Während in Deutschland unlängst ein neues Infektionsschutzgesetz mit Corona-Maßnahmen für den Herbst und Winter beschlossen wurde, hat Präsident Joe Biden die Corona-Pandemie in den USA gerade für beendet erklärt: „Wir haben immer noch ein Problem mit Corona. Wir arbeiten noch viel daran, aber die Pandemie ist vorbei.“ Niemand trage mehr eine Maske, und „jeder scheint in ziemlich guter Verfassung zu sein“. Doch liegt Biden mit seiner Einschätzung richtig?
Die geringere Sterblichkeit bedeutet nicht, dass niemand mehr stirbt
Zwar sterben aktuell so wenige Menschen wie seit Beginn der Corona-Pandemie nicht mehr. Das hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unlängst verkündet. Dennoch sind es weiterhin Tausende, die dem Virus erliegen. „Wir sind noch nie in einer besseren Position gewesen, die Pandemie zu beenden“, sagte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus.
Noch sei die Welt aber nicht so weit, ergänzte er. Doch das Ende sei in Sicht. Allerdings schickte der äthiopische Immunologe eine Warnung hinterher: Gebe man die Vorsichtsmaßnahmen wie Impfungen zu früh auf, drohten neue Virus-Varianten, mehr Todesfälle und größere Unsicherheiten. Noch ist also Vorsicht geboten. Anders gesagt: Wenn wir jetzt alle Schutzmaßnahmen über Bord werfen, könnte sich die Pandemie in die Länge ziehen.
Die Impfquote ist nicht überall so hoch wie hierzulande
Die Weltgesundheitsorganisation ruft dazu auf, dass alle Länder möglichst eine Impfquote von 70 Prozent oder mehr erreichen sollten. Dann nämlich ist ein Großteil der Bevölkerung vor heftigen Krankheitsverläufen geschützt und Todesfälle werden seltener.

Dieses Ziel ist nach Angaben der Oxford University tatsächlich fast erreicht. So sind derzeit 67,7 Prozent der Weltbevölkerung geimpft. Allerdings ist das nur der Gesamtdurchschnitt. In Ländern mit niedrigen Einkommen liegt der Durchschnitt von Erstimpfungen allerdings bei gerade einmal 22,5 Prozent. Dort hat das Virus also noch wesentlich mehr Möglichkeiten, neue Varianten zu entwickeln.
Denn in ungeimpften Organismen kann das Virus meist länger verweilen und mutieren. Und neue, gefährlichere Varianten könnten sich ausbreiten und bisherige Impfungen zu umgehen lernen.
Die aktuellen Varianten sind vielleicht weniger aggressiv, aber die Zahl der Long-Covid-Patienten steigt
Sicher, wir haben Impfstoffe. Doch einige jener, die sich vor den ersten Impfstoffen infizierten, haben bis heute mit den Folgen der Erkrankung zu kämpfen. Und auch jetzt sind wir nicht vor Long Covid gefeit. Selbst bei Geimpften sind Krankheitsausfälle von mehreren Wochen nicht ausgeschlossen.
Das belastet nicht nur die Unternehmen, sondern die gesamte Gesellschaft. Denn auf Kranken- und Rentenkassen werden massive zusätzliche Kosten zukommen. Und die Zahl der Long-Covid-Patienten steigt. Dass die Betroffenen wieder arbeitsfähig werden, ist nicht gesagt. Wir wissen noch zu wenig darüber, wie nachhaltig das Coronavirus unseren Körper schädigt, um nun Entwarnung zu rufen.
Die Inzidenz ist niedrig, aber die Zahlen sagen kaum etwas aus
Die Inzidenzen sind aktuell niedriger als im Sommer, stiegen zuletzt aber wieder leicht an. Allerdings wird kaum noch getestet. Wie viele Infektionen es wirklich aktuell gibt, ist nicht mehr zu bestimmen.
Einen Hinweis auf die Dunkelziffer gibt die Positivrate bei den PCR-Tests. Diese lag laut Daten des Robert Koch-Instituts Anfang September deutschlandweit mit 40 Prozent noch recht hoch, wenn auch im Vergleich zum Juli mit 60 Prozent geringer. Das zeigt: Das Virus ist nicht weg.
Die sogenannte Durchseuchung hat ihren Preis
Der Wunsch nach dem Ende der Pandemie ist nachvollziehbar. Aber wir können es uns nicht herbeiwünschen. Und die natürliche Immunisierung hat ihren Preis. Sie geht auf Kosten der Schwachen in unserer Gesellschaft, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können und auf den Schutz durch andere angewiesen sind.
Eine Pandemie ist keine Epidemie, eine Corona-Erkrankung keine harmlose Erkältung. Das Virus hat nach wie vor Konsequenzen. Sie zu vergessen, stellt das Schicksal unzähliger Covid-Opfer in Abrede.