Elia Minari hatte mal ein Leben, in dem er sich morgens ein schlabbriges T-Shirt oder ein Polo-Hemd überstreifte. Das war zu Zeiten der Schülerzeitung Cortocircuito, zu Deutsch Kurzschluss. Schüler aus zwölf verschiedenen Schulen in der norditalienischen Kleinstadt Reggio Emilia hatten sich 2009 zusammen getan, um Artikel zu schreiben, in denen es ziemlich schnell sehr ernst wurde.
Die Nachwuchs-Journalisten widmeten sich der kalabrischen Mafia, der ´Ndrangheta, als die meisten Menschen in der Region Emilia Romagna deren Präsenz in der eigenen Umgebung noch für reine Fantasie hielten. Die Schüler unter der Führung von Minari waren so engagiert und genau, dass ihre Nachforschungen bald auch für die Staatsanwaltschaft interessant wurden. Da war zum Beispiel die Sache mit der Disko Italghisa, in der die Schule ihre Feste feierte und über deren Betreiber wilde Gerüchte kursierten. Elia und seine Freunde begannen zu recherchieren. Minari warf einen Blick in das Register der örtlichen Handelskammer, gab die Namen der Eigentümer bei Google ein und stellte bei der Lektüre eines Dokuments der Staatsanwaltschaft fest, dass die kalabrische ´Ndrangheta in dieser unscheinbaren Disko in Norditalien Geldwäsche betrieb.
Schüler-Recherchen helfen Gericht
„So fing alles an“, sagt Minari bei einem Glas Wasser in einer Kneipe in Reggio Emilia. Der 28-Jährige trägt inzwischen blaues Jackett, hellblaues Hemd und blaue Krawatte. Cortocircuito gibt es immer noch, die Mafia auch. Die unbeschwerten Schülerzeitungs-Tage sind hingegen schon lange vorbei. „Die ´Ndrangheta breitet sich immer mehr in der Emilia Romagna, in der Lombardei, im Piemont und im Veneto aus, aber viel zu oft gibt es Menschen, die wegsehen“, stellte Franco Roberti, ehemaliger Chef der nationalen Antimafiabehörde fest. Auch die Presse hielt den Alarm für übertrieben. Elia Minari und seine Mitstreiter stellten aus Neugier und einem Gefühl der Beunruhigung die Fragen, die damals noch niemand stellen wollte. Als 2016 beim sogenannten Aemilia-Prozess, dem bislang größten Mafia-Prozess in Norditalien, der Gemeinderat der Ortschaft Brescello wegen Unterwanderung durch die Mafia aufgelöst wurde, berief sich die Staatsanwaltschaft sogar auf einige Recherchen der Schüler. Vor zwei Jahren schließlich der vielleicht schwierigste Tag in Minaris Leben. Gaetano Blasco, Bauunternehmer in Reggio Emilia, aber auch führendes Mitglied der ´Ndrangheta, laut Staatsanwaltschaft „Organisator“ der Clan-Geschäfte in der Emilia Romagna, drohte dem Jung-Journalisten. Minari und seine Kollegen hatten Blasco im Sommer 2013 in Italien zu einer Brandserie befragt, bei der auch Immobilien und Fahrzeuge des Unternehmers in Flammen aufgegangen waren.

„Ich hole dich zu Hause ab, wenn ich darüber etwas in der Zeitung lese“, hatte Blasco damals gedroht. 2018, beim letzten Gerichtstermin vor seiner Verurteilung, schwang Blasco sich schließlich zum Ankläger auf. „Nachdem er sich erst bei mir für die Episode von 2013 entschuldigte, behauptete er, ich hätte unwahre Dinge über ihn verbreitet“, erzählt Minari, „ich hätte ihn wie ein Monster dargestellt“. Minari, eigentlich ein schneller Redner, spricht jetzt leise und langsam. Auf die Nachfrage, ob ihm diese Bedrohungen zusetzten, seufzt Minari und sagt kurz: „Ja.“
Er war Pizzeria-Besitzer in Augsburg
Blasco wurde unter anderem wegen Mafia-Zugehörigkeit, Brandstiftung, Erpressung und anderer Delikte nun kurz vor Weihnachten in zweiter Instanz zu mehr als 22 Jahren Haft verurteilt, er sitzt seit seiner Verhaftung 2015 in Haft. Blasco war mit internationalem Haftbefehl gesucht worden und in Augsburg, wo er das Restaurant „Da Gaetano“ führte, verhaftet worden.
Doch Blasco führte in Augsburg nicht nur eine Pizzeria, aus Deutschland soll er außerdem Waffen nach Italien geschmuggelt haben. Die italienischen Ermittler hörten den Bauunternehmer ab, als er sich kurz nach dem Erdbeben 2012 in Norditalien mit einem Geschäftspartner lachend zu den künftigen Profiten beim Wiederaufbau gratulierte. 2019 beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft Florenz Güter und Guthaben von Blasco im Wert von über einer Million Euro. „Es störte ihn, dass ich über seine Aktivitäten in Deutschland berichtete“, erzählt Minari.

Blascos Sohn wurde in Augsburg geboren, die Familie hatte hier eine Zeitlang ihren Lebensmittelpunkt. Doch der Zufall wollte es, dass Minari und Blasco junior als Kinder dieselbe Mittelschule in Reggio Emilia besuchten. Jener Schulkamerad saß eines Tages auffällig still in der Schulbank, berichtet Minari. Der Grund war, dass sein Onkel Salvatore, der wegen Zugehörigkeit zur ´Ndrangheta zu zehn Jahren Haft verurteilt worden war, wenige Tage nach seiner Entlassung 2004 ermordet wurde. Der Täter, Mitglied eines verfeindeten Clans, war gerade einmal 16 Jahre alt. Die Mafia war auf einmal ganz nah. „Als Elfjähriger lernte ich ein neues Wort“, sagt Minari, „´Ndrangheta“.
Jahre später begegnete Elia dem Sohn von Gaetano Blasco erneut, diesmal allerdings stolperte Minari beim Zeitungslesen über den Namen Blasco. Weil der Sohn als Strohmann einiger Firmen seines Vaters gewirkt hatte, wurde er 2015 zu einer geringen Haftstrafe verurteilt. „Dass ein Junge meines Alters aus derselben Schule solche Entscheidungen trifft, hat mich beeindruckt“, sagt Minari. Ob Blasco junior als Sprössling einer derartig vorbelasteten Familie eine echte Wahl hatte, sich gegen die Familientradition zu stellen, ist eine andere Frage.
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