Eminenz, in Ihrem neuen Buch „Was ist katholisch?“ üben Sie deutliche Kritik an der Kirche in Deutschland. Warum?

Wir Deutsche neigen zu Sonderwegen, die uns und der Welt bisher selten gut bekommen sind. Wir gehören wie andere auch zur Weltkirche und sollten uns nicht als ihr Oberlehrer aufspielen. Andere sind genau so intelligent und glaubensstark. Sich ins größere Ganze einzuordnen, tut uns gut.

Und doch erscheinen die Deutschen als Formation von Überfliegern. Im Vatikan sind sie überdurchschnittlich stark vertreten. Von Benedikt XVI. bis zu Ihnen ...

... Es gab einmal eine starke deutsche Tradition in der Theologie. Außerdem wird uns die Hilfsbereitschaft hoch angerechnet. In der dritten Welt sind die katholischen Hilfswerke wie Misereor, Renovabis, Adveniat bestens bekannt. Den Einfluss deutscher Theologen und Kleriker sehe ich dagegen reservierter, als Sie das in Ihrer Frage andeuten. Unser offizieller Einfluss in Rom ist im Schwinden. Wir stellen keinen Präfekten mehr.

Stichwort Präfekt, Sie waren Chef der Glaubenskongregation. Ihr Vertrag wurde 2017 damals nicht verlängert – eine Überraschung damals.

Gründe für die Nichtverlängerung hat der Papst nicht genannt. Darüber zu spekulieren ist müßig. Nach meinem Verständnis ist der Präfekt der Glaubenskongregation nicht nur ausführendes Organ und ein mechanisch tickender Erfüllungsgehilfe. Wer sich das Ganze als Kampf um Macht und Einfluss vorstellt, ist fehl am Platz. Wer nicht dienen, sondern herrschen will, schadet der Kirche, die Christi und nicht unser Eigentum ist.

War es ein Machtkampf zwischen Ihnen und dem damals neuen Papst Franziskus?

Das wäre ein interessantes Schauspiel für sensationsgierige Zuschauer. In Wirklichkeit geht es um die bestmögliche Ausarbeitung päpstlicher Texte und römischer Lehrdokumente. Paradefall war der Pontifikat von Johannes Paul II., dem damals Joseph Ratzinger als Präfekt zugearbeitet hat. Das war vorbildlich. Dieses Niveau muss gehalten werden.

Warum?

Hier haben manche Leute das Sagen, die mehr von Kommunikation und Außendarstellung etwas verstehen, als dass sie in der Theologie zu Hause sind. Das mag ja alles wichtig sein, aber vor allem sollte die wissenschaftliche Durchdringung eines Themas der Veröffentlichung eines Dokumentes vorangehen.

Wollen Sie sagen, dass Papst Franziskus von Männern beraten wird, die fachlich nicht auf der Höhe sind?

Über beteiligte Personen möchte ich mich nicht öffentlich äußern, weil das nichts verbessern würde. Aber die vorgelegten Entwürfe können sich nicht einer strengen fachlichen Kritik entziehen, nur weil ihre Schreiber sich auf die privat geäußerten Intentionen des Papstes wie auf Privatoffenbarungen beziehen, dabei aber vergessen machen wollen, dass das Lehramt nicht eine eigene Quelle der Offenbarung darstellt, sondern nur deren – allerdings wichtigste – Bezeugungsinstanz.

Ihnen wurde vorgehalten, dass Sie den Papst belehren wollten…

… Der Papst hat seine Lehrautorität nicht aufgrund einer wissenschaftlichen Überkompetenz, sondern aufgrund des Beistandes des Heiligen Geistes. Bei dieser Aufgabe stützt er sich aber auf die Glaubenskongregation. Wozu wären all die Experten bei der Glaubenskongregation in den verschiedenen theologischen Disziplinen als Berater des Papstes nötig, wenn er als Einzelmensch schon allwissend wäre?

Welche Rolle spielen Deutsche im Vatikan? Die Abdankung von Benedikt XVI. hat ihren Einfluss geschmälert. Neben ihm sein Sekretär Georg ...
Welche Rolle spielen Deutsche im Vatikan? Die Abdankung von Benedikt XVI. hat ihren Einfluss geschmälert. Neben ihm sein Sekretär Georg Gänswein – dessen Beurlaubung sei ungerecht und demütigend, sagt Kardinal Müller. | Bild: ---

Es ist ein Phänomen: An der römischen Kurie tummeln sich viele Kleriker deutscher Herkunft. Haben Sie Kontakt untereinander, schauen Sie gelegentlich bei Benedikt XVI. vorbei und bei Georg Gänswein?

Zu Papst Benedikt pflege ich gute Kontakte. Wir verstehen uns gut, weil wir eine ähnliche Denkweise haben als Professoren und dieselbe Sprache sprechen. Georg Gänswein kenne ich, seit er an der Universität München Assistent war.

Monsignore Gänswein und Sie verbindet etwas. Auch er wurde vom Papst beurlaubt und faktisch entmachtet. Denken sie, dass er eines Tages wieder ins Spiel kommt?

Erzbischof Gänswein hat sich nichts zu Schulden kommen lassen. Dennoch wurde er so dubios behandelt, dass die einen sich vor Schadenfreude auf die Schenkel klopfen und die anderen tief entmutigt sind über das Allzumenschliche in der Kirche. Das alles ist nicht sehr einladend für diejenigen, die in der Kirche die familiäre Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern in Christus suchen.

Pensionär mit Einfluss: Kurienkardinal Walter Kasper.
Pensionär mit Einfluss: Kurienkardinal Walter Kasper. | Bild: Patrick Seeger

In Deutschland läuft seit zwei Jahren der Synodale Weg in Frankfurt. Wie sehen Sie diesen Reformversuch?

Der sogenannte Synodale Weg ist eine gemeinsame Anstrengung von Laien und Priestern, die Position der Kirche in der Welt von heute zu formulieren. Im Prinzip ist solch eine gemeinsame Beratungsinstanz eine gute Einrichtung, sie entspringt dem Kirchenverständnis des II. Vatikanischen Konzils. Was aber unter dem Titel Synodaler Weg angezielt wird, ist in einigen Teilen unter den Voraussetzungen der katholischen Theologie nicht akzeptabel.

Denn die Ergebnisse sollen auch dann verbindlich sein für Deutschland und wegweisend für die ganze Welt, wenn sie inhaltlich dem Wort Gottes widersprechen und die formale Autorität des Papstes und des Gesamtepiskopates negieren. Diesen inhaltlichen Widerspruch kann man nur denen verkaufen, die von den Prinzipien der Dogmenentwicklung im katholischen Sinn wenig Ahnung haben.

Der Synodale Weg sucht doch nach Reformen, die im Rahmen der Gesamtkirche möglich sind. Und er stellt die Machtfrage: Ist es richtig, dass eine kleine Gruppe von Männern das letzte Wort hat?

Sie sprechen damit die Verfassung der Kirche als göttliche Stiftung an. Diese kann man nicht aus den Angeln heben und in ihr Gegenteil verkehren, wie das Delegierte in Frankfurt zu meinen scheinen. Der Bischof ist der Nachfolger der Apostel, er ist als Diener des Wortes und als Hirte der Kirche Christi verantwortlich für das sakramental vermittelte ewige Heil der ihm anvertrauten Gläubigen.

Woher nehmen Sie diese Sicherheit?

Diese geistliche Vollmacht steht dem Bischof zu, weil sie ihm von Christus anvertraut wurde und nicht weil er sie illegal an sich gerissen hätte. Papst, Bischöfe und Priester sind nicht Geschäftsführer oder Vorstands-Vorsitzende eines religiös-sozialen Konzerns, sondern vom Heiligen Geist als Hirten eingesetzt, um für die Kirche Gottes zu sorgen.

Ein Klassiker auf dem Wunschzettel ist der Zölibat. Selbst katholische Pfarrer sehen dieses kirchliche Gesetz inzwischen kritisch.

Der Zölibat der Priester ist ihrem Dienst innerlich sehr „angemessen“ ( II. Vatikanum). Ausnahmen zu gewähren im Sinne der östlichen Tradition oder im Einzelfall auch in der lateinischen Kirche steht nur dem Papst oder einem Konzil zu.

Ein informelles Treffen von Bischöfen mit ausgewählten Priestern und Laien auf deutschen Territorium hat hierzu weder eine autoritative Entscheidungskompetenz noch die Möglichkeit, den geistlichen Zeugnischarakter der „Ehelosigkeit um des Gottesreiches willen“ – mit Jesu Worten gesagt- zu bekritteln.

Im Mai 2020 unterzeichneten Sie einen Aufruf, der sich kritisch mit den Corona-Maßnahmen befasst hat. Unter dem Titel „Die Wahrheit wird euch frei machen“ wurde die Wucht der Pandemie deutlich relativiert. Weiter hieß es in dem Aufruf, dass Corona nur als Vorwand diene, um den Menschen wichtige Freiheiten zu nehmen.

Wenn man an die maßlosen Verbalinjurien denkt, die in diesem Zusammenhang an den Tag kamen, kann man, wenn nicht am Verstand, so doch am guten Willen von manchen zweifeln mag, die hier Querverbindungen zusammengefabelt haben und mir ein primär politisches oder gar parteipolitisches Agieren zumal nur auf ihrer provinziellen deutschen Bühne unterstellten. Ein Aufruf ist keine wissenschaftliche Feinanalyse der Situation, sondern zeigt Gefahren auf.

Buchcover
Buchcover | Bild: Herder Verlag

Auf manche Beobachter wirkte es so, als ob Sie den Querdenkern nahestehen.

Der Aufruf ist auch nicht durch die deutsche Brille gesehen und verfasst, sondern von der ernsthaften Sorge bedrängt, dass Grundrechte in manchen politischen Regimen unverhältnismäßig eingeschränkt oder gar beseitigt werden.

In manchen Ländern ist die Messe unter Strafe verboten während gleichzeitig weltliche Versammlungen erlaubt sind. Das eine sind die notwendigen Schutzmaßnahmen, die im einzelnen auf ihre Wirksamkeit hin unterschiedlich bewertet werden. Das andere ist die schamlose Bereicherung von politischen und wirtschaftlichen Verantwortungsträgern, während Millionen in die Armut abrutschen.

Fragen: Uli Fricker