Stefan Küpper

Am „Blessemer Eck“ hängt diese bronzene Plakette für den Ehrenpreis, verliehen 2015 vom Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen. In Großbuchstaben steht da: „Unser Dorf hat Zukunft.“ Es riecht modrig. Ein paar Meter weiter, die verlehmte Radmacherstraße mit ihren verlassenen und kaputten Häusern entlang, liegt Deutschlands bekannteste Abbruchkante. Dahinter klafft ein riesiger Krater.

Pflastersteine liegen Anfang August an der Abbruchkante am Rande der Kiesgrube in Erftstadt-Blessem. In Erftstadt tat sich in der Nacht ...
Pflastersteine liegen Anfang August an der Abbruchkante am Rande der Kiesgrube in Erftstadt-Blessem. In Erftstadt tat sich in der Nacht zum 15. Juli die Erde auf und verschlang mehrere Häuser. | Bild: Oliver Berg, dpa

Das Hochwasser der Erft ist an diesem Augusttag vier Wochen her. Die Flut, die so viele Existenzen mit sich fortriss, ist zurückgegangen. Der kleine Fluss fließt wieder so ruhig und unschuldig Richtung Rheinmündung, als wäre nichts gewesen. Die Menschen in Erftstadt-Blessem fragen sich aber nach wie vor, wie es weitergehen soll.

Das Lachen, das nicht gut ankam

Vor einigen Wochen war Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, CDU-Vorsitzender und Kanzlerkandidat der Union, hier zu Besuch. Und lachte. Wolfgang Bär erinnert sich gut daran. Der Blessemer schiebt nach einem harten Tag seine verdreckte Schubkarre nach Hause. Zu dem, was davon übrig ist. Er sagt: „Das war nicht vorteilhaft, dieses Lachen. Dem Söder wäre das nicht passiert.“ Der 55-jährige Elektriker sagt allerdings auch: „Eine Wahl würde ich an so was nicht festmachen.“

Laschets Lachen: Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident lacht am 17. Juli mit Umstehenden in Erftstadt, während Präsident Frank ...
Laschets Lachen: Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident lacht am 17. Juli mit Umstehenden in Erftstadt, während Präsident Frank Walther Steinmeier (nicht im Bild) eine Rede hält. | Bild: Marius Becker, AFP

Er nicht. Andere vielleicht schon. Und das kann zum Problem werden, denn die Zeiten der Volksparteien mit satten Mehrheiten sind in Deutschland vorbei. Bei der Bundestagswahl am 26. September kommt es auf jede Stimme an. Laschet bleibt nicht mehr viel Zeit, noch Punkte gutzumachen. Die Umfragen zeigen: Laschet und die Union verlieren an Zustimmung.

Empathie ist eigentlich Laschets Stärke

Laschet hat sich inzwischen mehrfach für sein Lachen entschuldigt. Er, der im katholischen Milieu tief verwurzelt ist, gilt eigentlich als gänzlich unverdächtig, nicht emphatisch sein zu können. Aber wenn es am 26. September nicht für eine Unionsmehrheit reichen sollte, wird dieses Lachen symbolisch für einen missglückten Wahlkampf stehen. Und der CSU-Vorsitzende Markus Söder, sein Konkurrent aus Bayern, wird ihn gerne daran erinnern.

Wer in diesem Spätsommer durch Deutschlands bevölkerungsreichstes Bundesland reist und nach Armin Laschet fragt, danach, wie er als Ministerpräsident sein Land führt, ob er NRW und damit vielleicht auch Kanzleramt kann, hört nie, dass der gebürtige Aachener für das wichtigste Regierungsamt untauglich wäre. Er hört aber schon Zweifel, ob es so, wie es gerade läuft, fürs Kanzleramt reicht.

Laschet lustig: 2020 bekam er den begehrten „Orden wider den Tierischen Ernst“.
Laschet lustig: 2020 bekam er den begehrten „Orden wider den Tierischen Ernst“. | Bild: Henning Kaiser, dpa

Andererseits ist Laschet – gerade weil er wie ein ewiger Pfarrgemeinderatsvorsitzender wirkt – jemand, der schon häufig schwer unterschätzt wurde und sich am Ende doch durchsetzte. Seine NRW-Amtsvorgängerin Hannelore Kraft, der zweifache CDU-Beinahe-Chef Friedrich Merz, Söder und auch noch ein paar andere wissen das.

Der gelernte Jurist Laschet hat in seiner äußerlichen Anmutung zunächst etwas von der Beiläufigkeit seines verklinkerten Reihenhauses, in dem er nach wie vor in Aachen-Burtscheid wohnt. Ordentlicher Vorgarten, dezente Farben. Keine Extravaganzen. Das Namensschild aber ist gut lesbar. Gerade stehen auch ein paar Mülltonnen vor der Tür. Nachbarn fragen gleich freundlich, ob man Hilfe benötige. Später dreht ein Polizeiauto seine Runde.

Das Ehepaar Armin und Susanne Laschet. Sie sind seit 1985 verheiratet.
Das Ehepaar Armin und Susanne Laschet. Sie sind seit 1985 verheiratet. | Bild: Henning Kaiser, dpa

Wenn man nicht wüsste, wer hier wohnt, an den Ministerpräsidenten und seine Familie dächte man eher nicht. Aber im Keller dieses Hauses wurden schon Wahlkampagnen geplant. Und zwar sehr früh morgens.

Der Lieblingsgrieche und die Pfarrkirche sind dort

Burtscheid, früher eigenständig, inzwischen eingemeindet, ist Laschets Kraftzentrum. Was in seinem Fall keine Politikerphrase ist. Die Familie, die Freunde, die Pfarrkirche St. Michael, das „Kapellchen“, wo sich die örtliche CDU trifft, Laschets Lieblingsgrieche, die „Taverne Lakis“, wo man gut und günstig speist. Der Ministerpräsident komme nach wie vor regelmäßig her, bestätigt der Wirt Ioannis Bitzakis. Dass die Corona-Regeln von den Gästen streng eingehalten werden, darauf achtet resolut seine Frau.

Hier also, aus der Europastadt Aachen, kommt der Kapitän des „Team Öffnung“ her. Vielleicht hat das auch etwas damit zu tun, dass im Dreiländer-Eck, wo im Autoradio selbstverständlich belgische und niederländische Sender zu hören sind, per se wenig von geschlossenen Grenzen gehalten wird. Der Alltag ist seit Jahrzehnten grenzübergreifend geregelt. So etwas prägt. Europaabgeordneter und bundesweit bekannter Integrationsminister gewesen zu sein, ebenfalls.

„Er kann hart sein. Auch gegen sich selbst. Man muss das alles ja auch erst mal aushalten.“
Tobias Blasius, Journalist und Buch-Autor, über Armin Laschet

Tobias Blasius kennt Laschet als Beobachter seit über 15 Jahren. Der NRW-Korrespondent ist einer der Autoren seiner Biografie. Ihr Titel: „Der Machtmenschliche“. Fragt man Blasius, ob der Bundestagswahlkampf Laschets gerade ein Martin-Schulz-Momentum hat – von Aachen bis Würselen ist es ja nicht so weit –, antwortet der Journalist: „Wir können gerade alle Stärken und Schwächen von Laschet im Zeitraffer sehen.“

Ministerpräsident Laschet und Nathanael Liminski, Chef der Staatskanzlei.
Ministerpräsident Laschet und Nathanael Liminski, Chef der Staatskanzlei. | Bild: Michael Kappeler, dpa

Die Stärken? „Er weiß sehr gut, wie eine Partei funktioniert, wie Gremien funktionieren, er hat gute Nerven, kann Täler durchschreiten und deshalb ist er überhaupt erst CDU-Vorsitzender und Kanzlerkandidat geworden. Weil er sich gegen Leute, die vermeintlich stärker und populärer waren, durchgesetzt hat. Er kann hart sein. Auch gegen sich selbst. Man muss das alles ja auch erst mal aushalten.“ Und die Schwächen?

Konfus und flatterhaft in der Krise

„Dieses Konfuse im Auftritt, dieses Schludrige in den Botschaften und Bildern. Und dass er hin- und hergerissen ist zwischen den verschiedenen Anforderungen als Kanzlerkandidat, als Ministerpräsident, zwischen der Corona-Krise, der Flut-Krise, dazu Megathemen wie Klimawandel. Er, der auch nicht als ein Top-Organisator gilt, ist zerrieben zwischen den Anforderungen. Dass er an dieser Kommunikations- und Vermittlungsschwäche nie gearbeitet hat, das ist ein echter Fehler.“

Dabei sei Laschet, obwohl er als so flatterhaft wahrgenommen werde, eigentlich ein Mann von großer Themenkontinuität. Laschet, ist Blasius überzeugt, würde nie für eine gute Umfrage oder für einen Wahlsieg bestimmte Themen verraten. „Das christliche Menschenbild als Grundlage für politische Aktion – unverhandelbar. Deutschland als liberales Einwanderungsland – unverhandelbar. Eine Burka-Kampagne – würde der nie machen. Und das Eintreten für die europäische Einigung – unverhandelbar.“

Er lässt auch andere glänzen

Laschets Verdienst sei es, zu integrieren, erklärt Blasius: Die komplizierte NRW-CDU ist befriedet, er pflegt gute Beziehungen zu allen führenden Personen des liberalen Koalitionspartners und einen herrschaftsfreien Dialog im Koalitionsausschuss. Dazu kommt ein präsidialer Stil als Ministerpräsident. Er lässt seinen Innenminister Herbert Reul als starke Figur in Sachen innere Sicherheit und den früheren Konkurrenten Karl-Josef Laumann als soziales Gewissen glänzen. Blasius bringt das auf die Formel: „Laschet kennt keine Highlander-Momente. Und er hat sich nie am Unglück ehemaliger Konkurrenten geweidet. Das entspricht nicht seinem Naturell.“

Armin Laschet, damals Minister für Generationen, Familie und Integration in NRW, kommt 2007 zur Verleihung des Deutschen Kinderpreises ...
Armin Laschet, damals Minister für Generationen, Familie und Integration in NRW, kommt 2007 zur Verleihung des Deutschen Kinderpreises in Köln. | Bild: Jörg Carstensen, dpa

Die Machtarchitektur ist das eine. Aber wie schaut es inhaltlich aus? Der frühere Aachener Stadtrat Laschet konnte im Laufe der Jahre erleben, wie die Studentenstadt sich politisch von schwarz zu grün färbte. Als Bundestagsabgeordneter gehörte er zur schwarz-grünen Pizza-Connection. Als Ministerpräsident macht er allerdings eine erkennbar schwarz-gelbe Politik.

Politik der wirtschaftlichen Entfesselung

Auch wenn man das – trotz höherer Investitionen in den Straßenbau – im ewigen Stau der NRW-Autobahnen noch nicht richtig spürt, sagt Landespolitik-Kenner Blasius: „Über eine Politik der wirtschaftlichen Entfesselung – Dutzende Verwaltungshemmnisse wurden aufgehoben – hat Laschet es geschafft, dem Land dieses Schlusslicht-Gefühl zu nehmen. Nicht immer dem Bundestrend hinterher zu kriechen. Und nach der schlimmen Auseinandersetzung, die der Kölner Silvesternacht folgte, hat die Regierung Laschet wieder Zutrauen in den Staat geschaffen.“

Karl-Rudolf Korte ist Politikwissenschaftler und Direktor der NRW School of Governance. Kann Laschet Kanzler? „Sicher. Wer eines der größten Länder Europas geräuschlos regiert, noch dazu mit nur einer Stimme Mehrheit im Landtag, dann spricht das doch dafür, dass er nicht nur irgendwelche exekutiven Erfahrungen hat, sondern erprobt ist, Routinen hat, um mit Krisenerfahrungen umzugehen.“

Laschets landespolitische Bilanz zieht Korte so: „Ich finde, dass seine Regierung eine sehr klare schwarz-gelbe Handschrift trägt. Er hat die Themen, die er im Wahlkampf zu Großthemen gemacht hat, versucht in seinen Regierungsalltag zu integrieren. Sprich: Bildung, die Abschaffung des G 8, die Diskussion um Inklusion und Förderschulen, bei der Mobilität, vor allem, was Arbeitsplätze anbelangt.“ Es sei klar, dass Laschet der Vertreter eines Industrielandes sei.

Mit großen Altlasten. Auch wenn Laschets Regierung im Haushalt erstmals seit Jahrzehnten eine schwarze Null aufwies, hat das sich von der Kohleförderung verabschiedende und im Strukturwandel stehende NRW mit 180 Milliarden Euro den höchsten Schuldenberg aller Länder abzutragen.