Eine überlastete Terminhotline, eine Homepage, die vertröstet, Ratlosigkeit und Unsicherheit über die Vergabe von Impfterminen, widersprüchliche Meldungen über den Start der verschiedenen Impfzentren – nur drei Tage nach der ersten Corona-Impfung in Baden-Württemberg am vergangenen Sonntag scheint das Chaos zu regieren. Vieles davon fällt unter die Kategorie Anlaufschwierigkeiten. Und vieles war zwar vorhersehbar, aber wohl kaum zu vermeiden. Etwa, dass es zu Beginn viel zu wenig Impfdosen in Baden-Württemberg – wie in allen anderen Bundesländern auch – geben würde, dass es einen Ansturm auf die Termine geben würde, dass sich die vielen Fragen der Menschen nicht in einem Zwei-Minuten-Termingespräch abhandeln lassen würden und die unterschiedlichen Starttermine der Impfungen Irritationen auslösen würde.
Baden-Württemberg vergeigt die Krisenkommunikation
Tatsächlich sind weder die Landesregierung noch der zuständige Gesundheitsminister für kaum etwas davon direkt verantwortlich. Was das gefühlte Chaos aber vergrößert, ist erneut das Fehlen einer klaren Kommunikationsstrategie. Die Menschen haben unendlich viele Fragen, und sie wollen Antworten. Auch nach acht Monaten Krise scheint auf der Landesseite nicht geklärt zu sein, wer für diesen Punkt eigentlich in der Verantwortung steht.
Es wurde an oberster Stelle – im Corona-Lenkungskreis und vom Gesundheitsminister – unterlassen, beim langen Warten auf den Impfstart dazu einen Masterplan auszuarbeiten und diesen rechtzeitig breit zu kommunizieren. Das erweckt nun erneut den Eindruck, die Politik setze auch in Sachen Impfstrategie mit heißer Nadel gestricktes Stückwerk auf. Ein stringentes Agieren, für das alle erdenklichen Ressourcen mobilisiert werden, findet nicht statt. In der Krisenkommunikation gegenüber der Bevölkerung fallen Baden-Württemberg und sein Gesundheitsminister Manfred Lucha beim Impfstart im Land erneut durch.

Das ist deshalb doppelt bitter, weil es endlich auch gute Nachrichten gibt. Es gibt Impfzentren, bei denen der Start wie am Schnürchen geklappt hat. Es gibt Erleichterung in Pflegeheimen, Seniorenwohnanlagen und Krankenhäusern. Es gibt die Hochbetagten und ihre Angehörigen, die sich bald wieder in die Arme schließen können. Es gibt Helfer und Ärzte, die endlich nicht mehr das Gefühl der völligen Ohnmacht haben, sondern Hoffnung verspüren, dem Virus endlich etwas entgegensetzen zu können. Das Licht am Ende des Tunnels, es ist tatsächlich erstmals sichtbar und spürbar. Dass es schon Ende 2020 einen potenziell hochwirksamen Corona-Impfstoff geben würde, hatten noch vor einem halben Jahr viele Experten ausgeschlossen.
Umso wichtiger wäre es nun, sich schnellstens auf die nächste große Debatte vorzubereiten und sich dieser frühzeitig mit einer klaren politischen Linie zu stellen: der Debatte um die Frage der Impfgerechtigkeit. Schon haben die Diskussionen über die Verteilung der zur Verfügung stehenden Impfdosen begonnen und darüber, ob und wann es Erleichterungen für Geimpfte geben soll oder gar Einschränkungen für diejenigen, die sich einer Impfung verweigern oder aus anderen Gründen nicht geimpft werden können.
Die Politik muss bei der Diskussion um Impfgerechtigkeit Antworten liefern
Die Politik muss sich diesen Fragen stellen und rechtzeitig Antworten geben, die von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen werden. Es ist weder vorstellbar, die Einschränkungen des öffentlichen Lebens noch monatelang für alle so lange aufrecht zu erhalten, bis alle Impfwilligen geschützt sind, noch vorstellbar, dass es Privilegien für Geimpfte und noch-nicht-Geimpfte gibt. Diesen Prozess zu moderieren, ist nun eine der wichtigsten Aufgaben der Politik. In der Coronakrise war bereits viel von einer drohenden Spaltung der Gesellschaft die Rede. Das sicherste Mittel, sie tatsächlich herbeizuführen, ist, sich vor dieser Diskussion weg zu ducken und erneut Antworten schuldig zu bleiben.