Die Türkei will plötzlich mutmaßliche IS-Mitglieder abschieben. Was kommt jetzt auf die Bundesrepublik zu?
Die Ankündigung der Türken kam schon Ende vergangener Woche. Die Abschiebung als solche ist nicht besonders ungewöhnlich, Deutschland macht das ja genauso bei Abschiebungen gefährlicher Ausländer. Bei IS-Rückkehrern ist es allerdings prinzipiell schwieriger. Alles notwendige vorzubereiten ist eine Woche vorher zwar machbar, aber knapp. Die Türken können eigentlich vertrauensvoll und partnerschaftlich mit uns agieren: Es ist ja nicht so, dass wir unsere deutschen Staatsbürger nicht zurücknehmen.
Klingt da ein Vorwurf durch?
Nun ja. Die Kommunikation seitens der Türkei war schon sehr politisch. Für eine normale Abschiebung braucht es keinen Minister, der das ankündigt. Auch die Bemerkung, die Türkei sei kein Hotel, halte ich für überflüssig. Ich appelliere nur, dass auch wir unsere Sicherheit gewährleisten müssen. Es muss möglich sein, dass die deutschen Behörden sich entsprechend vorbereiten können.
Was macht die Rückkehr von IS-Gängern so schwierig?
Zunächst muss die deutsche Identität zweifelsfrei geprüft sein, auch der Kinder, die dort vielleicht geboren wurden oder von Deutschland mit nach Syrien genommen wurden. Im nächsten Schritt muss abgeglichen werden, ob ein Ermittlungsverfahren beim Bund oder in einem Bundesland vorliegt.
Wie war das im am Montag bekannt gewordenen Fall?
Der Fall vom Montag hatte keinen IS-Bezug. Die siebenköpfige Familie, zwei Erwachsene und fünf Kinder, darunter drei junge Erwachsene, die uns am Donnerstag überstellt werden, hatte nach unserem Kenntnisstand keinen Aufenthalt in Syrien, sondern nur in der Türkei. Auch die türkischen Sicherheitsbehörden spiegeln uns das wieder. Die Familie ist erst im Januar ausgereist und kommt jetzt wieder zurück. Ich will da keine Entwarnung geben, aber in diesem Fall ist relativ klar, dass es keine Kampfhandlungen oder Ausreisen in Kampfgebiete gegeben hat.
Wie ist das bei den beiden jungen Frauen, die ebenfalls abgeschoben wurden?
Da ist es schon anspruchsvoller. Im einen Fall gibt es ein Ermittlungsverfahren und im anderen einen Prüfvorgang – also die Vorstufe eines Ermittlungsverfahrens bei der Bundesanwaltschaft. Angesichts der Stufen der Gefährlichkeit, die wir von IS-Rückkehrern kennen, sind allerdings auch die beiden Frauen nicht zu den hochkarätigen Gefährderfällen zu zählen. Diese befinden sich eher noch bei den Kurden in Gefangenschaft, weniger in der Türkei.
Dass die Türkei wie Deutschland auch mutmaßliche Straftäter oder Terroristen abschiebt, war absehbar. Hat Deutschland sich ausreichend vorbereitet auf die Rückkehrer?
Ja, das kann ich Ihnen auch als Vorsitzender des parlamentarischen Kontrollgremiums bestätigen. Wir reden ja schon seit fast neun Monaten auch mit den Medien über die IS-Rückkehrer. Das Thema haben wir schon viel länger auf der Tagesordnung.
Seit wann steht das Thema auf der Agenda der deutschen Behörden?
Ich muss da naturgemäß etwas schweigsamer sein, aber der Bundesnachrichtendienst ist schon sehr lange und sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt. Deshalb haben wir eine gewisse Erkenntnislage. Das erste Interview zu diesem Thema habe ich im Februar dieses Jahr gegeben. Damals ging es um die Frage, ob wir die Rückkehrer zurücknehmen müssen.
Und müssen wir die IS-Gänger zurücknehmen?
Ja sicher. Da geht es nicht um Moral, sondern um Recht. Wenn es deutsche Staatsbürger sind, müssen wir sie zurücknehmen. So ist das Gesetz.
Wie steht es um die aktive Rückholung von IS-Gängern? Da verhält sich die Bundesregierung ja eher zögerlich…
Was wir nicht tun, wie das manchmal naiv von der Opposition gefordert wird, ist, IS-Gänger gesammelt, freiwillig und aktiv zurückzuholen. Das werden wir nicht tun. Das hört sich so an, als könnten wir einen Reisebus nach Syrien oder in die Türkei an die Grenze schicken und Rückkehrer im Sammeltransport abholen. Aber die Kurden beispielsweise haben ein eigenes Interesse, diese Menschen dort in Haft zu behalten. Auch dort gibt es juristische Verfahren. Das ist uns offen gestanden ganz recht. So können wir jeden Einzelfall ausreichend prüfen. Denn die Konsequenzen einer Rückkehr sind nicht ohne. Vor allem, wenn man diese Leute nicht unmittelbar in Haft bekommt.
Warum fürchten Sie, dass IS-Rückkehrer auf freien Fuß bleiben könnten? Schon die Mitgliedschaft bei einer Terrororganisation ist strafbar…
Einen Haftbefehl erhält die Staatsanwaltschaft in aller Regel erst, wenn sie aktive Kampfhandlungen nachweisen kann. Das zu beweisen ist nicht ganz einfach. Besonders bei Frauen ist es sehr schwer, weil sie in aller Regel komplett verhüllt sind. Das macht die Identifizierung auf Bildern oder Videos umso schwieriger.
Die Männer sind ja nicht verhüllt. Weshalb ist es trotzdem so schwierig, Kampfhandlungen nachzuweisen?
Da braucht es entweder ein Geständnis oder Zeugen, die das bestätigen oder Bilder, die das zweifelsfrei beweisen. Da hilft der BND und eine gute Kooperation mit anderen Nachrichtendiensten. Es kann auch vorkommen, dass es noch Material auf dem Handy gibt, das zurück nach Deutschland mitgebracht wird. Aber es ist schon hierzulande schwierig, eine Straftat nachzuweisen. In einem fremden Land, in dem Krieg herrscht, ist es ungleich schwieriger.
Woher kommen die Informationen? Welche Nachrichtendienste kommen da überhaupt in Frage?
Sie können sich leicht vorstellen, dass sich neben dem BND die für uns einschlägigen Nachrichtendienste um die Lage dort kümmern.
Angenommen, Rückkehrer können sich zunächst frei bewegen. Was muss das Land tun, um die Sicherheit zu gewährleisten?
Diese intensive Aufgabe haben dann Polizei und Verfassungsschutz, um die Leute weiter zu überwachen. Dass diese Menschen weiter gefährlich sein können, muss man, denke ich, nicht erklären. Und wir wenden unsere Deradikalisierungsprogramme an. Da gibt es gute Ansätze, die im Einzelfall auch funktionieren.
An was für Maßnahmen denken Sie bei Polizei und Verfassungsschutz?
Wenn es konkrete Gefahren gibt, die aber nicht für eine Haft reichen, können das vielfältige gefahrenabwehrende oder strafprozessuale Maßnahmen sein, wie auch die Observation. Bei abstrakter Gefährdung kommt eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz in Frage: Es muss klar sein, ob die Personen weiterhin Bezüge zu islamistischen Kreisen pflegen. Für die Behörden nichts Neues, aber personalintensiv.
Wer kommt in nächster Zeit zurück?
Ich weiß von 20 Personen, die in türkischer Abschiebehaft sitzen und zweifelsfrei Deutsche sein sollen. Ob es dabei bleibt, ist natürlich nicht klar. Aber mit dieser Zahl können wir rechnen.
Wie viele davon sind potenziell gefährlich?
Personen mit Beteiligung an IS-Kampfhandlungen sind bei den Türkei-Abschiebungen wohl nicht dabei.
Was ist denn ihre Schätzung zur Dunkelziffer?
Von den gut 1000, die aus Deutschland in Richtung IS-Gebiet ausgereist sind, ist etwa ein Drittel zurückgekommen. Ein weiteres Drittel ist noch nicht zurück, die kennen wir, darunter sind aber einige, von denen wir nicht genau wissen, ob sie noch leben. Bei einem weiteren Drittel ist es völlig offen, wo sie sich befinden und ob sie noch am Leben sind. Wen wir gut auf dem Schirm haben, sind alle, die in Haft sitzen, auch in kurdischer Haft.