Herr Schäuble, Baden-Württemberg verschärft die Bedingungen für Ungeimpfte enorm. Halten Sie das für richtig?
Ja, das ist richtig. Es geht doch vor allem darum, dass wir die Menschen von der Impfung überzeugen. Und bei manchen funktioniert das nur über den Geldbeutel oder weil man erkennt, dass das Leben ungeimpft unbequemer bleiben muss. Es ist doch unbestritten: Ohne die Impfung kriegen wir die Pandemie nicht in den Griff. Und ein neuer Lockdown ist unter gar keinen Umständen verantwortbar – nicht für die Wirtschaft, nicht für die Gesellschaft und schon gar nicht für die junge Generation. Die Wahrscheinlichkeit, dass man an Corona schwer erkrankt, ist so viel höher als dass man durch die Impfung einen Schaden erleidet. Außerdem ist die Impfung nicht nur für den Einzelnen wichtig, sondern jeder Einzelne trägt Mitverantwortung dafür, dass wir alle ohne weitere Restriktionen das Virus unter Kontrolle kriegen.
Wär es nicht ehrlicher, gleich eine Impfpflicht einzuführen?
Eine generelle Impfpflicht wird es nicht geben. Aber es kann sein, dass man bestimmte Berufe nicht mehr ausüben kann, wenn man nicht geimpft ist.
An welche Berufsgruppen denken Sie? Geht es da um Erzieher, Lehrer und Pflegekräfte, die jetzt schon angeben müssen, ob sie geimpft sind?
Das sollen Ärzte und Wissenschaftler entscheiden. Ich bin dafür, dass wir uns weiterhin auf ihre Empfehlungen beziehen.

Sie sind der am längsten amtierende Bundestagsabgeordnete. Was ist das für ein Gefühl?
Für mich ist das nichts Besonderes. Ich gehöre auch zu den ältesten Bundestagsabgeordneten. So ist das Leben! Man wird älter und die Zeit verfliegt rasend schnell.
Sie sind nicht nur der Dienstälteste. Sie treten auch nochmal an. Warum tun Sie sich das an? Was treibt Sie an?
Wieso „antun“? Ich mach‘s ja gern! Ich hab‘s vom ersten Tag an gern gemacht und den Gefallen daran bis heut nicht verloren. Ich habe mich damals in der Freizeit für Politik engagiert, und nicht aus irgendwelchen Karriereabsichten heraus. Es macht mir große Freude, wenn die Wählerinnen und Wähler mir ihr Vertrauen schenken. Mir sind unser Land und unser Gemeinwesen nicht gleichgültig. Die Parteifreunde im eigenen Wahlkreis, vor allem die jüngeren, haben mir gesagt: Wir hätten gerne in diesen Zeiten, wo sich so vieles so schnell verändert, dass einer mit Ihrer Erfahrung weiterhin dabei ist. Ich mache das, so lange mir der Herrgott die Kraft lässt und ich das Vertrauen der Wähler habe. Ich habe durch die langen Jahre im Bundestag viel Erfahrung. Ich glaube auch, dass ich im Amt des Bundestagspräsidenten fraktionsübergreifend viel Vertrauen hatte in den letzten vier Jahren. Nun möchte ich wieder das Vertrauen bekommen. Wenn nicht...
... wär‘s eine Überraschung.
Für Sie vielleicht. Ich sage: Das wäre eine demokratische Entscheidung. Wir werden das sehen.
Haben Sie das Gefühl, dass in diesen bewegten Zeiten Erfahrung besonders wichtig ist?
Ja, Politik ist immer Stabilität und Veränderung. Sie müssen beides haben. Ich diskutiere unheimlich viel mit jungen Menschen. Wann immer ich kann, lade ich Schulklassen ein. Ich diskutiere auch mit Vertretern von „Fridays for Future“. Ich finde es toll, dass sie sich engagieren und sage das auch. Aber in den Punkten, bei denen ich nicht ihrer Meinung bin, widerspreche ich. Ich glaube, junge Leute haben auch einen Anspruch auf Widerspruch. Sie haben Anspruch darauf, gehört und ernst genommen zu werden, aber sollten auch auf die Argumente des Älteren hören, der sagt: So geht‘s nicht! Um Klimaneutralität zu erreichen, darf man die Wirtschaft nicht kaputt machen, sondern man muss sie im Gegenteil stärken, damit sie diese gewaltigen Herausforderungen schaffen kann. Gleichzeitig ermuntere ich sie: Macht weiter Druck!

Ihre Partei steht in den Umfragen nicht gut da. Warum finden die Wähler keinen Gefallen an Armin Laschet?
Ich weiß nicht, ob das so ist. Das werden wir am 26. September sehen. Er ist der richtige Kanzler für Deutschland, weil er das verkörpert, was wir derzeit brauchen. Wir haben zu viel Polarisierung in der Gesellschaft. Was wir brauchen ist jemand, der zusammenführen kann. Armin Laschet verkörpert das, weil er die unterschiedlichen Positionen zusammenführen kann.
Armin Laschet war ja nicht Ihr Favorit für den CDU-Vorsitz, sondern Friedrich Merz. Was wäre mit ihm im Wahlkampf anders gelaufen?
Entschuldigung, Demokratie ist so: Man kämpft für seine Überzeugungen und akzeptiert, wenn die Mehrheit entschieden hat – und diskutiert dann nicht mehr rückwärts.
Nehmen Sie es dann Markus Söder übel, dass er gegen Laschet schießt?
Das macht Markus Söder nicht.
Seit dem vergangenen Wochenende macht er es demonstrativ nicht mehr, aber davor ausgiebig.
Markus Söder hat am Samstag auf dem CSU-Parteitag unter großem Jubel nach der Rede von Armin Laschet gesagt: ‚Das war der künftige Kanzler der Bundesrepublik Deutschland.‘ Die CSU ist eine eigenständige Partei, die CDU ist aber die größere Schwesterpartei. CDU und CSU haben sich immer geeinigt – auch in dieser Frage. Die CDU hat sich in ihren Führungsgremien für Armin Laschet als Kanzlerkandidaten entschieden, die CSU hat sich diesem Vorschlag angeschlossen. Nun ist er der gemeinsame Kandidat.

Der aktuelle Bundestag hat 709 Mitglieder. Der nächste könnte noch einmal deutlich größer werden. Versteht der Wähler das noch?
Ich fürchte nein, ich verstehe es auch nicht. Das gehört zu den bitteren Enttäuschungen, die ich in der letzten Legislaturperiode erfahren habe. Der nächste Bundestag muss einen Weg finden, um dieses Problem zu lösen. Der letzte hat trotz meiner intensiven Bemühungen vom ersten Tag an diesen Weg nicht gefunden. Ich bedaure das sehr.
Und Sie werden dann nochmal Bundestagspräsident?
Das entscheiden erst die Wählerinnen und Wähler, und dann entscheiden es die, die gewählt wurden. Ich mache es gern. Aber mir geht es nicht mehr darum, was ich werde. Die Bundeskanzlerin hat mich 2017 überzeugt, dass ich noch einmal kandidiere. Vor der Wahl hatte ich mich entschieden, dass ich nicht mehr Minister sein wollte. Da war ich 75 und wusste, dass ich mit den Kräften, die mir nach 30 Jahren im Rollstuhl geblieben sind, nicht Regierungsverantwortung tragen kann. Das Amt des Bundestagspräsidenten erfordert eine gewisse Ruhe und Gelassenheit. Wenn einige eskalieren, schaffe ich es in der Regel, sie zu beruhigen, indem ich lächle und sage: Jetzt macht mal halblang.

Die Kanzlerin tritt demnächst in eine deutlich entspanntere Lebensphase ein. Sind Sie da auch ein bisschen neidisch?
Ich bewundere Sie, weil sie wahr gemacht hat, was sie immer gesagt hat: Dass sie selber entscheiden würde, wann sie geht. Meine Frau hat immer gesagt: Du wirst sehen, diese Frau schafft das, was ihr Männer nie geschafft habt. Kein Kanzler hat ja bislang wirklich freiwillig aufgehört. Sie schon. Und bis zum letzten Tag arbeitet sie mit voller Kraft.
Werden Sie sie vermissen?
Es ist ein Einschnitt in der Politik, aber alles verändert sich ständig. Der berühmte italienische Autor Lampedusa hat gesagt: Alles muss sich ändern, damit alles bleibt, wie es ist.