auch Angebote für öffentliche Feiern. So zum Beispiel „Eva‘s Stall“ in Stuttgart: Am 24. und 25. Dezember veranstaltet die Stadtmission der Evangelischen Gesellschaft im Haus der Diakonie eine Weihnachtsfeier. Sie ist offen für alle – insbesondere eingeladen sind von Armut und Wohnungsnot betroffene Menschen. An beiden Tagen wird es unter anderem ein Weihnachtsessen geben. Eine Anmeldung ist nicht nötig.
Ein ähnliches Konzept wie bei „Keine(r) bleibt allein“ gibt es in Ravensburg. Auch hier werden Gast und Gastgeber durch die Organisatoren zusammengebracht. Zwar wird die Aktion unter dem Motto „Weihnachten gemeinsam“ unter anderem vom Seniorentreff Ravensburg organisiert. Willkommen sind aber auch jüngere Menschen, die an Weihnachten nicht allein sein wollen. Mit allen Interessierten führt eine Mitarbeiterin des Seniorentreffs vorab ein persönliches Gespräch. Wann genau die Feier stattfinden soll, können Gastgeber und Gast gemeinsam festlegen – der zeitliche Rahmen ist nicht vorgegeben.
Einsamkeit sei zwar oft schmerzhaft und mit Traurigkeit verbunden, sagt die Psychologin Brickau. „Aber es ist gleichzeitig auch ein Warnsignal, dass etwas nicht stimmt mit unseren sozialen Beziehungen und Kontakten.“ Eine sehr effektive Gegenstrategie sei, aktiv zu werden: Das Gefühl solle einen motivieren, wieder Kontakte zu suchen. Umgekehrt sollten Menschen, die sich nicht einsam fühlen, versuchen, auf andere zuzugehen. Am wichtigsten sei aber: „Nicht zu schnell aufgeben, wenn die ersten Versuche nicht funktionieren.“(dpa)