Christoph Bopp

Auf der ganzen Welt wird mit Hochdruck an einem Mittel gegen das Coronavirus gearbeitet. Jetzt gibt es ein deutliches Signal aus der Schweiz: Der Immunologe Martin Bachmann hat nach eigenen Angaben einen Impfstoff entwickelt. Nach erfolgreichen Prüfungen könnte dieser möglicherweise noch in diesem Jahr zum Einsatz kommen. Der 52-jährige Professor am Universitätsspital Bern will die nötigen Studien und Genehmigungsverfahren so schnell durchlaufen, dass er schon im Oktober Massenimpfungen in der Schweiz für möglich hält. Eine erste kleine Erprobung am Menschen soll Bachmann zufolge im Juli starten. An nur wenigen Teilnehmern wird dabei zunächst die Sicherheit und allgemeine Verträglichkeit getestet.

Die Schweizer Behörden unterstützen Bachmann

„Wir halten uns an alle Auflagen, wir beschleunigen die Prozesse nur“, sagte Bachmann. Das Wohlwollen der Schweizer Behörden hat er. Die Aufsichtsbehörde Swissmedic bestätigte, dass in begründeten Fällen, etwa wenn es um lebensbedrohliche Krankheiten wie Covid-19 gehe, befristete Zulassungen schon vor Abschluss der klinischen Studien erteilt werden könnten. Erst die Studienergebnisse der drei Phasen allerdings werden zeigen, ob sich der Impfstoff als hinreichend wirksam erweist und ob er frei von nicht akzeptablen oder gar gefährlichen Nebenwirkungen ist.

Immunologe Martin Bachmann (2. von links) mit seinem Team am Inselspital in Bern. In seiner Hand hebt er eine Ampulle mit dem von ihm ...
Immunologe Martin Bachmann (2. von links) mit seinem Team am Inselspital in Bern. In seiner Hand hebt er eine Ampulle mit dem von ihm entwickelten Impfstoff gegen das Coronavirus Sars-CoV-2. | Bild: Philippe Rossier

Wie funktioniert das Ganze? Professor Bachmann setzt auf ein Verfahren mit virenähnlichen Partikeln, die im Körper eine Abwehrreaktion auf den neuen Erreger auslösen sollen. Damit wäre das Immunsystem gewappnet, im Ernstfall bei einer Infektion die eindringenden Viren erfolgreich abzuwehren. Die meisten Menschen kennen das: Man hat eine Krankheit gehabt, aber überstanden. Die Erfahrung, dass man dann immun ist, sich nicht mehr ansteckt, hat der Mensch schon früh gemacht. Zu verstehen, was genau hinter diesem Effekt steckt, dauerte allerdings etwas länger. Das Immunsystem eines Organismus ist etwas vom Kompliziertesten, was die Natur hervorgebracht hat. Man fragt sich dann im Biologieunterricht zum Beispiel: Muss das so umständlich sein? Und die Antwort ist: Leider ja. Denn die Immunabwehr arbeitet mit teilweise sehr scharfen Waffen, und das mitten im Organismus drin. Da schlägt oder schießt man besser nicht blindwütig um sich.

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Impfen ist der Versuch, dieses Immunsystem zu manipulieren. Man möchte es dazu bringen, eine Immunantwort vorzubereiten, ohne dass die Krankheit ausgebrochen ist. Die sicherste Wirkung würde man erzielen, wenn man das ganze Virus zeigen würde, aber das wäre auch am gefährlichsten. Deshalb hat man früher abgeschwächte (attenuierte) oder tote Viren verwendet. Das funktioniert, ist aber in der Herstellung und beim Testen des Impfstoffs umständlich. Man muss das Virus vermehren (das ist nicht so leicht, weil es ja lebende Zellen benötigt) und ausprobieren, wie viel Viruswirkung es braucht, um den gewünschten Effekt auszulösen, ohne die Krankheit oder Nebenwirkungen zu verursachen.

Mit einer Virusattrappe das Immunsystem provozieren

Einen Stoff, der eine Immunantwort provoziert, nennt man ein Antigen. Anstatt aufwendig auszuprobieren, was sich dafür eignet, geht es heute einfacher. Martin Bachmann vom Universitätsspital Bern verwendet ein sogenanntes virusartiges Partikel, er nennt es eine „Virusattrappe“. Das genetische Material stammt aus der Natur, man hat es optimiert und es ist in riesigen Mengen herstellbar. Und daran hängt er nun gentechnisch das Stückchen vom Coronavirus an, das entscheidend ist, wenn das Virus an eine menschliche Zelle andocken will.

Mittlerweile wird weltweit an einem Impfstoff geforscht. Wird die Schweiz als erstes Land ein Mittel auf den Markt bringen können?
Mittlerweile wird weltweit an einem Impfstoff geforscht. Wird die Schweiz als erstes Land ein Mittel auf den Markt bringen können? | Bild: Friso Gentsch, dpa

Die Chinesen haben den genetischen Bauplan von Sars-CoV-2 bereits entschlüsselt. Und man weiß auch, an welchen Rezeptor (die Stelle der Zelle, wo das Virus andockt) es bindet. Es gilt jetzt, die sogenannte RBD (für: receptor binding domain) zu finden, mit der die Spikes (diese dornenähnlichen Fortsätze der Coronaviren) sich an die Zellen heften. Diese RBD schneidet man aus dem Virus heraus, und dieses Stückchen soll dann als Antigen dienen. Es ist nicht infektiös, bringt aber das Immunsystem dazu, spezifisch zu reagieren, also genau die Maßnahmen zu aktivieren, die gegen das Coronavirus notwendig sind.

Zellen, die sich das Coronavirus merken können

Um die Wirkung zu verstärken, haben Bachmann und sein Team noch ein kleines Teil des Tetanus-Toxins angehängt. Fast alle Menschen sind gegen Tetanus (Wundstarrkrampf) immun, bei einer größeren Wunde impft der Arzt jeweils nach. Das Tetanus-Toxin soll das Immunsystem nicht nur dazu bringen, Antikörper zu bilden (die verhindern das Andocken an die Zelle), sondern auch T-Zellen zu aktivieren. Das sind die Zellen, die nach erfolgreicher Bekämpfung der Infektion teilweise zu sogenannten T-Gedächtniszellen werden. Zellen, die bei Bedarf dann die Antwort wieder auslösen können.

Die Impfungen gegen das HP-Virus, das Gebärmutterhalskrebs auslösen kann, und gegen Hepatitis B funktionieren nach dieser Methode. Das Verfahren ist bekannt und bewährt. Gegen Sars und Mers, sagt Martin Bachmann, habe es auch schon verheißungsvoll ausgesehen.

Das Coronavirus sei nicht besonders komplex und gehe eigentlich nicht besonders raffiniert vor, sagt Bachmanns Kollege Christian Münz von der Universität Zürich. Theoretisch könnte man sich auch einen Impfstoff aus inaktivierten Viren vorstellen (durch Hitze oder chemisch abgetötet). Aber das Verfahren, das Bachmann anwendet, habe den Vorteil, dass es zielführender ist und schon zu Impfstoffen für Tiere geführt hat. Dank vieler präklinischer Studien mit anderen Antigenen kann man vielleicht auch schneller zu Tests mit Menschen übergehen.

Im Oktober soll es soweit sein – bis dahin darf nichts schiefgehen

Wie lange wird es gehen, bis wir einen Impfstoff haben? Bachmann sagte, er sei im Gespräch mit Swissmedic. Normalerweise dauern Testphasen für einen Impfstoff Jahre. Es darf da nichts schiefgehen. Aber bei Pandemien kann man ein Risiko eingehen und abkürzen. „Zuerst müssen wir schauen, ob das Verfahren verträglich ist“, sagte Bachmann gegenüber der Schweizer Mediengruppe CH Media. Dann möchte er an rund 240 Personen den Stoff ausprobieren. Welche Dosis ist optimal? Und: Braucht es allenfalls noch ein Adjuvans, einen Stoff, der die Wirkung verstärkt? Und dann sollen möglichst schnell die gefährdeten Leute immunisiert werden und danach die erwachsene Bevölkerung. Im Herbst, in diesem Oktober, will Bachmann so weit sein.

Der Schweizer Immunologe Martin Bachmann geht davon aus, dass ab Oktober gefährdete Menschen in der Schweiz gegen das Coronavirus ...
Der Schweizer Immunologe Martin Bachmann geht davon aus, dass ab Oktober gefährdete Menschen in der Schweiz gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 geimpft werden können. | Bild: Philippe Rossier

Die Herstellung scheint kein Problem zu sein. „Ein 200-Liter-Bioreaktor kann 10 Millionen Impfdosen herstellen.“ Bakterien würden das Protein herstellen, nach der Reinigung hätte man den Impfstoff. Das würde reichen, fast jeden Schweizer zweimal zu impfen. Firmen, die das könnten, gibt es in der Schweiz. Und der Markt für einen Sars-CoV-2-Impfstoff ist die ganze Welt.