Aus vollem Hals rufen sie „Widerstand!“ und „Wir sind das Volk!“. Die Tausenden Demonstranten, die sich am Samstag im Zentrum Berlins versammeln, sind aufgebracht, viele haben Transparente dabei. Auf die Straße treibt sie der Protest gegen staatliche Corona-Auflagen, sie wollen Schluss machen mit den lästigen Alltagsbeschränkungen - und kreiden der Regierung offenen Rechtsbruch an. „Schuldig“ ist denn auch auf Schildern mit Konterfeis von Regierungspolitikern und Wissenschaftlern zu lesen - sie alle, darunter die Kanzlerin, sind in gestreifter Häftlingskleidung abgebildet.

Aufgeheizt war das Klima bereits vor der Demo, weil die Polizei die Versammlungen vor allem mit Verweis auf den Gesundheitsschutz verbieten wollte. Gerichte kippten die Verbotsverfügung jedoch in letzter Minute.
Die Zahl der Demonstranten wächst schnell
Die Polizei stellt sich mit rund 3000 Einsatzkräften auf das Protestwochenende ein, sie sperrt Zugänge und Straßen. Die Zahl der Demonstranten wächst schon am Samstagvormittag schnell: Zunächst spricht die Polizei von rund 18 000 Teilnehmern auf der Friedrichstraße und Unter den Linden, später am Nachmittag von „mehreren Zehntausend“.
„Stoppt den Corona-Wahsinnn!“ ist unter anderem auf Schildern zu lesen. In den Straßen, wo sich die Demo-Teilnehmer sammeln, wird aufgrund ziemlicher Enge in der Menge klar: Viele halten die wegen der Infektionsgefahr angezeigten Mindestabstände nicht ein. Der geplante Demonstrationszug darf deshalb zunächst nicht starten. Dann löst die Polizei die Demo auf. Aber ziehen die Demonstranten auch freiwillig ab? Am Nachmittag dann sollte noch eine große Kundgebung ganz in der Nähe folgen, auf der Straße des 17. Juni zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor.
Aufgerufen zum Protest hatte die Stuttgarter Initiative Querdenken 711
Aus vielen Teilen Deutschlands sind Demonstranten in die Hauptstadt gereist. Veranstalter der Initiative Querdenken 711 aus Stuttgart hatten zu der Versammlung gegen staatliche Corona-Auflagen aufgerufen. Die Mischung ist vielfältig: Männer und Frauen, Junge und Alte, auch Familien mit Kindern sind dabei. Viele Dialekte sind zu hören. An der Staatsoper Unter den Linden sammeln sich wiederum Menschen, die gegen die Querdenken-Proteste demonstrierten.

Gegen Mittag verbreiten sich in den sozialen Medien dann erste Falschmeldungen über die Zahl der Teilnehmer: 8,5 Millionen Protestierende sind demnach vermeintlich in der Hauptstadt unterwegs. Auch der Thüringer AfD-Rechtsaußen Björn Höcke spricht von Hunderttausenden, „wenn nicht Millionen“. Schon bei der Demo am 1. August wurde die Teilnehmerzahl massiv auf über eine Million aufgeblasen, obwohl nur wenige Zehntausend dabei waren.
Menschen mit rechtsextremen Symbolen auf der Demo
Am Samstag tauchen zwischen den bürgerlich aussehenden Demonstranten auch Menschen mit Reichsadler-Flaggen auf, T-Shirts mit Frakturschrift sind zu sehen. Als rechtsextrem erkennbare Demonstranten machen nach Einschätzung von Demo-Beobachtern aber einen sehr kleinen Teil aus.

Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte sich zuvor mehrfach besorgt geäußert angesichts „einer Mobilisierung unter durch Rechtsextremisten“. Im Vorfeld der Demo waren in sozialen Medien durchaus Stimmen zu lesen, die sich einen politischen Umsturz herbeisehnten. Mit Kritik an den Corona-Maßnahmen hatte das teilweise nicht mehr viel zu tun.
(dpa)