Vor einem Jahr hieß Deutschlands beliebtester Politiker Robert Habeck. Kein anderes Mitglied der Bundesregierung, so schien es, legte sich nach Putins Angriff auf die Ukraine derart krumm, damit die Deutschen weiter ihre Stuben heizen konnten und die Energieversorgung des Industrielandes Deutschland auch ohne russisches Gas gesichert blieb.
Die Bürger dankten seiner Partei mit Umfragewerten von 25 Prozent – weit vor der SPD, fast auf Augenhöhe mit der Union. Für viele war klar: Geht es so weiter, ist dieser Mann der nächste Bundeskanzler.
Es geht aber nicht so weiter. Aktuelle Meinungsumfragen verzeichnen für den grünen Wirtschaftsminister einen regelrechten Absturz: Mit seiner Arbeit sind nur noch 30 Prozent der Befragten zufrieden, fünf Prozentpunkte weniger als im April. Selbst FDP-Kabinettskollege Christian Lindner kommt auf einen besseren Wert. Auch Habecks Partei verliert dramatisch an Zustimmung.
Mit 16 Prozent liegen die Grünen weit hinter der Union und inzwischen auch hinter der SPD. Aus der Traum, eines Tages als neue Volkspartei der linken Mitte den Kanzler stellen zu können.
Solche Affären verzeihen die Deutschen nicht
Habeck ist schuld, sagen auch Anhänger der Grünen. Annalena Baerbock und Cem Özdemir schlagen sich in ihren Ämtern überraschend gut, der Wirtschaftsminister hingegen taumelt von einem Problem zum nächsten.
Vieles hätten die Deutschen dem 53-Jährigen vielleicht verziehen, nicht aber die Affäre um die Postenvergabe in seinem Ministerium: Bei Vetternwirtschaft hört für die meisten Bundesbürger die Freundschaft auf. Wer wie Habecks Staatssekretär Patrick Graichen – hochgradig versippt und verschwägert – seine halbe Verwandtschaft mit wohldotierten Posten versorgt, darf sich über ein solches Echo nicht wundern.
Noch hält Habeck zu seinem Mitstreiter, auch wenn dieser ihn mit in den Strudel zu reißen droht. Graichen sei der Mann, der Deutschland vor einer schweren Energiekrise bewahrt hat, sagt Habeck. Was er meint: Er braucht ihn in seinem Ministerium als Schlüsselfigur für die Energiewende.
Als treibende Kraft hinter den Kulissen hat Graichen in den Tagen der Not die Gasspeicher gefüllt, gegen viele Widerstände den Bau von LNG-Terminals durchgepeitscht, den Gasversorger Uniper stabilisiert und alte Kohlekraftwerke zurück ans Netz geholt. In seinem Büro laufen die Fäden zusammen. Schon deshalb hält der Minister an ihm fest.
Schon vorher machte Habeck zu viele Fehler
Ob Habeck auf Dauer gegen das Trommelfeuer der Trauzeugen-Affäre ankommt, steht auf einem anderen Blatt. Schon der Begriff klingt wie der Sargnagel einer Politiker-Karriere. Die Angriffe treffen einen Politiker, der bereits vorher aus dem Tritt geraten ist, weil er zu viele Fehler machte.
Erst die Pleite mit der Gasumlage, zuletzt das Chaos um die Heizungsverbote: Die Missgriffe und Misserfolge im Wirtschaftsministerium werden immer häufiger. Und alle gehen mit dem Chef nach Hause. Anders als früher versteht Habeck es nicht mehr, seine Politik zu erklären und die Bürger auf dem steinigen Weg der Energiepolitik mitzunehmen.
Die CDU sieht die Chance, ihren wichtigsten Gegner zu demontieren, und legt täglich einen Scheit Holz ins Feuer. Ebenso giftet der Koalitionspartner SPD gegen den grünen Vizekanzler. „Das Prinzip Habeck geht so: Auftritte filmreif, handwerkliche Umsetzung bedenklich, und am Ende zahlt der Bürger drauf“, sagt Fraktionsvize Dirk Wiese. Unstrittig hat die SPD ein massives Interesse daran, Habeck zu schwächen, um Kanzler Scholz einen Konkurrenten vom Hals zu schaffen.
Habeck hat dagegen noch keine Strategie gefunden. Von einer Kampagne gegen den Minister zu sprechen, wie der Alt-Grüne Jürgen Trittin dies tut, ist dennoch lächerlich. Gerade die Grünen ließen selten Gnade walten, wenn sich irgendwo ein Politiker im Parteienfilz verhedderte. Eine klare Trennung von dem umtriebigen Staatssekretär ist die Grundvoraussetzung, um das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen.
Was man Habeck vorwerfen kann und was nicht
Um an das alte Format anzuknüpfen, braucht es aber mehr. Die Grünen muten den Bürgern bei der Energiewende viel zu. Nicht alles davon ist zu Ende gedacht, wie zuletzt beim Heizungswechsel. Das kann man Habeck vorwerfen. Nicht vorwerfen kann man ihm, dass er den Deutschen klipp und klar sagt, dass es in Zeiten von Ukraine-Krieg und Klimawandel in der Energiepolitik nicht so weitergehen kann wie bisher.
Gerade CDU und SPD verbreiten diese Illusion, obwohl sie 16 Jahre lang auf Putins Erdgas setzten und die Bundesrepublik in eine fatale Abhängigkeit von Moskau führten. Jetzt ausgerechnet Habeck zum Sündenbock zu erklären, ist ein Meisterstück politischer Heuchelei. Staatssekretär Graichen trägt das Seine dazu bei, dass die Rechnung aufgeht. Wird sein Chef weiter beschädigt, rückt das Kanzleramt in weite Ferne.