Er muss es wissen. Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer mahnte vor den in der kommenden Woche beginnenden Tarifverhandlungen für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen, dass den Kommunen in ihrer finanziellen Situation eigentlich nur eine Nullrunde helfen würde. Wenn überhaupt.
Palmer kennt seinen kommunalen Haushalt, er kann rechnen – und er ist Realist. Deshalb weiß er, dass es zu der Nullrunde nicht kommen wird. Und dass die Personalkosten ein zwar zunehmend erdrückender Faktor in den öffentlichen Haushalten sind, gleichzeitig aber Teil einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, die am wenigsten den Beschäftigten selbst anzulasten ist.
Eine Nullrunde wäre zwar ein starkes Zeichen dafür, dass die Tarifpartner deutlich machen, wie ernst es ist und dass beide Seiten Verantwortung übernehmen.
Der Steuerzahler erwirtschaftet das Geld
Klar ist aber: Wenn nicht zugleich massiv andere haushaltswirksame Stellschrauben gedreht werden, würde selbst eine Nullrunde verpuffen wie eine Mini-Tariferhöhung in der Inflation. Verdi hat ein Lohnplus von acht Prozent sowie mehr Freizeit aufgerufen. Angesichts der allgemeinen wirtschaftlichen Lage ist die Frage erlaubt, ob hier eigentlich der Schuss gehört wurde. Verglichen mit Forderungen in anderen Branchen liegt Verdi hier im Mittelfeld.
Dennoch: Der Öffentliche Dienst muss das Geld, das er seinen Mitarbeitenden zahlen will, im Gegensatz zu anderen Tarifbranchen nicht selbst erwirtschaften – sondern der Steuerzahler muss es. Deshalb ist hier besondere Zurückhaltung angebracht.
Finanzlage der Kommunen ist dramatisch
Freilich haben sich zuletzt die Finanzverhältnisse der Kommunen noch einmal drastisch verschlechtert. Erstmals drohen tatsächlich Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge auf breiter Front auf der Strecke zu bleiben. Der Bürger wird dies in seinem Alltag noch schmerzlicher und direkter bemerken, als er sich das bislang vorstellen konnte. Die Gründe aber sind vielfältig.
Abgesehen von den Personalkosten tragen vor allem zwei Faktoren maßgeblich dazu bei, die sich gegenseitig in ihrer fatalen Wirkung noch verstärken. Das sind erstens die zum Teil dramatischen Gewerbesteuereinbrüche, die der wirtschaftlichen Abwärtsentwicklung und dem dritten Rezessionsjahr geschuldet sind.
Vor allem in Baden-Württemberg, dessen Kernindustrien in hohem Maße betroffen sind, kommen erst jetzt die Folgen auch in den kommunalen Haushalten richtig an.
Sozialausgaben steigen und steigen
Zweitens sind die Kosten in den Sozialhaushalten in den vergangenen Jahren exorbitant gestiegen, laut einer Städtetag-Erhebung allein von 2023 auf 2024 um mehr als 20 Prozent. Im gleichen Maß ist die Verschuldung der Kommunen gewachsen, zugleich steigen die Kassenkredite, was die Haushalte perspektivisch zusätzlich einschnürt.
Weniger Personalausgaben gibt es nur mit weniger Personal. Und weniger Personal gibt es nur mit weniger Aufgaben. Kommunalpolitiker wie Palmer werden nicht müde, darauf hinzuweisen.
Mehr Aufgaben bedeutet mehr Personal
Die Kommunen brauchen vor allem strukturelle Änderungen, wie sie jüngst der baden-württembergische Städtetags-Präsident formulierte, um einerseits ihre Einnahmeseiten zu verbessern und andererseits entlastet zu werden von Kosten, die ihnen durch immer mehr immer teurere und auch immer bürokratischere Aufgaben des Bundes aufgebürdet werden.
Genannt sei hier nur das Bundesteilhabegesetz. So wichtig es ist, so schlecht ist es gemacht. Für Aufgaben wie diese brauchen Kommunen mehr und mehr Personal. Dies aber lässt sich nicht mehr so einfach wie früher mit dem Totschlagargument der Arbeitsplatzsicherheit bei Tarifrunden ruhigstellen. Auch Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung müssen teure Mieten, steigende Lebenshaltungskosten und Sozialabgaben bezahlen.
Gerecht muss es zugehen
Bei den Tarifverhandlungen also wird es mehr denn ja auf Augenmaß ankommen. Vor allem wird die Frage der sozialen Gerechtigkeit an Gewicht gewinnen. Den Beschäftigten wird ein maßvolles, vielleicht sogar ein niedriges Verhandlungsergebnis nur vermittelbar sein, wenn sie den Eindruck haben, dass nicht nur im öffentlichen Dienst, sondern gesamtgesellschaftlich die Zeichen der Zeit erkannt wurden.
Wenn Verwaltungsangestellten, Müllwerkern oder Krankenhausmitarbeitern der unteren Entgeltgruppen im öffentlichen Dienst – die zu den wahren Leistungsträger der Gesellschaft gehören – in Zeiten der Krise mehr Zugeständnisse abverlangt werden als anderen, ist die Sprengkraft auf die politische Entwicklung nicht zu unterschätzen.
Es könnte sich noch als ein Segen erweisen, dass die Bundestagswahl vor dem zu erwartenden Abschluss der Tarifverhandlungen stattfindet.