Am Tag nach dem Fernsehduell ging die Kanzlerin, ganz wie es ihre Art ist, wieder zum politischen Alltagsgeschäft über. Während sich Angela Merkel mit Vertretern von Städten und Bundesländern traf und 500 Millionen Euro zusätzliche Hilfe für die Kommunen zur Bekämpfung der Luftverschmutzung durch Diesel-Abgase versprach, mühte sich Martin Schulz einmal mehr vergebens in einem niederbayerischen Bierzelt ab, die Kanzlerin zu attackieren. Sein Vorwurf, Merkel wolle nur die Vergangenheit verwalten, ging ebenso ins Leere wie manche Angriffe tags zuvor im Fernsehstudio. Mangelnder Kampfeswillen ist dem SPD-Herausforderer beileibe nicht vorzuwerfen. Gegen Merkel kommt er aber nicht an und stärkt damit andere Kräfte.
Es ist ein müder und weitgehend inhaltsleerer Wahlkampf, daran hat auch das Fernsehduell nichts geändert, sondern diesen Eindruck noch verstärkt. Mehr als ein Drittel der Wähler ist offenbar noch unentschlossen. Der Schlagabtausch der beiden Spitzenkandidaten dürfte daran nicht viel geändert haben. Was hängen bleibt, ist einmal mehr der Eindruck, dass Union und SPD zu sehr um die Mitte der Gesellschaft buhlen und in vielen Fragen, wie geschehen bei Migration oder Außenpolitik in ihren Positionen nahe beieinander liegen.
So waren es vor allem die Themen, die im starren Korsett des Fernsehformats nicht oder nur knapp zur Sprache kamen, die viele Fragen offen lassen. Digitalisierung, Umweltschutz und Klima, Wirtschafts- und Währungspolitik, Bildung oder soziale Fragen – wo die Moderatoren nicht oder zu wenig nachfragten, versäumte es auch Martin Schulz, sich mit diesen Zukunftsthemen zu profilieren. Statt den Säbel zu zücken, setzt der SPD-Vorsitzende allenfalls zu moderater Kritik an der Regierungsarbeit an, die nicht unwesentlich von seiner Sozialdemokratie geprägt ist.
Den Griff zum Degen überlässt er so anderen, die gar nicht ins Kanzleramt streben und plötzlich wieder in den Mittelpunkt rücken. Wo Merkel und Schulz weitgehende Einigkeit ausstrahlen oder der Diskussion ausweichen, bietet sich eine Flanke für die kleinen Parteien. Vieles erinnert in diesen Tagen an die Auseinandersetzung im Wahlkampf 2009. Nach vier Jahren Großer Koalition stand Herausforderer Frank-Walter Steinmeier weitgehend auf verlorenem Posten. Die SPD schaffte es nicht, sich von Merkel abzusetzen, und stürzte in der Wählergunst ab. FDP, Linken und Grünen gelang es, gemeinsam mehr als ein Drittel der Stimmen einzuheimsen.
Vieles spricht dafür, dass im nächsten Bundestag sechs Parteien vertreten sein werden. Im Kampf um unentschlossene Wähler wittern Linke, Grüne, FDP und AfD ihre Chance als Alternative zur Großen Koalition, weil Union und SPD eine zu große inhaltliche Nähe aufweisen. Als Themenparteien besetzen sie jene Felder, die ihnen Merkel und Schulz überlassen.
In der Kanzlerfrage setzt die CDU-Vorsitzende ganz auf ihre Popularität, gibt sich sachlich und abgebrüht. Im Gegensatz zu früheren Fernsehduellen reicht für Merkel inzwischen der Amtsbonus aus, um ihren Herausforderer in Schach zu halten. Und Schulz findet kein Mittel dagegen. Kein Wunder, dass das Kanzleramt auf ein einziges Duell pochte und keine weitere Auseinandersetzung der Kontrahenten zuließ.
Dabei braucht es dringend eine breite Diskussion um die drängenden Themen. In 95 Fernsehminuten ist das nicht möglich. Wenn auch mehr als 16 Millionen Zuschauer das Duell verfolgten, so taugt der einmalige Austausch in einem von Konsens geprägtem Wahlkampf kaum zur Meinungsbildung. Der Wahlausgang bleibt daher völlig offen. Wenn auch die Umfragen klare Verhältnisse vorgeben, so ist die Zahl der Unentschlossenen immer noch groß. Profitieren können davon meist die politischen Ränder, auch weil taktische Wähler sich dafür entscheiden. Merkel und Schulz täten gut daran, bis zum Wahltag die Kontroverse zu suchen und nicht schon die Koalitionsgespräche einzuläuten.