Eine Lösung, die Leben rettet, findet Karl Lauterbach
Rund 10 000 Patientinnen und Patienten brauchen in Deutschland ein Spenderorgan. Sie warten etwa auf eine Niere im Schnitt sechs Jahre. Darunter sind viele Kinder. Etwa 2000 Menschen auf der Warteliste sterben pro Jahr. Das aktuelle System funktioniert nicht. Notwendig ist ein Paradigmenwechsel bei den rechtlichen Bedingungen für die Organspende. Wenn Organe nur Menschen entnommen werden dürfen, die ihre Bereitschaft dazu zuvor auf einem Spenderausweis dokumentiert haben, dann ist das eine zu hohe Hürde und ein viel zu großer Aufwand. Die Nicht-Spende bleibt so das Routineverhalten.
Daher plädiere ich für die Einführung einer Widerspruchslösung bei der Organspende. Jeder, der einer Organspende nicht ausdrücklich widerspricht und diese Entscheidung dokumentieren lässt, kommt dann grundsätzlich als Spender infrage.
Wir könnten damit viele Menschen vor dem Tod retten oder ihnen ein besseres Leben ermöglichen. Eine solche Regelung funktioniert in vielen Ländern Europas, die uns über den Austausch von Eurotransplant mehr Organe zur Verfügung stellen, als in Deutschland gespendet werden. Wir bekommen gerne Organe aus Ländern, die die Widerspruchslösung praktizieren. Diese Einbahnstraße ist im Sinne der Nachbarländer künftig nicht mehr zumutbar. Sollte der Bundestag sich gegen die Widerspruchslösung aussprechen, müssten wir darauf verzichten, Organe aus solchen Ländern in Deutschland zu transplantieren.
Durch die Widerspruchslösung bringt man Menschen dazu, sich überhaupt erst die Frage zu stellen, ob sie spenden wollen. Dies ist kein Angriff auf die Selbstbestimmung. Es gibt keine Pflicht zur Organspende, aber es gibt eine Pflicht, sich mit der Thematik zu befassen und eine Ablehnung zu dokumentieren. Die allermeisten Bürger erwarten schließlich, im Fall der Fälle selbst ein Organ zu bekommen.
Man kann sich zu jedem Zeitpunkt entscheiden, etwa bei jedem Arztbesuch, ob man widerspricht oder ausdrücklich zur Organspende bereit ist. Dazu wird ein rund um die Uhr verfügbares Register eingerichtet. Zugleich werden auch die Angehörigen ein Widerspruchsrecht erhalten: Wenn die Familie nach dem Tod ihres Angehörigen glaubhaft versichert, dass dieser sich gegen die Organspende entschieden hätte, etwa weil er mehrfach darüber gesprochen hat, dann wird auch kein Organ entnommen. Die Widerspruchslösung rückt konsequent das Leiden der betroffenen Patienten und Organempfänger in den Vordergrund, ohne die Freiheit des Einzelnen zu missachten. Die Widerspruchslösung ist aus meiner Sicht eine Regelung, die gut in unsere Zeit passt.
Die Widerspruchslösung widerspreche dem Selbstbestimmungsrecht, findet Hermann Gröhe
Jeden Tag sterben drei Menschen, weil sie nicht rechtzeitig ein Spenderorgan erhalten. Viele rutschen zudem von der Warteliste, weil sie bereits zu geschwächt sind für eine Transplantation. Das darf uns nicht ruhen lassen. Wir müssen bei der Organspende besser werden. Dabei müssen wir uns sehr genau fragen, welche Schritte wirklich zu einer Verbesserung beitragen. Ich unterstütze deshalb den Gesetzentwurf zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende.
Die Widerspruchslösung halte ich dagegen für den falschen Weg: Sie stellt das in Artikel 2 des Grundgesetzes geschützte Selbstbestimmungsrecht eines jeden Menschen infrage. Dieses Recht muss man sich nicht verdienen, auch nicht dadurch, dass man einer wünschenswerten Beschäftigung mit der Organspende nachkommt und eine Entscheidung trifft. Auch wer sich der Befassung damit verweigert, verliert nicht sein Selbstbestimmungsrecht. Er wird nicht gleichsam vergemeinschaftet, indem dann das Gemeinwesen Zugriff auf seine Organe nach dem Tod erhält.
Zudem setzt die Widerspruchslösung nicht bei den eigentlichen Problemen an. 84 Prozent der Deutschen stehen der Organspende positiv gegenüber. Bei denjenigen Patienten, bei denen 2018 der Hirntod festgestellt wurde und die grundsätzlich als Organspender infrage kamen, lag die Zustimmung durch Spenderausweis oder Angehörigenauskunft bei 75 Prozent. Wir haben also kein Zustimmungs-, sondern ein Umsetzungsproblem. Denn in mehreren Tausend Fällen im Jahr kommt es gar nicht zur Diagnose eines vorhandenen Hirntods. Wir müssen daher in den Krankenhäusern besser werden bei der Feststellung derjenigen, die für eine Organspende infrage kommen.
Ein ganz wichtiger Schritt dazu ist das im April 2019 in Kraft getretene Gesetz zur Stärkung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende. Es stärkt die Rolle der Transplantationsbeauftragten in den Krankenhäusern. Sie kümmern sich um alle Fragen rund um die Organspende, stehen Krankenhauspersonal und Angehörigen zur Seite. Zudem wird eine Rufbereitschaft zur Unterstützung der Hirntodfeststellung gerade in kleineren Krankenhäusern aufgebaut.
Diesen Weg sollten wir entschlossen weitergehen. Daher will der von mir unterstützte Gesetzentwurf die Entscheidungslösung weiter stärken – durch Hinweise bei den Ausweisstellen auf Informationen und ein zu schaffendes Register, vor allem aber durch die Stärkung der hausärztlichen Beratung. Die Organspende ist ein Geschenk aus Liebe zum Leben. Das setzt Freiwilligkeit und Zustimmung voraus. Dabei sollte es bleiben.