Stefan Verra schaut den Menschen beim Reden zu – und zwar professionell. Seit über 20 Jahren schon hat sich der gebürtige Lienzer der Körpersprache verschrieben. Inzwischen ist er einer der gefragtesten Körpersprache-Experten im deutschen Sprachraum. Er hält Vorträge an Universitäten, Universitätskliniken sowie Regierungsorganisationen wie der Nato.

Gerade ist der 48-Jährige allmontäglich in Diensten des ORF dabei, die Sommerinterviews im österreichischen Fernsehen unter die Lupe zu nehmen. Für den SÜDKURIER analysiert er das erste Triell. Was haben die Kandidaten gut gemacht? Was schlecht? Was sagt ihre Körpersprache über ihre Wahlchancen aus?

Stefan Verra, Körpersprache-Experte
Stefan Verra, Körpersprache-Experte | Bild: Severin Schweiger

Verra, der bereits mehrere Bücher zum Thema veröffentlicht hat, ist überzeugt davon, dass das Thema Körpersprache Aussagekraft hat, die weit über boulevardistische Interessen hinausgeht. Bei der Frage, ob jemand Kanzler kann oder nicht, geht es für den Österreicher darum, ob er oder sie das Talent hat, als Identifikationsfigur für einen großen Teil der Deutschen zu dienen. „Wir hören alle nicht richtig zu, wir wählen denjenigen, bei dem wir uns leicht tun, uns zu identifizieren“, sagt Verra. „Von dem wir denken: Der versteht meine Probleme.“ Diese Qualität allerdings spricht er keinem der drei Kanzlerkandidaten zu. Einen wirklichen Sieger kann Verra nach dem ersten Triell deshalb nicht ausmachen. „Die wirken auf mich alle wie Übergangskandidaten nach 16 Jahren Angela Merkel.“

Armin Laschet – der Kämpferische

CDU Kanzlerkandidat Armin Laschet steht vor der Diskussion im Studio in Berlin-Adlershof.
CDU Kanzlerkandidat Armin Laschet steht vor der Diskussion im Studio in Berlin-Adlershof. | Bild: Michael Kappeler, dpa

„Armin Laschet hat mich nicht wirklich überrascht. Was ihn auszeichnet ist ein unglaublich intensiver, fast schon bedrohlicher Blick. Die Entschlossenheit, die er damit demonstriert, ist an und für sich gut. Was wir uns als Wähler wünschen, ist ja, dass einer sagt, was Sache ist. Vermutlich hat ihm jemand gesagt: Armin, das ist die letzte Chance, hau ordentlich auf den Putz! Deshalb wirkt die Aggressivität bei ihm so bemüht – weil er gar nicht der Typ ist.

Mittendrin geht ihm dann auch oft die Puste aus, da fängt er doch wieder an zu lächeln, stellt einen Fuß nach hinten aus. Das wirkt dann so, als ob er es gar nicht ernst gemeint hätte. Das ist das Problem des Armin Laschet. Angela Merkel war auch recht schwammig, was ihre politischen Ziele anging, aber sie war unglaublich klar in der Körpersprache. Nach dem Motto: Ich weiß zwar nicht, wofür sie steht, aber wir können uns auf sie verlassen. Bei Laschet fehlt auch Letzteres. Er ist, was Körpersprache angeht, ziemlich untalentiert. Und das ist ein großes Problem für die Union.“

Olaf Scholz – der Solide

Kanzlerkandidat Olaf Scholz (SPD) steht bei der Sendung im Fernseh-Studio in Berlin-Adlershof.
Kanzlerkandidat Olaf Scholz (SPD) steht bei der Sendung im Fernseh-Studio in Berlin-Adlershof. | Bild: RTL

„Olaf Scholz kommt geradlinig, solide und sachlich rüber. Die Körperachse bleibt aufrecht, die Mimik bleibt im Rahmen, und die Gestik ist näher an Merkel als bei den anderen Kandidaten. Das macht ihn berechenbarer. Ihm würde man von den dreien wohl am ehesten seine Ersparnisse anvertrauen. Aber er wird keinen Aufbruch, keine Euphorie verbreiten können, sollte er Kanzler werden. Er ist für mich eher ein Politiker aus der zweiten Reihe, einer, der brav abarbeitet. Er kann als Minister eine verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen, aber er gibt nicht die Richtung für die Nation vor. Das sehe ich beispielsweise daran, dass er sich wahnsinnig schwer damit tut, Menschen anzuschauen. Er hebt die Augenbrauen, die ganz besonderer Natur sind, aber die Lider bleiben auf Halbmast. Als ob er sagen wollte: Damit kannst du mich nicht hinterm Ofen vorlocken.

Euphorie und Begeisterung sind Dinge, die wir aus der Körpersprache ablesen. Und zwar an der Frequenz der Bewegung und dem beanspruchten Raum, der Amplitude. Stellen Sie sich vor, wenn jemand über ein Tor jubelt. Je schneller und raumgreifender die Bewegungen ausfallen, desto mehr Euphorie wird dadurch vermittelt. Das fehlt bei Olaf Scholz komplett. Er macht nur Miniaturbewegungen. Wären die beiden anderen Kandidaten stabiler, hätte Scholz keine Chance bei dieser Wahl.“

Annalena Baerbock – die Raumgreifende

Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) erscheint während der Diskussion der Kandidaten auf einem Bildschirm in einem VIP Zelt.
Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) erscheint während der Diskussion der Kandidaten auf einem Bildschirm in einem VIP Zelt. | Bild: Michael Kappeler, dpa

„Annalena Baerbock ist im Gegensatz zu Scholz sehr raumgreifend. Als einzige Frau in der Runde steht sie am breitesten da. Sie gestikuliert auch sehr breit – dabei ist der Abstand zwischen Ellbogen und Rumpf entscheidend. Die meisten Frauen gestikulieren eher klein, mit am Körper lehnenden Armen. Bei ihr war das sehr breit. Trotzdem hat sie meiner Ansicht nach die Alpharolle verspielt. Nachdem sie zu Beginn des Wahlkampf durch die Plagiatsaffäre dramatisch unter Druck geraten war, hat sie Schwäche gezeigt. Seither fällt sie durch fahrige Bewegungen auf. Außerdem hat sie in Zeiten der Unsicherheit die Blickrichtung verändert.

Was sie gut kann, ist entspannt lächeln. Das ist ein Signal der Souveränität. Denn wenn der Stress durch den Körper zieht, haben wir eine angespannte Mimik, wie Armin Laschet es macht. Baerbock hingegen strahlt Entspanntheit aus. Außerdem präsentiert sie sich als gute Zuhörerin: Sie wendet sich dem Redenden komplett zu – mit Nase und Nabel, also mit dem ganzen Körper. Das gibt den Zuhörern das Gefühl, dass sie gut zuhört – selbst wenn sie es gar nicht täte. Da hat sie hat ein unglaubliches Talent. Was ihr fehlt, sind nur ein oder zwei Jahre, vielleicht die Erfahrung eines Ministeramts, dann hätte sie das Stahlbad der Kritik vielleicht besser weggesteckt. Aber man merkt: Sie fängt sich gerade wieder.“

In Stefan Verras jüngstem Buch „Die Körpersprache der Mächtigen – Leithammel sind auch nur Menschen“ hat der Bestsellerautor die Körpersprache von sieben Weltpolitikern analysiert. Es erscheint am 3. September.