Die viertgrößte Industriemacht der Erde soll in eine Zwangspause geschickt werden. Wenn die Jugendlichen am Freitag zu Hunderttausenden für den Kampf gegen die Erhitzung des Planeten auf die Straße gehen, wollen sie dieses Mal alle anderen mitreißen. Arbeiter, Angestellte und Rentner sollen sich ihnen anschließen.
Die Pfarrer der evangelischen Kirchen werden dabei die Glocken läuten, wie an hohen Feiertagen. Den gewöhnlichen Lauf der Dinge zu stören, ist das Ziel. Das Störmanöver soll die Bundesregierung unter Druck setzen, die gleichzeitig ihr großes Paket zum Klimaschutz berät.
„Wir wollen, dass das Land an diesem Tag innehält bis zu einem gewissen Grad“, sagt Linus Steinmetz. Der Schüler aus Göttingen ist einer der führenden Köpfe der „Fridays for Future“-Bewegung in Deutschland.
In den Mittagsstunden soll „nichts anderes“ passieren als die Demonstrationen in mehr als 400 Städten in der gesamten Republik – von Hamburg bis München, von Aachen bis Zwickau. Die Schüler werden unterstützt von einem breiten Bündnis von über 200 Organisationen. Die Kirchen sind dabei, Umweltverbände wie Greenpeace oder der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi.
Klimafreundliche Technologien statt Verbote
Zum Auftakt der entscheidenden Woche hatte ein Teil von ihnen am Montag in Berlin vor allem CDU und CSU schon einmal mit auf den Weg gegeben, dass die derzeit diskutierten Vorschläge als viel zu zaghaft empfunden werden. „Wir haben keine Zeit mehr, ein System einzurichten, das erst in drei Jahren zu wirken beginnt“, kritisiert die stellvertretende BUND-Geschäftsführerin Antje von Broock einen zentralen Punkt des Unions-Konzepts.
Unterschiedliche Konzepte der Politik
Die beiden Schwesterparteien wollen den Ausstoß von Kohlendioxid nicht wie die SPD durch eine Steuer teurer machen, sondern durch ein Handelssystem mit Luftverschmutzungsrechten. Während CDU und CSU davon ausgehen, das System binnen eines Jahres aufbauen zu können, meinen die Gegner des Ansatzes, dass es viel länger dauern würde.
Dennoch hat der CDU-Bundesvorstand gestern das vergangene Woche fertiggestellte Konzept abgenickt. Dem ungestümen Vorpreschen der Jugend stellen die schwarzen Parteien einen Kompromiss entgegen, der Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz verbinden soll. „Wir brauchen klimafreundliche Technologien, wir wollen nicht mehr Verbote. Wir glauben nicht, dass Verzicht die Antwort ist“, meint Vize-Fraktionschef Andreas Jung. Der Abgeordnete aus Konstanz war einer der beiden Autoren des Katalogs mit Vorschlägen.
„Das ist kein politischer Streik“
Wie stark die Masse der Demonstranten letztlich sein wird, hängt von den Unternehmen und der Verwaltung ab. Bislang fehlt den Klimastreiks die aktive Rückendeckung der Erwachsenen.
Verdi-Chef Frank Bsirske appelliert an die Beschäftigten, die Arbeit niederzulegen und mit den Schülern auf die Straßen zu gehen. „Dem Klimawandel muss viel energischer begegnet werden als bisher: Er bedroht die Menschheit als Ganzes“, sagt er. Streikgeld wird es aber für die Mitglieder keines geben. „Das ist kein politischer Streik“, stellt der Gewerkschafsvorsitzende klar. Um sich vom Arbeitsplatz zu entfernen, könnte die Mittagspause großzügig ausfallen, Überstunden abgebaut oder halbe Urlaubstage genommen werden.
Auch die Region engagiert sich
Der Aufruf von Fridays for Future zu einem weltweiten Streik richtet sich nicht mehr nur an die Jugendlichen. Auch Arbeitnehmer sind aufgerufen, sich zu beteiligen. Eine Umfrage bei Firmen und Institutionen in der Region:
- Solarcomplex: Das Singener Unternehmen Solarcomplex ist als Fotovoltaik- und Solarkraftwerkbetreiber prädestiniert, die Aktion zu unterstützen. Und tatsächlich – Florian Armbruster, Vorstand von Solarcomplex, sagt dem SÜDKURIER im Gespräch: „Wir haben unsere Mitarbeiter freigestellt: Wenn sie wollen, können sie da mitmachen. Wir halten das für eine gute Aktion, daher ist es für uns auch Arbeitszeit.“ Die Entscheidung ist dem Vorstand leicht gefallen: „Wir setzen uns seit 20 Jahren ideologisch und mit allen Kräften dafür ein, die Energiewende in der Region voranzutreiben, weil wir glauben, dass man den Klimawandel dringend verhindern muss. Toll, dass die Jugend sich da engagiert, das wollen wir unterstützen.“
- Konstanz: Etliche Einzelhändler und Firmen wollen sich am Klimastreik beteiligen. Das Cafe Voglhaus, das Goldschmiedegeschäft Hans J. Baier, das Naturmodegeschäft Maas, Stoffe Creativ, der Imbiss Kervan, der Buchladen Zur schwarzen Geiß und der Geschenkeladen Blässhuhn wollen zwischen 11.30 Uhr und 14 Uhr schließen, damit sich ihre Mitarbeiter an der Klima-Demonstration beteiligen können. „Wir schließen den ganzen Tag“, sagt Voglhaus-Geschäftsführerin Martina Vogl. Sie begrüße es, wenn sich möglichst viele aus dem Voglhaus-Team an der Protestaktion beteiligten. Das Stadttheater wird seinen Betrieb zwar nicht unterbrechen, seinen Mitarbeitern aber die Teilnahme an der Demo ermöglichen. Auch die Buchhandlung Osiander will den meisten Mitarbeitern ermöglichen, die Demonstration zu besuchen.
- Kirchen: Die großen Kirchen in Baden-Württemberg unterstützen den weltweiten Klimastreik ebenfalls. Teilweise wollen sie die Aktionen mit eigenen Beiträgen wie Andachten und Glockenläuten begleiten, ist das Ergebnis einer Umfrage. Die Evangelische Landeskirche in Baden ruft Mitarbeiter dazu auf, sich mit den Streikenden zu solidarisieren: Frei für die Teilnahme gibt es aber nicht. Auch in der Erzdiözese Freiburg kann die Demoteilnahme nicht als Dienstzeit angerechnet werden.
- ZF: Hier sieht man die Streiks eher kritisch. Jochen Mayer von ZF sagt dem SÜDKURIER: „ZF engagiert sich dafür, die Mobilität sauberer und sicherer zu machen.“ Allerdings: „Auch wenn man dem Engagement der Protestierenden Respekt zollen muss, bieten sie doch außer dem Ruf nach Verboten und Einschränkungen keine Lösungen.“ Stattdessen sehe ZF im Mobilitätswandel eine Chance und elektrifiziere alle Fahrzeugklassen. „Wir wollen mit Technologie unseren Beitrag zum Klimaschutz leisten, nicht mit Verboten“, sagt Mayer.
- Roche: Das Unternehmen gibt seinen Mitarbeitern für Klimademonstrationen nicht frei. Es bestehe aber mit flexiblen Arbeitszeiten und Gleitzeit, für solche Aktionen auszustempeln. Das Unternehmen selbst will bis 2020 den Anteil Erneuerbarer auf 20 Prozent erhöhen und die CO2-Emissionen im gleichen Zeitraum um 20 Prozent reduzieren, sagt Sprecherin Anja Steiniger dem SÜDKURIER.
- Friday for Future: In Konstanz wird am Freitag ab 11 Uhr im Herosépark gestreikt, in Friedrichshafen ab 11.30 Uhr am Franziskusplatz, in Markdorf ab 11 Uhr auf dem Vorplatz der Sparkasse. (mim/cla/epd)