Ein „einmaliges Erlebnis“ wurde den Passagieren des amerikanischen Kreuzfahrtschiffes „Wind Star“ versprochen, und das bekamen sie auch: Von einer wütenden Menge aus Ephesus verjagt zu werden, ist schließlich keine alltägliche Erfahrung. Auf das Fünf-Gänge-Menü, das ihnen in den Ruinen der antiken Celsus-Bibliothek exklusiv von Kellnern in weißen Handschuhen serviert werden sollte, mussten die Touristen in dieser Woche allerdings verzichten, ebenso auf die angekündigte Kammermusik.
Stattdessen bekamen sie patriotische Märsche von hunderten Türken zu hören, die ihre Tische umstellten und mit lautem Gesang gegen das Gala-Dinner für die Luxus-Touristen in der antiken Stätte protestierten. Die Touristen zogen sich eilig auf ihr Schiff zurück, das gegen Mitternacht in See stach und Kurs auf Griechenland nahm.
Gala-Dinner in der weltberühmten Ruine
Schon seit sieben Jahren bietet das amerikanische Unternehmen Windstars den Passagieren seiner Mittelmeer-Kreuzfahrt das exklusive Freiluft-Dinner in Ephesus an. Die Celsus-Bibliothek wird für diese Abendessen abgesperrt, vor der weltberühmten Ruine werden weiß gedeckte Tische aufgestellt, der Schauplatz wird mit Strahlern ausgeleuchtet, und 100 Touristen dürfen zu den Klängen eines klassischen Trios „im Zauber dieser antiken Ruinen“ speisen, wie die Kreuzfahrt angepriesen wird.
Bisher wurde diese Vermietung eines fast 2000 Jahre alten Kulturguts in der Türkei nur vereinzelt von Kulturschützern kritisiert, von den Behörden als gutes Geschäft verteidigt und von der Öffentlichkeit weitgehend ignoriert. Doch in dieser Woche stolperte das türkische Tourismus- und Kulturministerium über die eigenen Füße.

Um den Massenansturm und die ständig steigenden Touristenzahlen zu bewältigen, installierte das Ministerium in diesem Jahr nächtliche Beleuchtung in Ephesus und verlängerte die Öffnungszeiten für die Ausgrabungen über den Sommer bis Mitternacht. Denn schon im vergangenen Jahr kamen 2,2 Millionen Besucher nach Ephesus, in diesem Jahr werden 2,5 Millionen erwartet.
Was das Ministerium dabei offenbar nicht bedachte, war das Zusammentreffen der Besucherströme in den verlängerten Öffnungszeiten mit den Luxus-Touristen, die das Areal bisher nach Ende der Öffnungszeit exklusiv nutzen konnten. Weil in der Türkei derzeit Ferien zum islamischen Opferfest sind, strömten diese Woche Zehntausende einheimische Besucher nach Ephesus – und trafen dort auf Absperrungen, mit denen die berühmte Celsus-Bibliothek für die Kreuzfahrt-Urlauber reserviert wurde.
Was dann geschah, dokumentierten Dutzende empörte Ausgrabungsbesucher mit ihren Handy-Kameras. Immer mehr türkische Touristen versammelten sich vor der Absperrung, die ihnen den Weg zu der Bibliothek versperrte, und verfolgten mit wachsender Frustration den Reigen der Kellner bei dem Dinner. „Erst mal haben alle gebuht und gepfiffen“, berichtet Besucherin Nurseli Karatepe. „Dann ist ein Bürger über die Absperrung geklettert und an den Wachmännern vorbei, darauf ist ihm die ganze Menge gefolgt.“
Videos von Teilnehmern des Protestes zeigen Demonstranten, die auf den Stufen der Bibliothek und rings um die gedeckten Tische stehen, zunächst pfeifen und buhen und dann patriotische Lieder singen, die Atatürk und die türkische Republik hochleben lassen. Die Kreuzfahrt-Passagiere stehen derweil von den Tischen auf und gehen, die Beleuchtung wird abgeschaltet, die Buh-Rufe dauern in der Dunkelheit an.
In der türkischen Öffentlichkeit entbrannten flammende Diskussionen zu dem Thema. Während in linken Medien der Ausverkauf der Kultur an den Tourismus angeprangert wurde, geißelten nationalistische Medien den Vorzug, der ausländischen Touristen gegenüber Türken gewährt werde. Weder das türkische Ministerium für Kultur und Tourismus noch der amerikanische Veranstalter wollten sich auf Anfrage zu dem Vorfall äußern.