Fünf Männer, mutmaßlich Mitglieder der Rockergang United Tribuns, müssen sich derzeit vor dem Landgericht Konstanz unter anderem wegen Menschenhandels verantworten. Sie hätten junge Frauen in die Prostitution gedrängt, sie mit Gewalt dazu gebracht, sich für Sex zu verkaufen. Prozessbeobachter sprechen von schrecklichen Schicksalen, die der Staatsanwalt in seiner Anklage schilderte.
Schwer an die Täter heranzukommen
Es ist einer von wenigen Fällen, die vor Gericht landen. Beim Polizeipräsidium Ravensburg weist die Kriminalstatistik seit 2017 einen einzigen Fall von Zwangsprostitution aus und nur 14 Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandels.
Dass den Tätern schwer beizukommen ist, zeigt auch eine Statistik des Bundeskriminalamts. 2022 wurden deutschlandweit lediglich 346 Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der sexuellen Ausbeutung abgeschlossen, davon 17 in Baden-Württemberg.

Nur 50 Frauen sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt
Die Situation ist grotesk. Seit 20 Jahren ist Prostitution in Deutschland nicht mehr „sittenwidrig“, sondern gilt als normales Gewerbe. Die rot-grüne Regierung machte Sexarbeit damals zum legalen Job. Doch als Sexarbeiterin sozialversichert waren Ende September 2022 bundesweit gerade einmal 50 Frauen, plus zehn über einen Minijob, weist eine Statistik der Bundesagentur für Arbeit aus.
Offiziell angemeldet waren Ende vergangenen Jahres 28.280 Prostituierte. Wie viele krankenversichert sind oder Steuern zahlen, darüber liegen keine offiziellen Zahlen vor. Doch nach Schätzungen des Bundesfamilienministeriums verkaufen bis zu 400.000 Menschen hierzulande ihren Körper für Sexdienstleistungen. Das würde heißt: Über 90 Prozent der Prostituierten schaffen illegal an.
„Deutschland ist zum Bordell Europas, ja zum Zielland im Sextourismus geworden.“Andreas Stenger, Präsident des Landeskriminalamts in Baden-Württemberg
Prostitution raus aus dem Dunkelfeld? Dieses Ziel ist gescheitert. „Deutschland ist zum Bordell Europas, ja zum Zielland im Sextourismus geworden“, sagt Andreas Stenger, Präsident des Landeskriminalamts in Baden-Württemberg.
Die meisten Frauen stammen heute aus Rumänien, Bulgarien, Ungarn. Sie folgen Zuhältern und Menschenhändlern unter falschen Versprechungen in den „goldenen Westen“, würden ausgebeutet, erfahren Gewalt und Stigmatisierung. Der Staat biete den legalen Rahmen für diese Täter, so Stenger. Und die Polizei sei machtlos.
Polizeipräsident sieht dringenden Änderungsbedarf
„So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben“, pflichtet der Ravensburger Polizeipräsident Uwe Stürmer bei. Nur in extrem wenigen Fällen würden Zuhälter angeklagt. Denn dafür sei die Aussage des Opfers notwendig. Doch die Hemmschwelle der Frauen sei hoch, gegen ihre Peiniger auszusagen.
Oft wüssten deren Familien daheim nichts von der Prostitution, weil sie mit Jobs in Hotels, Restaurants oder als Model geködert wurden. Andere verfallen der Loverboy-Masche. Erschreckend viele junge Frauen unter 21 Jahren stünden unter starkem Druck, viele seien drogenabhängig, hätten zudem Angst vor der Polizei.
Julia Wege forscht seit Jahren im Rotlichtmilieu. „Die meisten Frauen machen das nicht freiwillig“, sagt die Professorin für Soziale Arbeit an der Hochschule Ravensburg-Weingarten.
Sie hat die Anlaufstelle „Amalie“ in Mannheim aufgebaut, die seit 2012 Frauen berät, die in der Prostitution arbeiten oder aussteigen wollen. Ihre Doktorarbeit stützt sich auf Biografien von 15 dieser Frauen, die ihr erzählt haben, wie sie zur Sexarbeit kamen, was das mit ihnen gemacht hat.
„Alle profitieren, nur die Frau nicht“
Egal ob Bordell, Terminwohnung oder Straßenstrich: „Alle profitieren, nur die Frau nicht“, sagt Julia Wege. Aus vielen Gesprächen weiß die Wissenschaftlerin, wie menschenunwürdig dieser Job meistens ist.
Pro Tag zahle eine Prostituierte in der Regel 150 bis 170 Euro Miete für das Zimmer und 25 Euro Steuer an den Staat. 20 bis 30 Euro für den Geschlechtsverkehr seien normal. Oft müssten die Frauen also sechs, sieben Kunden pro Tag bedienen, nur um die Unkosten zu decken. „Da ist noch kein Euro für Essen oder Kleidung verdient.“
Was das mit den Frauen körperlich macht, weiß Hans-Walter Vollert nur zu genau. Der Chef der Frauenklinik am Klinikum Friedrichshafen versorgt Frauen auf Spendenbasis, die über den Streetwork-Verein „arkade“ im Bodenseekreis vermittelt werden. Prostituierte, die ohne Krankenversicherung sonst keine ärztliche Hilfe bekämen.
Er spricht von „körperlichen Schäden wie nach Vergewaltigungen“. Einrisse oder Fissuren durch abnormale Überdehnung besonders am Anus oder Inkontinenz schon bei jungen Frauen, deren Beckenboden irreversibel geschädigt sei.
Die Frauen kämen mit chronischen Bauchschmerzen, Infektionen und Geschlechtskrankheiten durch Sex ohne Gummi, litten oft genug auch an „emotionaler und seelischer Traumatisierung“, sagt der Gynäkologe.
CDU fordert, den Sexkauf zu bestrafen
Ein normaler, selbstbestimmter Job? Ja, es gebe Frauen, die mit dem Verkauf sexueller Dienstleistungen Geld verdienen wollen. Aber die Mehrheit mache die „unfreiwillige Armuts- und Elendsprostitution aus, die von Täuschung, Drohung und völliger Abhängigkeit von Zuhältern geprägt“ sei. Und das in einer Szene, die von Strukturen der Organisierten Kriminalität beherrscht werde.
So steht es in einem Positionspapier, das die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der vergangenen Woche beschlossen hat. Das fordert, die menschenunwürdigen Zustände in der Prostitution zu beenden und den Sexkauf zu bestrafen. Dabei macht sich theoretisch schon seit 2017 jeder Freier strafbar, wenn er auch nur ahnt, dass er sich Sex bei einem Menschen in Zwangslage kauft. Doch das Gesetz ist ein Papiertiger.
Was die Christdemokraten jetzt fordern, soll die Opfer schützen und die Profiteure verfolgen. Es brauche ein neues Gesetz, das Freier, Zuhälter und Bordellbetreiber bestraft, aber nicht die Prostituierten kriminalisiert. Neben Hilfe und Beratung beim Ausstieg aus dem Rotlichtmilieu will die CDU/CSU als dritte Säule dafür sorgen, dass Polizei und Justiz effektiver gegen die Täter vorgehen.
Schon seit 2014 empfiehlt das EU-Parlament, Sexkauf zu bestrafen. Nach ersten Erfahrungen von Schweden, wo das sogenannte Nordische Modell 1999 eingeführt wurde, sowie Norwegen und Island (2009) zogen Frankreich und Irland nach. In diesen Ländern gingen Prostitution und Menschenhandel weitgehend zurück, steht in dem Papier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Das hat Axel Müller, CDU-Abgeordneter aus Ravensburg, maßgeblich mit geschrieben. Für den Richter a.D. geht an einer europaweiten Lösung kein Weg vorbei.
Hoffnung „nach zwanzig Jahren Happy-Sexwork-Narrativ“
„Ich freue mich über den Beschluss der Unionsfraktion“, sagt Leni Breymaier, die für die SPD und den Wahlkreis Aalen-Heidenheim seit 2017 im Bundestag sitzt. Seither kämpft sie für das Sexkaufverbot, findet aber selbst in ihrer eigenen Fraktion derzeit keine Mehrheit dafür.
„Seelen haben kein Preisschild“, sagt die Politikerin. Dass sich die Christdemokraten nun als erste Partei dafür einsetzen, gebe ihr Hoffnung, dass das Thema „nach zwanzig Jahren Happy-Sexwork-Narrativ“ im Bundestagswahlkampf 2025 ankommt.

Allerdings verfolgt Leni Breymaier mit dem Parlamentskreis Pornografie und Prostitution noch einen anderen Weg. Ziel ist eine Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht. Die soll feststellen, dass die Paragrafen in Sachen Prostitution gegen Artikel 1 des Grundgesetzes verstoßen, also gegen die Menschenwürde.
Steilvorlage dafür ist eine Studie der Verfassungsrechtler Ulrich Rommelfanger aus Wiesbaden und Elke Mack, Professorin für Sozialwissenschaft an der Uni Erfurt. Ihr Fazit: Statt die Opfer zu schützen, sei quasi per Gesetz die Stellung von Sexindustrie und Freiern in Deutschland gestärkt worden.
Leni Breymaier jedenfalls ist zuversichtlich, ein Viertel der Abgeordneten im Bundestag, also 184 Parlamentarier, für die Normenkontrollklage gewinnen zu können. Seit dem fast einstimmigen Beschluss der Christdemokraten „mehr denn je“.